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Polen: Keine Rangordnung hinsichtlich der im Ausschreibungsverfahren vorzulegenden Dokumente (LG Kielce, Urt. v. 17.10.2014 – VII Ga 179/14)

EntscheidungIn polnischen Ausschreibungsverfahren kann der Auftraggeber vom Bieter verlangen, dass dieser eine bezahlte Versicherungspolice vorlegt, aus der sich ergibt, dass der Bieter eine Haftpflichtversicherung für die Ausübung seiner mit dem Ausschreibungsgegenstand im Zusammenhang stehenden Gewerbetätigkeit besitzt. Die entsprechende Vorschrift des polnischen Vergaberechtes sieht weiterhin vor, dass der Auftraggeber  im Falle des Fehlens einer Police die Vorlage eines anderen Dokumentes fordern kann, aus dem sich der Nachweis der abgeschlossenen Haftpflichtversicherung ergibt.

Polnisches Vergabegesetz

Sachverhalt

Aus den Verdingungsunterlagen eines im Jahr 2014 durch einen polnischen Auftraggeber geführten Offenen Ausschreibungsverfahren über die Erbringung von Dienstleistungen oberhalb der EU-Schwellenwerte ergab sich, dass interessierte Bieter über eine bezahlte Haftpflichtversicherung mit einer Versicherungssumme von mindestens 500.000,- PLN verfügen müssen, die eventuelle durch die Bieter angerichtete Schäden bei der Ausübung ihrer Gewerbetätigkeit abdeckt.

Der Bieter mit dem günstigsten Angebot legte dem Auftraggeber in diesem Vergabeverfahren nach einer entsprechenden Aufforderung dreimal eine Bescheinigung über eine abgeschlossene Haftpflichtversicherung vor, jedoch nie die originäre Versicherungspolice. Der aus Frankreich stammende Bieter erläuterte im weiteren Verfahren, dass die Versicherungspolice eine größere Anzahl von Gesellschaften eines weltweit tätigen Konzerns erfasse, darunter auch den Bieter. Deshalb würde der französische Versicherer keine Policen ausstellen, die den Versicherungsschutz einzelner Konzerngesellschaften und die Zahlung der entsprechenden, auf die jeweiligen Gesellschaften des Konzerns entfallenden Versicherungsbeiträge bestätigt.

Ein unterlegener Mitbewerber wandte sich nach der Zuschlagserteilung an die Vergabekammer in Warschau mit dem Antrag, die Wahl des günstigsten Angebots in diesem Vergabeverfahren für nichtig zu erklären, den Bieter mit dem günstigsten Angebot auszuschließen und die Zuschlagserteilung zu wiederholen. Er begründete seine Berufung damit, dass die Vorschriften über die in einem Vergabeverfahren vorzulegenden Dokumente den Nachweis über eine bestehende Haftpflichtversicherung aufgrund eines anderen Dokumentes als einer Versicherungspolice nur für den Fall des Fehlens dieser Police vorsehen. Im vorliegenden Verfahren habe der den Zuschlag erhaltene Bieter aber gerade erklärt, dass die Versicherungspolice bestehe. Deshalb hätte der Auftraggeber die „Bescheinigungen über eine abgeschlossene Haftpflichtversicherung dieses Bieters nicht akzeptieren dürfen und ihn bereits vor der Zuschlagserteilung aus dem Vergabeverfahren ausschließen müssen.

Die Vergabekammer gab in ihrem Urteil vom 20. August 2014 (Az.: KIO 1615/14) der Berufung statt und verwies in ihrer Begründung u. a. darauf, dass die entsprechenden Vorschriften des Vergaberechtes eine klare Hierarchie im Hinblick auf die durch den Bieter vorzulegenden Dokumente aufstellen: in erster Linie habe der Bieter die originäre Versicherungspolice beizubringen, lediglich im Falle ihres Fehlens sei es zulässig, mithilfe anderer Dokumente das Bestehen der geforderten Haftpflichtversicherung nachzuweisen. Nach Auffassung der Vergabekammer habe der Gesetzgeber den im Gesetz verwendeten Begriff des Fehlens auf den Fall beschränkt, in dem eine Police tatsächlich nicht existiert.

Gegen dieses Urteil legte der Präsident des Vergabeamtes in Warschau Klage beim zuständigen Landgericht in Kielce ein und legte dar, dass es keinen Grund gegeben habe, den Bieter mit dem günstigsten Angebot aus dem Verfahren auszuschließen. Nach Auffassung des Präsidenten des Vergabeamtes könne aus der Vorschrift über die Verpflichtung des Bieters zur Vorlage einer Haftpflichtversicherung nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber in Bezug auf die Bezeichnung versicherungsrechtlicher Dokumente eine Rangfolge vorgeben wollte. Die Bestimmungen des polnischen Zivilgesetzbuches über den Versicherungsvertrag, die aufgrund einer entsprechenden Verweisung im polnischen Vergabegesetz in der vorliegenden Angelegenheit zu berücksichtigen seien, würden schließlich die Versicherungsunternehmen lediglich dazu verpflichten, den Abschluss eines Versicherungsvertrages durch ein Versicherungsdokument zu bestätigen. Dagegen enthält das Zivilgesetzbuch keine Verpflichtung zur Ausstellung einer Versicherungspolice. Auf die Bezeichnung komme es nach der durch den Präsidenten des Vergabeamtes vertretenen Meinung nicht an. Wichtig sei lediglich, dass das dem Versicherungsnehmer ausgehändigte Dokument zweifelsfrei die Bestätigung des Abschlusses des Versicherungsvertrages enthalte.

Darüber hinaus habe eine Entscheidung des Landgerichts in dieser Sache aufgrund des Fehlens einer einheitlichen Rechtsprechung der Vergabekammer in Warschau erhebliche Bedeutung für die vergaberechtliche Praxis in Polen. In den bisher ergangenen Urteilen der Vergabekammer seien in vergleichbaren Angelegenheiten unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten worden.

Die Entscheidung

Das Landgericht in Kielce hat sich den in der Klage des Präsidenten des polnischen Vergabeamtes enthaltenen Ausführungen angeschlossen und die Berufung abgewiesen.

In der Urteilsbegründung bestätigten die Richter insbesondere die Auffassung des Präsidenten des Vergabeamtes, dass die Vorschrift über die Verpflichtung des Bieters zur Vorlage einer Haftpflichtversicherung keine Rangfolge im Hinblick auf die durch den Bieter vorzulegenden versicherungsrechtlichen Dokumente enthalte.

Im Übrigen habe die Vergabekammer den im Gesetz verwendeten Begriff des Fehlens der Versicherungspolice in unzulässiger Weise auf den Fall der physischen Nichtexistenz einer Police eingeschränkt. Gerade auch die vorliegende Situation, in der ein Versicherungsunternehmen aufgrund der Anzahl der versicherten Konzernunternehmen keine Police für die einzelnen Konzerngesellschaften ausstellt und der Bieter deshalb nicht im Besitz eines Dokumentes mit der Bezeichnung Versicherungspolice ist, sei unter den Begriff des Fehlens zu subsumieren. Bereits deshalb sei der Bieter berechtigt gewesen, ein anderes Dokument für den Nachweis des Vorliegens einer gültigen Haftpflichtversicherung beim Auftraggeber vorzulegen.

Die Richter wiesen darüber hinaus auch darauf hin, dass von den drei während des  Vergabeverfahrens durch den Bieter beigebrachten Versicherungsbescheinigungen lediglich eine den Anforderungen der Verdingungsunterlagen entsprach. Dies sei jedoch ausreichend gewesen, um den entsprechenden Nachweis im Hinblick auf die Haftpflichtversicherung gegenüber dem Auftraggeber zu führen.

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Praxistipp

Der Entscheidung des Landgerichts ist zuzustimmen. Es gibt sowohl aufgrund der im Beitrag vorgestellten Bestimmung des polnischen Zivilgesetzbuches als auch aufgrund der Versicherungspraxis, in der aus den unterschiedlichsten Gründen nicht immer Dokumente unter der Bezeichnung Police ausgestellt werden, in der Tat keinen Grund, das Fehlen einer Versicherungspolice auf den Fall der physischen Nichtexistenz zu beschränken. Abzuwarten bleibt, wie die Vergabekammer in Warschau in zukünftigen Nachprüfungsverfahren auf dieses landgerichtliche Urteil reagiert.

Unabhängig von dieser Entscheidung des Landgerichtes in Kielce sollten gerade ausländische Bieter sich bereits im Vorfeld der Teilnahme an polnischen Ausschreibungen sorgfältig mit den entsprechenden gesetzlichen Vorschriften über die vorzulegenden Dokumente beschäftigen. Nur dann haben ausländische Bieter die Möglichkeit, die in ihren Ländern von den zuständigen Behörden auszustellenden Nachweise mit dem Inhalt und in der Form anzufordern, die mit den Vorgaben des polnischen Vergaberechtes übereinstimmen.

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Über Steffen Braun

Steffen Braun ist deutscher Rechtsanwalt und Partner der in Warschau (Polen)ansässigen Kanzlei Braun & Paschke - Rechtsanwälte in Warschau. Er berät seit 10 Jahren Unternehmen bei ihrem Engagement in Polen sowohl im Rahmen von öffentlichen Vergabeverfahren als auch bei der Realisierung von anderen Formen der öffentlich-privaten Zusammenarbeit, insbesondere im Rahmen von Privatisierungsverfahren im Gesundheitswesen. Steffen Braun informiert regelmäßig im Rahmen von in Deutschland gehaltenen Vorträgen über die Entwicklung des polnischen Vergaberechtes sowie über die sich ständig verbessernden Möglichkeiten einer erfolgreichen Teilnahme für deutsche Unternehmen an polnischen Ausschreibungen.

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