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Vergabe von IT-Leistungen – Hohe Anforderungen an Festlegung der Zuschlagskriterien und Heilung von Dokumentationsmängeln (OLG Karlsruhe, Beschluss v. 31.01.2014 – 15 Verg 10/13)

ParagraphDas OLG Karlsruhe hat mit Beschluss vom 31. Januar 2014 (15 Verg 10/13) im Zusammenhang mit einem Vergabeverfahren zur Beauftragung der Leistungen für eine e-Vergabeplattform bedeutsame Feststellungen zur Festlegung und Anwendung der Zuschlagskriterien, der vergaberechtlichen Zulässigkeit eines Nachschiebens von Gründen für die Wertungsentscheidung sowie zu den Anforderungen an eine hinreichende Dokumentation des Vergabeverfahrens getroffen.

GWB § 97 Abs. 1; VOL/A §§ 19 Abs. 8 EG, 24 EG

Leitsätze (nicht amtlich)

1. Nach § 19 Abs. 8 EG VOL/A dürfen bei der Wertung der Angebot nur Kriterien und deren Gewichtung berücksichtigt werden, die in der Bekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen genannt sind. Dies bedeutet konkret, dass die Zuschlagskriterien in den Vergabeunterlagen oder in der Bekanntmachung so gefasst werden müssen, dass alle durchschnittlich fachkundigen Bieter sie bei Anwendung der üblichen Sorgfalt in der gleichen Weise auslegen können.
2. Der Auftraggeber ist im Nachprüfungsverfahren nicht mit allen Aspekten und Argumenten präkludiert, die nicht im Vergabevermerk zeitnah dokumentiert sind. Allerdings ist jedenfalls in solchen Fällen, in denen nicht auszuschließen ist, dass durch die nachgeschobene Begründung im Nachhinein eine nicht mit den Grundsätzen des Vergaberechts in Einklang stehende Begründung abgesichert werden soll, ein Nachschieben von Gründen nicht zuzulassen.
3. Die im Vergabevermerk enthaltenen Angaben und die mitgeteilten Gründe für die getroffenen Entscheidungen müssen so detailliert sein, dass sie von einem mit der Sachlage des jeweiligen Vergabeverfahrens vertrauten Leser nachvollziehbar sind.
4. Zwar schützt die Dokumentationspflicht nach § 24 EG VOL/A den Bieter nur, wenn sich die Versäumnisse des Auftraggebers auf seine Rechtsstellung im Vergabeverfahren negativ ausgewirkt haben können. Wendet sich ein Unternehmen gegen eine fehlerhafte Angebotswertung, so ist ein diesbezüglicher Dokumentationsmangel maßgeblich, sofern dadurch die Wertung nicht oder nicht hinreichend nachvollzogen werden kann.

Sachverhalt

Der öffentliche Auftraggeber schrieb im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens mit vorherigem Teilnahmewettbewerb einen Rahmenvertrag über die Bereitstellung einer e-Vergabeplattform europaweit aus. Das Verhandlungsverfahren sollte nach den Vergabeunterlagen untergliedert sein in eine erste Verhandlungsrunde, in der die Bieter ein Angebot abgeben, dieses präsentieren, eine Teststellung durchführen und sodann ihr Angebot konkretisieren. Über den Verlauf der Teststellung findet sich keine Dokumentation in der Vergabeakte. Auf Nachfrage der VK Baden-Württemberg wurde ein Vermerk, der von einem Fachberater unterzeichnet war, zur Vergabeakte gereicht. Nach Auswertung des Kriterienkatalogs der Leistungsanforderungen wurde dem Bieter mitgeteilt, dass sein Angebot nicht weiter berücksichtigt werde. Der hiergegen erhobene Nachprüfungsantrag wurde von der VK Baden-Württemberg zurückgewiesen. Diese entschied, dass insbesondere eine fehlerhafte Bewertung der Angebote nicht vorgelegen habe, weil bei der Punktevergabe für einzelne Unterkriterien dem öffentlichen Auftraggeber ein weiter Beurteilungsspielraum zukomme. Nicht zu beanstanden sei außerdem, dass das Ergebnis der Teststellungen von einem Fachberater im Vermerk zusammengefasst, dem Letztentscheider zur Verfügung gestellt und von diesem bei der Angebotswertung berücksichtigt wurde. Gegen diese Entscheidung wendete sich der Bieter im Wege der sofortigen Beschwerde zum OLG Karlsruhe.

Die Entscheidung

Mit Erfolg! Nach Auffassung des Vergabesenats hat der öffentliche Auftraggeber gegen § 19 Abs. 8 EG VOL/A verstoßen, weil er nachträglich Kriterien aufgestellt und in die Gewichtung mit einbezogen hat, die er nicht – jedenfalls nicht mit der notwendigen Eindeutigkeit – bekannt gemacht hatte. In den Vergabeunterlagen fehle eine konkrete und transparente Vorgabe, zu welchem Zeitpunkt welcher Grad an Fertigstellung der anzubietenden Software erwartet wird. Insbesondere fehle eine deutliche Vorgabe, dass zum Zeitpunkt der Teststellung bereits ein vollständig funktionsfähiges System vorhanden sein musste. Daher durfte der öffentliche Auftraggeber das Angebot des Bieters nicht deshalb niedriger bewerten, weil zum Zeitpunkt der Teststellung ein Modul der e-Vergabesoftware noch nicht in der angebotenen Version vorlag. Des Weiteren finde sich diese Begründung nicht in der Wertungsentscheidung zu den maßgeblichen Unterpunkten wieder. Diese Begründung nunmehr im Beschwerdeverfahren nachzuschieben, scheide aus. Jedenfalls in den Fällen, in denen eine Begründung die im Vergabevermerk enthaltene ersetzen soll, würde das Zulassen des Nachschiebens von Gründen die Bedeutung und Funktion des Vergabevermerks entwerten. Die Möglichkeit einer Manipulation des Wertungsvorgangs sei dann immer gegeben und verstoße damit gegen das Gebot eines transparenten Vergabeverfahrens (vgl. bereits OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.07.2010 – 15 Verg 6/10).

Außerdem liege ein Verstoß gegen die in § 24 EG VOL/A normierte Dokumentationspflicht und damit gegen das Transparenzgebot gemäß § 97 Abs. 1 GWB vor. Um das Vergabeverfahren im Sinne des § 97 Abs. 1 GWB transparent zu gestalten, hat ein öffentlicher Auftraggeber den Gang und die wesentlichen Entscheidungen des Vergabeverfahrens in den Vergabeakten zu dokumentieren. Hiergegen habe der öffentliche Auftraggeber verstoßen, weil es an einer ordnungsgemäßen Dokumentation der Teststellung fehle. Zwar sei die Heilung von Dokumentationsmängeln nicht grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. BGH, Beschluss vom 08.02.2011 – X ZB 4/10). Allerdings lässt sich nach Einschätzung des OLG Karlsruhe im entschiedenen Fall noch nicht einmal feststellen, dass dem nachträglich zu den Akten der Vergabekammer gereichten Vermerk eine eigenständige Vergabeentscheidung des öffentlichen Auftraggebers zugrunde lag. Ein Auftraggeber dürfe sich grundsätzlich eines Sachverständigen bedienen, die Kernkompetenz der Entscheidung muss jedoch beim Auftraggeber verbleiben. Insbesondere ist es allein Sache des Auftraggebers, Wertungen und Ermessensentscheidungen zu treffen. Hierbei reiche es bei Beratung durch Dritte grundsätzlich aus, wenn sich die vergebende Stelle die Erklärung durch einen entsprechenden Vermerk zu eigen mache. Dieser Dokumentationsmangel verletze den Bieter in seinen Rechten, weil die Angebotswertung nicht hinreichend nachvollzogen werden könne.

Deutsches VergabenetzwerkPraxistipp

Das OLG Karlsruhe bekräftigt, dass nur solche Zuschlagskriterien und Unterkriterien im Rahmen der Angebotswertung Berücksichtigung finden können, welche sich mit der notwendigen Deutlichkeit aus der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen ergeben. Öffentlichen Auftraggebern ist daher zu raten, in den Vergabeunterlagen eindeutig festzulegen, welche Mindestanforderungen einerseits an den Angebotsinhalt gestellt werden und welche Kriterien andererseits auf der vierten Wertungsstufe qualitativ bewertet werden sollen. Darüber hinaus zieht der Vergabesenat Grenzen für die Möglichkeit, eine Begründung für eine vorgenommene Wertungsentscheidung noch nachzuschieben. Gerade in Bezug auf die Begründung des Wertungsvorgangs dürfte ein Nachschieben von Gründen in der Regel kritisch sein, weil in dieser Hinsicht stets eine Wettbewerbsrelevanz im Raum steht.

Öffentliche Auftraggeber dürfen sich außerdem – zumal im Rahmen technisch komplexer Leistungsgegenstände – grundsätzlich sachverständiger Unterstützung bedienen. Aus den Vergabeakten muss jedoch zum einen hervorgehen, dass die Kernkompetenz der Entscheidung beim Auftraggeber verblieben ist. Hierfür genügt es in der Regel, dass der Auftraggeber sich sachverständige Erklärungen und Feststellungen zu eigen macht. Zum anderen entbindet auch die Begleitung eines Verfahrens durch externen Sachverstand nicht davon, das Vergabeverfahren zeitnah und mit einer hinreichenden Begründungstiefe zu dokumentieren.

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Über Dr. Martin Ott

Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Herr Dr. Ott berät und vertritt bundesweit in erster Linie öffentliche Auftraggeber umfassend bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsvorhaben. Auf der Basis weit gefächerter Branchenkenntnis liegt ein zentraler Schwerpunkt in der Gestaltung effizienter und flexibler Vergabeverfahren. Daneben vertritt Herr Dr. Ott die Interessen der öffentlichen Hand in Nachprüfungsverfahren. Er unterrichtet das Vergaberecht an der DHBW und der VWA in Stuttgart, tritt als Referent in Seminaren auf und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichen. Er ist einer der Vorsitzenden der Regionalgruppe Stuttgart des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW).

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