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Unzulässigkeit nachträglicher Änderungen in den Vergabeunterlagen – zur Abgrenzung zwischen Präzision und Modifikation (VK Sachen-Anhalt, Beschl. v. 29.09.2015 – 3 VK LSA 65/15)

EntscheidungRechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte wirkt Verstößen gegen Transparenz, Diskriminierung und Wertungsfehlern effektiv entgegen. Verfahrensrelevante Unterlagen sind bereits in der Bekanntmachung eindeutig und erschöpfend zu fordern; ebenso müssen die aufgestellten Zuschlagskriterien konsequent angewendet werden. Eine nachträgliche Präzisierung ist zulässig, wenn nicht die Grenzen zur Verschärfung, Erleichterung, Rücknahme oder Neuaufnahme überschritten werden.

§§ 19 II 4 LVG LSA; 2 I, 12 II, 16 VII VOL/A; 9 I Nr. 1 LVG LSA

Leitsatz (Aus dem Rubrum der Entscheidungsschrift)

„Aus Gründen der Transparenz der von den Bietern zu erfüllenden Anforderungen verlangt § 12 Abs. 2 VOL/A, dass vorzulegende Unterlagen und die Zuschlagskriterien bereits in der Bekanntmachung genannt werden. Diese können in anderen Unterlagen, z. B. den Vergabeunterlagen, lediglich präzisiert, aber keinesfalls verschärft, erleichtert, zurückgenommen oder neu eingeführt werden.Gemäß § 8 VOL/A müssen die Vergabeunterlagen alle Angaben umfassen, die erforderlich sind, um eine Entscheidung zur Teilnahme am Vergabeverfahren oder zur Angebotsabgabe zu ermöglichen. Unter anderem enthalten die Vergabeunterlagen die Beschreibung der Einzelheiten der Durchführung des Verfahrens (Bewerbungsbedingungen), einschließlich der Angabe der Zuschlagskriterien, sofern nicht in der Bekanntmachung bereits genannt sind.“

Sachverhalt

Aus dem Beschluss: „Mit der Veröffentlichung im April 2015 im Ausschreibungsblatt Sachsen-Anhalt schrieb der Antragsgegner im Wege der Öffentlichen Ausschreibung auf der Grundlage der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL/A) die Leistung IT Support Leistungen, Wartung, Administration der informations- und kommunikationstechnischen Anlagen und Geräten an Schulstandorten in Trägerschaft des Landkreises … (Los 1 und 2) aus.“ (…) Und weiter heißt es: „Mit Schreiben vom 10. Juli 2015 unterrichtete der Antragsgegner den Antragsteller darüber, dass sein Angebot von der Wertung ausgeschlossen werde. Zur Begründung führt der Antragsgegner an, dass der Antragsteller keinen Nachweis zur Vertretung erbracht habe, so dass davon auszugehen sei, dass die Leistung im Verhinderungsfall nicht erbracht werden könne.“ Der Antragsteller begehrt nun vor der Vergabekammer, dass sein Angebot nicht ausgeschlossen bleibe und die Vergabestelle des Landkreises seine Offerte gemäß des bekanntgegebenen Nachweiskataloges und der Zuschlagskriterien in die Wertung einzubeziehen sei.

Die Entscheidung

Aus der Begründung des Beschlusses:

„Die Entscheidung des Antragsgegners, das Angebot des Antragstellers auszuschließen, verstößt gegen das Transparenzgebot und Diskriminierungsverbot des § 2 Abs. 1 VOL/A, gegen § 16 Abs. 7 VOL/A sowie gegen § 9 Abs. 1 Nr. 1 LVG LSA. Gemäß § 2 Abs. 1 VOL/A werden Aufträge im Wege transparenter Vergabeverfahren an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige (geeignete) Unternehmen zu angemessenen Preisen vergeben. Dabei darf kein Unternehmen diskriminiert werden. Gemäß § 16 Abs. 7 VOL/A berücksichtigen die Auftraggeber bei der Wertung der Angebote vollständig und ausschließlich die Kriterien, die in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen genannt sind. Nach § 9 Abs. 1 LVG LSA kann der öffentliche Auftraggeber zusätzliche Bedingungen für die Ausführung des Auftrags vorschreiben, wenn diese in der Bekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen angegeben werden. Die Prüfung und Wertung der Angebote im streitigen Vergabeverfahren wurde durch den Antragsgegner mit dem Ergebnis abgeschlossen, den Zuschlag für das Los 1 an den Antragsteller zu erteilen.“

Rechtliche Würdigung

Die vergabefachliche Empfehlung des mit der Durchführung des Beschaffungsverfahrens befassten Fachdienstes in der Kreisverwaltung enthielt bereits eine tragfähige Entscheidung zu Gunsten des Antragstellers, die erst durch (unzulässige) Erwägungen des Ausschusses für Bau, Wirtschaft und Verkehr, die Vergabestelle veranlassten, die Prüfung und Wertung der Angebote unter Berücksichtigung neu aufgeworfener Fragestellungen des Gremiums erneut vorzunehmen.

In der Interpretation des Gliederungspunktes 2.2 des Leistungsverzeichnisses „Servicezeiten, Reaktionszeiten, Lösungszeiten“ wird nun dem Antragsteller auferlegt nachzuweisen, wie er parallel existierende Störungen an verschiedenen Orten bewältigen wolle und inwieweit eine allgemeine Vertretungsregelung bestehe. Im vorliegenden Fall tritt erkenntnisreich zu Tage, dass die Interpretationen des Leistungsverzeichnisses sowie der Zuschlagskriterien über die in der Bekanntmachung festgelegten Parameter hinaus gehen und die Vergleichbarkeit der Angebote und damit die Transparenz im Beschaffungsprozess verfahrensrelevant in Frage stellen. Die grundsätzlich richtigen Überlegungen des Ausschusses müssten jedoch, um im Verfahren belastbar zu werden, zuvor allen Unternehmern publik gemacht worden sein; Unklarheiten in der Leistungsbeschreibung gehen zu Lasten des öffentlichen Auftraggebers (s. BGH – Az VII ZR 227/11, Urteil vom 12.09.2013). Es verstößt immanent gegen den Grundsatz der Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns, wenn dieser im laufenden Vergabeverfahren, die Eckpunkte neu definiert und Angebote, die in Übereinstimmung mit den für alle anderen bekannten Standards, eingereichten Unterlagen verwirft und durch Ausschluss einem wettbewerblichen Vergleich entzieht. Anhand der Vergabeunterlagen wäre es für keinen Unternehmer möglich gewesen, auf eine Mindestanzahl von eingesetzten und qualifizierten Arbeitskräften schließen zu können, sowie die Fähigkeiten  zum Abstellen flächendeckender Systemausfälle garantieren und im Bedarfsfall auch leisten zu müssen.

Die Grenze von der Präzision zur Modifikation ist im Einzelfall zu überprüfen und wird immer dann in unzulässiger Weise überschritten, wenn etwa die Zuschlagskriterien nach Eingang der Angebote in anderer Weise verstanden werden müssen bzw. sie nicht von vorneherein deutbar sind (s.a. VK Münster – Az VK 13/14, Beschluss vom 02.10.2014). Klarstellungen und Präzisierungen können nur in den Grenzen des vergaberechtlich konkreten „status quo“ erfolgen. Andere als einschlägige vergaberechtliche Argumente konnten weder vom Ausschuss des Landkreises für Bau, Wirtschaft und Verkehr noch von der Vergabestelle vorgebracht werden. Insofern stellte sich dem Autor wie der Vergabekammer die Frage, weshalb der verfahrensführende Fachdienst, der die Leistungsfähigkeit des Antragstellers auch im Rahmen der Nachfragen beim betroffenen Bieter mehrfach attestierte, selbst den Ausschluss vornahm.

Die begrüßenswerte vorliegende Entscheidung der 3. Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt hält uns erneut und in aller Klarheit eindringlich vor Augen, dass Transparenz und Verfahrensgerechtigkeit zu den konstitutiven Elementen eines Vergabeverfahrens zählen. An diesem Beispiel erweist sich zudem das nach Landesrecht für Beschaffungen unterhalb der Schwellenwerte eingeräumte Nachprüfungsverfahren als wertvolles Korrektiv und wirkungsvolles Instrument gegen vergaberechtliche Fehlentscheidungen ohne die Verfahrensökonomie zu schmälern bzw. einen Rechtsmissbrauch befürchten zu müssen (s. hierzu Nachprüfungsstatistiken der Bundesländer Thüringen und Sachsen-Anhalt).

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Praxistipp

Kommunale Mandatsträger in deren Aufgabengebiet die Entscheidung/Beschlussempfehlung über die Vergabe öffentlicher Aufträge fällt, sollten einer Fortbildungsverpflichtung in Bezug auf die Beschaffungsgrundsätze unterliegen. Die Rechnungshofberichte der Länder stellen immer wieder dar, dass vergaberechtliche Bedenken/Vorschläge der verfahrensführenden Stellen von den Ausschüssen und entscheidenden Organen der kommunalen Selbstverwaltungseinrichtungen rechtsfehlerhaft abgeändert oder verworfen werden. Die Wahrnehmung dieser Aufgaben liegt im öffentlichen Interesse; daher sollte die Qualifizierung der Mandatsträger aus dem allgemeinen Haushalt erfolgen, anstatt es den Fraktionen finanziell und organisatorisch zu überlassen; dieses schließt Freistellungen aufgrund landesrechtlicher Regelungen ein. Hierdurch wird auch das Einbeziehen sachfremder Erwägungen in den Vergabeverfahren zurückgedrängt und die Neutralität des Beschaffungspersonals und ihrer vorgesetzten Ebenen im Spannungsfeld vergaberechtlicher und kommunalpolitischer Interessen gestärkt.

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