Vergabeblog

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Sicherheit & Verteidigung

Stärkung der losweisen Vergabe und Entkopplung der Fachlosvergabe vom Postulat der Mittelstandsförderung (VK Bund, Beschl. v. 09.05.2014 – VK 1-26/14)

EntscheidungVK Bund stärkt das Gebot der losweisen Vergabe und zeigt die verbale, aber nicht sinntrennende, Entkoppelung von Teil-/Fachlosvergaben und der vornehmlichen Berücksichtigung mittelständischer Interessen auf.

Die teleologische Auslegung des § 97 III GWB lässt auf eine rechtliche Funktion schließen, die eine organische Verbindung von der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes als bestimmungsgemäßen Vollzug des Haushaltsrechts in Verbindung mit der kartellrechtlichen Flankierung in Form der Wettbewerbsförderung auf breitester Ebene (KMU + X) anstrebt.

§§ 97 III, 99 I, VII, IX GWB; §§ 1 II, 9, 10 I, 38 VSVgV

Sachverhalt

Die Antragstellerin (ASt) wendet sich gegen ein Beschaffungsvorhaben der Antragsgegnerin (Ag), dass diese mit EU-weiter Bekanntmachung im Verhandlungsverfahren ausgeschrieben hatte. Die ASt ist der Ansicht, dass ein Teil der zu erbringenden Leistung (Integration) in Form eines separaten Loses hätte ausgeschrieben werden müssen. Lieferung und Einbau stellten einen von anderen Aspekten der Ausstattung sachlich abgrenzbaren Markt dar, so dass die Ag grundsätzlich zu einer Fachlosbildung verpflichtet sei.

Die Entscheidung

Die 1. Vergabekammer des Bundes hat mit ihrem bestandskräftig gewordenen Beschluss auf eine unterlassene (und auch tatsächlich mögliche) Loseinteilung mit einem Zuschlagsverbot reagiert. Dem partiell zulässigen und damit nur teilweise stattgegebenem Nachprüfungsantrag lässt sich entnehmen, dass der öffentliche Auftraggeber die Beweislast für die beabsichtigte Gesamtvergabe trägt und damit das Vorliegen technischer oder wirtschaftlicher Gründe nicht auf einer unzureichenden Tatsachenbasis bzw. nicht tragenden Erwägungen gründen lassen darf.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung der 1. Vergabekammer des Bundes verleiht dem Willen des Bundesgesetzgebers in dergestalt Geltung, als das von ihm beschlossene Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 (BT-Drs. 16/10117), einen größtmöglichen parlamentarischen Kompromiss zum Handlungsgrundsatz erhebt, die beiden koexistierenden Primärziele der Oberschwellenvergabe (wirtschaftliche Leistungsbeschaffung und Förderung des Wettbewerbes) zu vereinen.

War es schon seit der Entscheidungen der Oberlandesgerichte Koblenz und Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.01.2012, Az VII-Verg 52/11; OLG Koblenz, Beschluss vom 04.04.2012, Az 1 Verg 2/11) in das Blickfeld des vergaberechtlichen Betrachters gerückt, dass aus sich vorher homogen aufgetretenen Dienstleistungen (Gebäude- und Glasflächenreinigung) eigenständige Gewerke mit spezifischen Märkten entwickeln können, so hat die 1. Vergabekammer des Bundes die Meßlatte für Fachlosvergaben nicht höhergesetzt, aber nun (noch einmal) noch klarer dargestellt.

Alle drei Nachprüfungsverfahren teilen das Phänomen, das Vergabestellen annehmen, eine Teillosvergabe mache eine objektiv(!) mögliche Fachlosvergabe regelmäßig entbehrlich; teilweise auch die gesamte Loseinteilung. Das ist vor dem Hintergrund des aus § 97 III Sätze 2 und 3 GWB abzuleitenden Schutzbereiches jedoch nicht haltbar. Im vorliegenden Fall ist die Anwendung der Norm als Bezugspunkt des subjektiven Rechts der teilweise erfolgreichen Antragstellerin über die Spezialvorschrift des § 10 I 1 VSVgV aus Sicht des Autors teleologisch eröffnet. Mit keinem anderen vergaberechtlichen Instrument können kleine und mittelständische Unternehmen wirksamer in den Wettbewerb der öffentlichen Auftragsvergabe eingebunden werden. Wiederum werden Zweckmäßigkeitserwägungen in das Feld geführt, die den materiell-rechtlichen Vorgaben in Bezug auf die geforderten Ausnahmen der wirtschaftlichen oder technischen Gründe nicht genügen. Der auf den öffentlichen Auftraggeber, bei losweisen Vergaben, zukommende (und auch nicht zu leugnende) allgemeine Mehraufwand an Kontroll- und Koordinierungsarbeiten (insbesondere: Supervision der Gewährleistungen) ist auch bei Wegfall von Synergieeffekten hinzunehmen.

Der Bundesgesetzgeber wünscht dagegen ausdrücklich diese administrativen Mühen um dem Postulat der Mittelstandsförderung gerecht zu werden. Dieser Mehraufwand soll aber nicht grenzenlos sein; so sollen etwa technische Kompatibilität und die damit verbundene Leistungsfähigkeit und Funktionalität von Produkten als technischer Grund Rechtfertigung sein vom Gebot des § 97 III 1 GWB abweichen zu dürfen. Auch soll der öffentliche Auftraggeber sich auf (tatsächliche) wirtschaftliche Gründe berufen dürfen, wenn seine Prognose eine unwirtschaftliche Zersplitterung des Auftrages durch Losaufteilung glaubhaft und nachvollziehbar belegt. Sollte es nicht möglich sein, dieses sachlich fundiert und überzeugend darstellen zu können, greift die Regel des § 97 III 1 GWB wieder durch; solche Erwägungen gehören unbedingt in die Dokumentation des Vergabeverfahrens (§§ 20, 24 EG VOL/A; 43 VSVgV).

In Konsequenz der höchstrichterlichen Entscheidung des Bundesgerichtshofes (Beschluss vom 08.02.2011, Az X ZB 4/10) lässt auch hier die Vergabekammer keinen Zweifel daran, dass der personelle Schutzbereich des § 97 III 2 und 3 GWB eben nicht nur für mittelständische Unternehmen gilt, sondern einer Auslegung im Sinne des dem GWB innewohnenden Wettbewerbsgedankens, für alle interessierten Unternehmer, entspricht. Die strukturelle Entnahme des Mittelstandsförderungsgebotes aus demselben Satz der Loseinteilung steht jedoch seiner Anwendung dem Sinn und Zweck der Norm nach nicht entgegen.

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Praxistipp

Öffentlichen Auftraggebern ist es vor dem Hintergrund der o.g. bestandskräftigen Entscheidung dringend anzuraten, ihre Vergabepraxis und Marktexpertise kontinuierlich auf das Entstehen neuer Märkte zu untersuchen um tatsächliche und rechtliche Abgrenzungen von teilbaren und für sich selbständigen Leistungen erkennen und in der Loseinteilung berücksichtigen zu können. Das gemeinsame, den §§ 2 II, 2 EG II 2 VOL/A innewohnende Postulat, ist eine Handlungsanweisung des Normengebers an die Vergabestellen, entsprechend der vornehmlichen Berücksichtigung mittelständischer Interessen, diesen etwa durch geeignete Loseinteilung der Menge oder Kategorie/Sparte nach, zu begegnen; dabei dürfen sich auch größere Unternehmen als KMU auf § 97 III GWB als subjektives Recht berufen.

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