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Mindestlohn und Mindestentgelt – Unterschiede und Gemeinsamkeiten aus vergaberechtlicher Sicht (Teil 2)

Der seit Jahresbeginn 2015 geltende, bundesweit einheitliche Mindestlohn nach dem MiLoG ist auch für Vergabeverfahren von Bedeutung. Der erste Teil dieses Beitrags hat diesen Mindestlohn im Kontext der Bestimmungen des AEntG aus vergaberechtlicher Sicht vorgestellt. Von diesen arbeitsrechtlichen Regelungen zu unterscheiden sind die verschiedenen Landesgesetze, die darauf abzielen, speziell bei der Vergabe öffentlicher Aufträge eine bestimmte Mindestvergütung für Beschäftigte durchzusetzen. Der zweite Teil dieses Beitrags wird im Vergleich dazu am Beispiel des baden-württembergischen LTMG die Regelungs- und Wirkweise des vergabespezifischen Mindestentgelts erläutern.

Vergabespezifische Mindestentgelte nach den Landesgesetzen

Das „Tariftreue- und Mindestlohngesetz für öffentliche Aufträge in Baden-Württemberg“ (kurz: „Landestariftreue- und Mindestlohngesetz“ bzw. „LTMG“) erlaubt öffentliche Auftragsvergaben nur an Unternehmen, die sich tariftreu verhalten oder aber ein Mindestentgelt von 8,50 Euro brutto je Zeitstunde zahlen. Ähnliche Bestimmungen finden sich in den meisten anderen Bundesländern in Tariftreue – und/oder Vergabegesetze, die darauf abzielen, speziell bei der Vergabe öffentlicher Aufträge eine bestimmte Mindestvergütung für Beschäftigte durchzusetzen.

Viele Unterschiede in den Details der einzelnen Landesgesetze

Die Details der jeweiligen Landesgesetze unterscheiden sich dabei. Das beginnt schon bei der Bezeichnung als „Mindestentgelt“ (z.B. in Baden-Württemberg), als „Mindeststundenentgelt“ (z.B. in Nordrhein-Westfalen) oder als „Mindestlohn“ (z.B. in Hamburg) und reicht bis hin zu den Mindestbeträgen als solchen. In den meisten Bundesländern entspricht das vergabespezifische Mindestentgelt dem Betrag nach mit 8,50 Euro brutto dem bundeseinheitlichen Mindestlohn. Einige gehen aber auch darüber hinaus, so regelt beispielsweise § 4 Abs. 3 des Tariftreue und Vergabegesetzes Schleswig-Holstein – TTG ein vergabespezifisches Mindeststundenentgelt von 9,18 Euro brutto und § 4 Abs. 3 TVgG-NRW ein Mindeststundenentgelt von 8,85 Euro brutto (vgl. Beitrag „TVgG-NRW: Neuer vergabespezifischer Mindestlohn in NRW – Auswirkungen auf laufende Verfahren und Verträge“ von Dr. Alexander Fandrey bei: Vergabeblog.de vom 29/01/2015, Nr. 21399).

LTMG inhaltlich nicht deckungsgleich mit MiLoG

Doch selbst, soweit das vergabespezifische Mindestentgelt seinem Betrag nach dem Mindestlohn gemäß MiLoG entspricht, bestehen in Inhalt und Reichweite einige Unterschiede, wie das Beispiel des baden-württembergischen LTMG zeigt. So wird die Höhe dieses Mindestentgelts im Gegensatz zum Mindestlohn nach MiLoG nicht jährlich überprüft. Zudem sieht das LTMG – anders als das MiLoG – keine Übergangsregelung bis 2017 für niedrigere, für allgemeinverbindlich erklärte Tariflöhne nach dem AEntG vor. Das bedeutet: eine nach dem MiLoG im Übergangszeitraum explizit zulässige Mindestlohnunterschreitung kann dennoch unvereinbar mit den Vorgaben des LTMG sein. Das Prinzip der Meistbegünstigung gemäß § 4 Abs. 1 LTMG enthält keine Ausnahme. Auch reicht die Verantwortlichkeit für eingesetzte Nach- und Verleihunternehmer nach dem MiLoG nicht so weit wie diejenige gemäß § 6 Abs. 2 LTMG. Der Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 21 Abs. 2 MiLoG erfasst nur Verstöße von Dritten, durch die ein Unternehmen Werk- oder Dienstleistungen „in erheblichem Umfang“ ausführen lässt.

Man kann aber gleichwohl nicht ohne weiteres sagen, dass die Vorschriften des LTMG immer strenger wären, als diejenigen des MiLoG. Das zeigt sich an den verschiedenen Ausnahmevorschriften: das MiLoG erfasst z.B. bestimmte Praktikanten und Langzeitarbeitslose nicht (vgl. § 22 MiLoG), während das LTMG für Auszubildende nicht gilt (vgl. § 4 Abs. 1 LTMG). Und nicht zuletzt gilt das LTMG gemäß § 2 Abs. 1 nur für Bau- und Dienstleistungen, Lieferleistungen sind vollständig von seinem Anwendungsbereich ausgenommen. Das MiLoG unterscheidet demgegenüber in Bezug auf die Zuverlässigkeit nicht danach, ob sich ein rechtsbrüchiges Unternehmen gerade um einen Bau-, Liefer- oder Dienstleistungsauftrag bewirbt (vgl. § 19 Abs. 1 MiLoG).

Das Mindestentgelt ist nur durch öffentliche Auftraggeber durchsetzbar

Der wichtigste Unterschied liegt aber wohl in den Mechanismen zur Um- und Durchsetzung. Das MiLoG hat eine gesetzliche Pflicht zur Zahlung eines Mindestlohns und umfangreiche Dokumentations- und Nachweisanforderungen eingeführt, sowie Kontrolle und Durchsetzung den Zollbehörden übertragen. Die Zahlung des Mindestentgelts nach dem LTMG hingegen kann und muss allein durch die öffentlichen Auftraggeber im Vergabeverfahren durch Verpflichtungserklärungen und im Wege der Vertragsgestaltung sichergestellt werden. Öffentliche Auftraggeber dürfen nur Unternehmen beauftragen, die sich und all ihre Nach- und Verleihunternehmer bei Angebotsabgabe zur Tariftreue bzw. zur Zahlung des Mindestentgelts verpflichten (vgl. §§ 3 Abs. 1, 4 Abs.1, 6 LTMG). Bieter müssen für jeden Verstoß Vertragsstrafen von bis zu einem Prozent, maximal aber 5 Prozent des Auftragswerts und einem fristlosen Kündigungsrecht zustimmen (§ 8 LTMG). Versäumt ein Auftraggeber entsprechende Vorkehrungen im Vergabeverfahren, sind Unternehmen nicht schon gesetzlich zur Zahlung des Mindestentgelts nach LTMG verpflichtet.

Zwar sieht auch das LTMG in § 8 Abs. 3 die Möglichkeit einer Vergabesperre bei einem schuldhaften Verstoß gegen seine Bestimmungen vor und betrifft insoweit auch die Eignungsebene. Die für die Praxis wichtigen Details einer Überprüfung regelt das LTMG allerdings nicht. Es verpflichtet öffentliche Auftraggeber auch nicht zu Kontrollen (die sie in den meisten Fällen wohl ohnehin nicht leisten könnten), sondern regelt lediglich allgemein Kontrollbefugnisse.

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Fazit

Inhalt und Reichweite des Mindestentgelts nach LTMG und des bundeseinheitlichen Mindestlohns unterscheiden sich. Auch in ihrer Wirkungsweise und Bedeutung für das Vergabeverfahren unterscheiden sich die Regelungen voneinander. Solange die landesgesetzlichen Bestimmungen nicht durch den Europäischen Gerichtshof (vgl. Beitrag „Mindestlohn- und Tariftreueregelungen in Vergabeverfahren: Vergabespezifischer Mindestlohn vereinbar mit europäischem Recht? (OLG Koblenz, Beschl. v. 19.02.2014 – 1 Verg 8/13)“ von Dr. Martin Ott, bei: Vergabeblog.de vom 12/06/2014, Nr. 19224) oder den jeweiligen Landesgesetzgeber „gekippt“ werden, müssen öffentliche Auftraggeber daher auch nach Einführung des Mindestlohns weiterhin die landesrechtlichen Vorgaben in Bezug auf vergabespezifische Mindestentgelte beachten.

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Über Dr. Valeska Pfarr, MLE

Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.

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