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EuGH klärt den Begriff „Mindestlohnsatz“ entsandter Arbeitnehmer (EuGH Urteil v. 12.2.2015 – C – 396/13)

Nachfolgend die Presseerklärung EuGH:

Die Entsenderichtlinie (Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. 1997, L 18, S. 1)) sieht vor, dass in Bezug auf die Mindestlohnsätze die entsandten Arbeitnehmern garantierten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen durch die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats und/oder im Bausektor durch im Aufnahmemitgliedstaat für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge festgelegt sind.

Nach dem finnischen Gesetz über die Entsendung von Arbeitnehmern gilt als Mindestlohn die in einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag festgelegte Vergütung.

Elektrobudowa Spółka Akcyjna (ESA), ein polnisches Unternehmen, schloss in Polen nach polnischem Recht Arbeitsverträge mit 186 Arbeitnehmern und entsandte diese dann an ihre finnische Zweigniederlassung zur Ausführung von Elektroarbeiten auf der Baustelle des Kernkraftwerks Olkiluoto in Eurajoki, Finnland.

Da die betroffenen Arbeitnehmer der Auffassung sind, ESA habe ihnen nicht den Mindestlohn gezahlt, der ihnen nach den finnischen allgemeinverbindlichen Tarifverträgen für die Stromwirtschaftsbranche und für die Haustechnikbranche zustehe, haben sie ihre Forderungen einzeln zur Einziehung auf Sähköalojen ammattiliitto (finnische Gewerkschaft für die Elektrizitätsbranche) übertragen.

Vor dem Satakunnan käräjäoikeus (erstinstanzliches Gericht Satakunta) trägt Sähköalojen ammattiliitto vor, dass die Tarifverträge eine Berechnung des Mindestlohns der Arbeitnehmer nach für diese günstigeren Kriterien als den von ESA angewandten vorsähen. Diese Kriterien beträfen u. a. die Art der Einteilung der Arbeitnehmer in Lohngruppen, der Einordnung einer Vergütung (als Zeit- oder Akkordlohn) und der Gewährung von Urlaubsgeld, Tagegeld und Wegezeitentschädigung sowie die Übernahme der Unterbringungskosten der Arbeitnehmer. ESA macht u. a. geltend, dass Sähköalojen ammattiliitto nicht befugt sei, im Namen der entsandten Arbeitnehmer zu klagen, weil das polnische Recht die Übertragung von Forderungen aus einem Arbeitsverhältnis verbiete.

Das Satakunnan käräjäoikeus fragt den Gerichtshof, ob das in der Charta der Grundrechte verankerte Recht auf wirksamen   Rechtsschutz   es verbietet, dass die Regelung eines Mitgliedstaats, nach der die Übertragung von Forderungen aus Arbeitsverhältnissen untersagt ist, eine Gewerkschaft daran hindern kann, bei einem Gericht des Aufnahmemitgliedstaats eine Klage zu erheben, um Lohnforderungen einzuziehen, die entsandte Arbeitnehmer auf sie übertragen haben. Das vorlegende Gericht möchte ferner wissen, ob die Entsenderichtlinie dahin auszulegen ist, dass der Begriff „Mindestlohnsätze“ die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Lohnbestandteile umfasst, wie sie in einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag definiert sind.

In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass sich die Klagebefugnis von Sähköalojen ammattiliitto vor dem vorlegenden Gericht nach dem finnischen Verfahrensrecht bestimmt und sich aus der Entsenderichtlinie eindeutig ergibt, dass sich Fragen, die den Mindestlohnsatz betreffen, unabhängig von dem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht nach dem Recht des Aufnahmemitgliedstaats, hier also Finnland, bestimmen. Im vorliegenden Fall besteht kein Grund, der geeignet wäre, die Klage, die die Sähköalojen ammattiliitto beim Satakunnan käräjäoikeus erhoben hat, und damit das durch die Charta gewährleistete Recht auf wirksamen Rechtsschutz in Frage zu stellen.

Des Weiteren weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Richtlinie eine doppelte Zielsetzung verfolgt. Zum einen bezweckt sie, zwischen inländischen Unternehmen und Unternehmen, die länderübergreifende Dienstleistungen erbringen, einen lauteren Wettbewerb sicherzustellen, und zum anderen, den entsandten Arbeitnehmern zu garantieren, dass ein Kern zwingender Bestimmungen des Aufnahmemitgliedstaats über ein Mindestmaß an Schutz beachtet wird. Diese Richtlinie hat jedoch nicht den materiell-rechtlichen Inhalt dieser Bestimmungen harmonisiert, auch wenn sie einige Informationen hierzu liefert.

So verweist die Richtlinie für die Bestimmung der Mindestlohnsätze ausdrücklich auf die Rechtsvorschriften oder Praktiken des Aufnahmemitgliedstaats, wobei diese Definition allerdings nicht zu einer Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten führen darf. Daraus folgt, dass die Art und Weise der Berechnung des Mindestlohnsatzes und die dafür herangezogenen Kriterien ebenfalls in die Zuständigkeit des Aufnahmemitgliedstaats fallen müssen.

Nach diesen Erwägungen gelangt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die Richtlinie einer Berechnung des Mindeststundenlohns und/oder Mindestakkordlohns auf der Grundlage der Einteilung der Arbeitnehmer in Lohngruppen nicht entgegensteht, sofern diese Berechnung und diese Einteilung nach zwingenden und transparenten Vorschriften vorgenommen werden, was zu prüfen Aufgabe des nationalen Gerichts ist.

Ferner wird das Tagegeld, das den sozialen Schutz der betroffenen Arbeitnehmer gewährleisten soll, indem es die durch die Entsendung entstehenden Nachteile ausgleicht, den Arbeitnehmern nicht als Erstattung für infolge der Entsendung tatsächlich entstandene Kosten gezahlt. Folglich ist es als Entsendungszulage einzustufen und somit gemäß der Richtlinie unter den gleichen Bedingungen als Bestandteil des Mindestlohns anzusehen, wie sie für seine Einbeziehung in den Mindestlohn gelten, der einheimischen Arbeitnehmern bei ihrer Entsendung innerhalb des betreffenden Mitgliedstaats gezahlt wird.

Darüber hinaus ist eine Entschädigung für die tägliche Pendelzeit, da sie nicht als Erstattung von Kosten, die dem Arbeitnehmer infolge der Entsendung tatsächlich entstanden sind, gezahlt wird, gemäß der Richtlinie als Entsendungszulage und somit als Bestandteil des Mindestlohns zu betrachten.

Die Übernahme der Kosten für die Unterbringung der betreffenden Arbeitnehmer durch ESA und die Ausgabe von Essensgutscheinen an die Arbeitnehmer, die gewährt werden, um die den Arbeitnehmern infolge ihrer Entsendung tatsächlich entstandenen Lebenshaltungskosten zu erstatten, können hingegen keine Bestandteile des Mindestlohns darstellen.

Hinsichtlich der Zahlung einer Vergütung während des Urlaubs weist der Gerichtshof darauf hin, dass jeder Arbeitnehmer das Recht auf bezahlten Jahresurlaub hat. Folglich ist die Richtlinie dahin auszulegen, dass die Vergütung, die dem entsandten Arbeitnehmer für die Dauer des bezahlten Mindestjahresurlaubs zu gewähren ist, dem Mindestlohn entspricht, auf den dieser Arbeitnehmer im Referenzzeitraum Anspruch hat.

Quelle: EuGH

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