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IT-Ausschreibung der Landeshauptstadt Düsseldorf in Höhe von ca. 8 Mio. EUR: Wo bleibt der Mittelstand?

itk Die Landeshauptstadt Düsseldorf schreibt derzeit einen Rahmenvertrag für die Beschaffung von IT-Leistungen in Höhe von über 8 Mio. EUR EU-weit im Offenen Verfahren aus (EU-Bekanntmachung 2009/S 245-351281). Die Leistung umfasst unter anderem den Einkauf von ca. 6158 PC’s, 1537 Notebooks, 5661 TFT-Monitore, 520 TFT-Monitore 19 “ mit Sicherheitsglas, 150 Server, Drucker und ca. 4360 Installationen. Offensichtlich ein lukratives Auftragsvolumen für Unternehmen. Allerdings: Eine Aufteilung in Teil- oder Fachlose findet nicht statt. Ein erneuter Anlass, die Mittelstandsklausel des § 97 Abs. 3 GWB näher zu betrachten.

§ 97 Abs. 3 GWB bestimmt:

„Mittelständische Interessen sind bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen. Leistungen sind in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Mehrere Teil- oder Fachlose dürfen zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Wird ein Unternehmen, das nicht öffentlicher Auftraggeber ist, mit der Wahrnehmung oder Durchführung einer öffentlichen Aufgabe betraut, verpflichtet der Auftraggeber das Unternehmen, sofern es Unteraufträge an Dritte vergibt, nach den Sätzen 1 bis 3 zu verfahren.“

Die IT-Ausschreibung der Landeshauptstadt Düsseldorf hat die Leistungen weder in der Menge (etwa Trennung der Ausschreibung von PCs, Drucker, Laptops) noch nach Art (etwa Trennung der Einkaufs- von den Installationsleistungen) aufgeteilt. § 97 Abs. 3 Satz 1 GWB scheint damit augenscheinlich nicht eingehalten.

§ 97 Abs. 3 Satz 3 GWB macht allerdings eine Ausnahme: Mehrere Teil- und Fachlose dürfen zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern.

Zweck der Ausnahmevorschrift ist, dem öffentlichen Auftraggeber keine völlig unwirtschaftlichen oder technisch unsinnigen oder undurchführbaren Entscheidungen aufzudrängen. Schließlich gebietet auch die Gesamtzielsetzung des Vergaberechts, nämlich eine an Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten orientierte Beschaffung zu erreichen, eine ausnahmsweise Abweichung von der Losvergabe, wenn diese im konkreten Fall in hohem Maße unwirtschaftlich wäre.

Es besteht damit ein Regel-/Ausnahmeverhältnis zwischen Los- und Gesamtvergabe. Dabei gebietet der Ausnahmecharakter eine restriktive Auslegung der Zulässigkeit einer Gesamtvergabe. Dies war bereits unter der alten Fassung der Mittelstandklausel herrschende Auffassung. Mit der neuen Fassung der Mittelstandklausel wurde nach Auffassung des Autors die Gesamtvergabe weiterhin erschwert.

So heißt es in der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 97 Abs. 3 GWB vom 03.03.2008, S. 8:

„Die öffentliche Auftragsvergabe geht vielfach mit einer marktstarken Stellung eines öffentlichen Auftraggebers einher. Es ist daher im Interesse der vorwiegend mittelständisch strukturierten Wirtschaft geboten, auf mittelständische Interessen bei der Ausgestaltung der Vergabeverfahren besonders zu achten, um so die Nachteile der mittelständischen Wirtschaft gerade bei der Vergabe großer Aufträge mit einem Volumen, das die Kapazitäten mittelständischer Unternehmen überfordern könnte, auszugleichen.“

Weiterhin betont der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung, dass durch diese Neuformulierung die Mittelstandsklausel in ihrer Wirkung „verstärkt“ werden soll.

Die ausdrücklich beabsichtigte „Verstärkung“ kann jedoch nicht Folgenlos geblieben sein, da man sonst den Willen des Gesetzgebers ignorierte.

Diese Interpretation wird durch die neue Formulierung des § 97 Abs. 3 GWB gestützt. So heißt es in der Neufassung, dass mittelständische Interessen „vornehmlich“ zu berücksichtigen sind. Dies steht dort anders als in der Vorgängernorm als eigener Hauptsatz und erst in Satz 2 wird der Grundsatz der Losaufteilung aufgestellt. Der allgemeine Mittelstandschutz hat sich damit von der bloßen Losaufteilung emanzipiert. Der Mittelstandsschutz ist daher auch über die bloße Losaufteilung hinaus zu berücksichtigen, etwa bei der Wahl der Eignungskriterien.

Hier verlangt die Landeshauptstadt Düsseldorf zur Darlegung der Eignung:

„Der Bieter hat den Nachweis der fachlichen Leistungsfähigkeit durch Angabe der in den letzten 3 Geschäftsjahren ausgeführten Aufträge zu führen, die mit dem ausgeschriebenen Auftrag vergleichbar sind (Referenzen)“.

Solche vergleichbare Referenzen dieses Umfangs können in Europa voraussichtlich nur eine Handvoll Unternehmen vorweisen; Mittelständler oder gar Newcomer werden nicht darunter sein. Die Anzahl der Wettbewerber wird durch das Eignungskriterium zusätzlich eingeschränkt.

Die neue Mittelstandklausel führt noch in anderer Hinsicht zu Verschärfungen auf Auftraggeberseite: Die wirtschaftlichen oder technischen Gründe, die ausnahmsweise eine Gesamtvergabe rechtfertigen, müssen detailliert und dokumentiert dargelegt werden. Dies kann im Einzelfall sogar bedeuten, dass der öffentliche Auftraggeber seine Entscheidung, nicht losweise zu vergeben, durch ein Gutachten unterlegen muss. Auf jeden Fall hat er zumindest die Beweggründe einer Gesamtvergabe in dem Vergabevermerk nachvollziehbar zu dokumentieren. Es genügt dabei nicht einfach zu behaupten, dass eine Zerlegung in einzelne Teil- oder Fachlose eine „unwirtschaftliche Zersplitterung“ darstellt. Es ist nämlich stets zu beachten, dass fast jeder Losaufteilung ein erhöhter Koordinierungsaufwand und die Einbindung zusätzlicher personaler Ressourcen bei dem öffentlichen Auftraggeber immanent sind und grundsätzlich vom Gesetz in Kauf genommen wird (so schon vor der Reform OLG Düsseldorf VergabeR 2005, 107 = NZBau 2004, 688). Das bedeutet, dass allgemeine Vorteile, wie die Entlastung von Koordinierungsaufgaben oder der Vorteil nur eines Ansprechpartners, allein für sich genommen grundsätzlich keine wirtschaftlichen Rechtfertigungsgründe darstellen. Ebenso wenig sind dies die Eilbedürftigkeit oder die Vermeidung von höherem Personal- oder Verwaltungsaufwand. Als technische Gründe können Gründe der Verkehrssicherheit, des reibungslosen und termingerechten Bauablaufs sowie aus Funktionalitätsgründen in Betracht kommen.

Es ist davon auszugehen, dass die Landeshauptstadt Düsseldorf sehr sorgfältig geprüft und dokumentiert hat, weshalb sie ausnahmsweise von der Losaufteilung absieht. Allein der Einkauf großer Mengen an Hard- und Software genügt sicherlich nicht, eine Gesamtvergabe zu rechtfertigen. Technische Gründe können jedoch gerade bei komplexen IT-Projekten eine Gesamtvergabe rechtfertigen, wenn dadurch etwa die Sicherheit erhöht oder Fehlerquellen und Funktionsbeeinträchtigungen deutlich vermieden werden können. Dies kommt vor allem in Frage, wenn mehrere Tausend Rechner miteinander vernetzt und integrativer Bestandteil eines Gesamtsystems werden sollen. Solche Gründe könnten vorliegend durchaus in Betracht kommen; die Beweislast liegt bei der Landeshauptstadt Düsseldorf.

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Über Dr. Roderic Ortner

Roderic Ortner ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht sowie Fachanwalt für IT-Recht. Er ist Partner in der Sozietät BHO Legal in Köln und München. Roderic Ortner ist spezialisiert auf das Vergabe-, IT und Beihilferecht und berät hierin die Auftraggeber- und Bieterseite. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge zum Vergabe- und IT-Recht und hat bereits eine Vielzahl von Schulungen durchgeführt.

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2 Kommentare

  1. Dirk-Oliver Granath

    Sehr geehrter Herr Dr. Ortner,

    vielen Dank für diesen aufschlußreichen Artikel.

    Interessieren würde mich in diesem Zusammenhang (Mittelstandsförderung durch geeignete Auftragsvolumen) wie sie Einkaufsgemeinschaften wie z.B. die UNICO
    sehen?

    MIt besten Grüßen
    Dirk-Oliver Granath

    Reply

  2. Dr. Roderic Ortner

    Sehr geehrter Herr Granath,

    dies ist ein schwieriges Thema, da es hierüber noch keine maßgebliche Rechtsprechung gibt. Das Spannungsverhältnis EK und § 97 Abs. 3 GWB ist noch nicht aufgelöst. Ich kann Ihnen nur einige grundsätzliche Gedanken an die Hand geben, die wohl auch die aktuell herrschende Meinung widerspiegeln. Zur EK UNICO konkret darf ich mich hier nicht äußern, ich hoffe auf Ihr Verständnis.

    Zunächst: Gemeinschaftsrechtlich sind zentrale Beschaffungsstellen grundsätzlich zulässig. Das folgt aus Art. 11 Abs. 1 der RL 2004/18/EG, nach welchem die Mitgliedstaaten festlegen, dass die öffentlichen Auftraggeber Bauleistungen, Waren und/oder Dienstleistungen durch zentrale Beschaffungsstellen erwerben dürfen.

    Die Gründung von und der Einkauf durch zentrale Beschaffungsstellen wird jedoch durch das Kartell- und das Vergaberecht begrenzt. Aus kartellrechtlicher Sicht hat sich eine zentrale Beschaffungsstelle an § 1 GWB zu messen. Vergaberechtlich ist der Grundsatz der mittelstandsfreundlichen Vergabe zu beachten. Aus diesem folgt zwar nicht, dass öffentliche Auftraggeber grundsätzlich zu einer dezentralen Beschaffung verpflichtet wären. Er gebietet jedoch, dass die Beschaffungsstelle mittelständische Interessen durch Losaufteilung der zu beschaffenden Leistungen berücksichtigt. Daraus ergeben sich zwei Spannungsfelder: Zum einen dürfen öffentliche Stellen keinen Rahmenvertrag im Wege einer Gesamtvergabe vergeben, wenn dies nicht wirtschaftliche oder technische Gründe erfordern. Zum anderen dürfen allein Effizienzgesichtspunkte eine zentrale Beschaffungsstelle nicht dazu berechtigten, Dienstleistungen oder Produkte in großen Mengen ohne Aufteilung in Lose einzukaufen. Der Ausnahmecharakter der Gesamtvergabe gebietet, dass die Effizienzgewinne im Verhältnis zu einer Losaufteilung erheblich sein müssen.

    Mit bestem Gruß
    RO

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