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Weiterverwendung von Bekanntmachungstexten – Zusatzaufwand für Vergabestellen? (VG Stuttgart, Urteil v. 12.7.2012 – 4 K 3842/11)

ParagraphÖffentliche Auftraggeber werden in jüngster Zeit zunehmend mit Anfragen gewerblicher Betreiber von elektronischen Bekanntmachungsportalen konfrontiert, die eine Überlassung anderweitig bereits veröffentlichter Bekanntmachungstexte fordern. Die Betreiber stützen sich hierbei auf das so genannte Informationsweiterverwendungsgesetz (IWG) vom 13.12.2006. Mit dem IWG hat der deutsche Gesetzgeber die europäische Richtlinie 2003/98/EG über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors umgesetzt. Ziel der EU-Richtlinie ist es, durch mehr Transparenz und fairen Wettbewerb die Weiterverwendung von Informationen öffentlicher Stellen zu erleichtern. Im Wesentlichen geht es um die Umsetzung des Gleichheitsgebotes sowie von Transparenzvorgaben für öffentliche Stellen. Dadurch sollen Unternehmen in die Lage versetzt werden, das Potenzial solcher Informationen, z.B. für elektronische Mehrwertdienste, auszuschöpfen, um so zu Wirtschaftswachstum und zusätzlichen Arbeitsplätzen beizutragen, wie der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25.8.2006 (BT-Drs. 16/2453) festhält.

Aktuell hat der VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 7.5.2013 – 10 S 281/12 „Juris“) unter Berufung auf das IWG entschieden, dass auf Entscheidungen des BVerfG, die mit gerichtlich verfassten Orientierungssätzen versehen sind, das IWG Anwendung findet. Aus § 3 Abs. 1 S. 1 IWG folge grundsätzlich ein Gleichbehandlungsanspruch mit Blick auf die Überlassung solcher Entscheidungen zur Weiterverwendung. Im vergangenen Jahr hatte bereits das VG Stuttgart (siehe unten) zur Weiterverwendung von öffentlichen Bekanntmachungstexten entschieden. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.

Sachverhalt

Die Klägerin begehrt von einer Vergabestelle die elektronische Überlassung ausschreibungsbezogener Bekanntmachungen, zu deren Veröffentlichung die Vergabestelle rechtlich verpflichtet ist und deren Veröffentlichung über Dritte erfolgt. Die überlassenen Bekanntmachungstexte will die Klägerin auf ihrem eigenen Bekanntmachungsportal interessierten Unternehmen zugänglich machen. Ihr Bekanntmachungsportal ermöglicht es, spezifische Suchprofile anzulegen, um über individualisierte Recherchefunktionen Aufträge der öffentlichen Hand zu ermitteln.

Die beklagte Vergabestelle hat das klägerische Ansinnen abgelehnt, mit der Begründung, dass die von ihr genutzte und mit der Veröffentlichung der Bekanntmachungen beauftragte Vergabeplattform keine Weiterverwendung i.S. des IWG durch Dritte sei. Ohne Erfolg.

Entscheidung

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat der Feststellungsklage stattgegeben.

Es hat entschieden, dass es sich bei den zur öffentlichen Bekanntmachung bestimmten Texte über die Vergabe öffentlicher Aufträge um Informationen i.S. des IWG handle. Denn eine Information sei jede Aufzeichnung, unabhängig von der Art ihrer Speicherung (§ 2 Nr. 2 IWG). Die Information wird nicht erst durch die Bekanntgabe der Ausschreibung selbst generiert, vielmehr stelle die normativ geforderte Veröffentlichung erst sicher, dass die Textinformation einem relevanten Adressatenkreis zugänglich würde (vgl. Rdnr. 23 der Entscheidungsgründe).

Diese Informationen sind auch von der beklagten Vergabestelle an das von ihr mit der Veröffentlichung beauftragte Bekanntmachungsportal zur Verfügung gestellt worden. Indem das IWG verlangt, dass die öffentliche Stelle die bei ihr vorhandenen Informationen zur Weiterverwendung zur Verfügung gestellt haben muss, muss die Weitergabe der Informationen gerade zu dem Zweck erfolgt sein, dass mit diesen eine über die Erfüllung öffentlicher Aufgaben hinaus gehende Nutzung stattfindet (vgl. Rdnr. 24 der Entscheidungsgründe). Hierzu haben die Stuttgarter Verwaltungsrichter festgestellt, dass im vorliegenden Fall die Vergabestelle durch die Weitergabe der Bekanntmachungstexte an das von ihr ausgewählte elektronische Vergabeportal zwar ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur öffentlichen Ausschreibung nachkommen und insoweit in Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe handeln würde (vgl. Rdnr. 25 der Entscheidungsgründe). Gleichwohl sei hier folgendes zu beachten (vgl. Rndr. 26 der Entscheidungsgründe):

„Anders als bei der bloßen Dokumentation von Gesetzestexten, die allein im öffentlichen Interesse liegt, erfolgt die Ausschreibung von kommunalen Aufträgen nicht nur in Erfüllung einer normativen Pflicht, sondern dient maßgeblich auch den wirtschaftlichen Interessen der Beklagten. Denn es geht darum, durch eine breit bekannt gemachte Ausschreibung in angemessenem Umfang Wettbewerb herzustellen, der eine inhaltlich und wirtschaftlich optimierte Auftragsvergabe ermöglicht.“

Hinzu komme, dass das von der Vergabestelle beauftragte Vergabeportal nicht nur die Recherche nach bzw. Veröffentlichung von Ausschreibungen ermöglicht. Vielmehr würde auch die Abwicklung der e-Vergabe offeriert, indem bspw. sowohl den Bietern als auch den Vergabestellen eine Vergabesoftware zur Verfügung gestellt würde, welche die vollständige, vergaberechtskonforme, vollelektronische Durchführung des kompletten Vergabeverfahrens ermögliche (vgl. Rdnr. 27 der Entscheidungsgründe).

Nach Ansicht des VG Stuttgart handle es sich daher nicht allein um die gesetzlich vorgeschriebene Bekanntgabe im nationalen Bereich, sondern es fände eine Weiterverwendung der Ausschreibungsinformationen durch das von der Vergabestelle beauftragte Vergabeportal statt, das damit gegen Entgelt Dienstleistungen anbiete, wie etwa die Suche nach öffentlichen Aufträgen (vgl. Rdnr. 29 der Entscheidungsgründe).

Deutsches VergabenetzwerkFazit

Für den Fall, dass das Urteil des VG Stuttgart im Berufungsrechtszug bestätigt wird, dürfte auf viele öffentliche Auftraggeber, die ein vergleichbares Vergabe- und Bekanntmachungsportal nutzen, ein Verwaltungsmehraufwand zukommen, weil sie die Anfragen sonstiger interessierter Portalbetreiber bearbeiten und die bekanntgemachten Informationen nach § 3 Abs. 1 S. 1 IWG zur Verfügung stellen müssen. Da das IWG nicht nur für „klassiche“ öffentliche Auftraggeber gilt, sondern auch für Auftraggeber nach § 98 Nr. 2 GWB (vgl. § 2 Nr. 1 Buchst. b IWG), werden zahlreiche Vergabestellen vom Anwendungsbereich des IWG erfasst. Obwohl der mit dem IWG verfolgte Zweck der Erstellung neuer Informationsprodukte und –dienste durchaus verständlich ist, so ist bei der Auslegung des IWG doch Maß zu halten. Denn ob z.B. den Vergabestellen ein verifizierbarer Mehrwert dadurch entsteht, wenn die Bekanntmachungstexte einer großen Anzahl von Vergabeportalbetreibern zur Verfügung gestellt werden muss, darf bezweifelt werden.

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Über Holger Schröder

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Herr Schröder ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ständiges Mitglied im gemeinsamen Prüfungsausschuss "Fachanwalt für Vergaberecht" der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg.

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