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Keine vergaberechtliche Ausschlussfrist für Schadensersatzansprüche (EuGH, Urt. v. 26.11.2015 – Rs. C-166/14 – MedEval)

Entscheidung EUIst ein Vertrag erst mal geschlossen, bleibt übergangenen Interessenten oft nur noch die Klage auf Schadensersatz. Doch ist dafür ohne vorherige Rüge oder Nachprüfungsverfahren überhaupt noch Raum? Der Verwaltungsgerichtshof bezweifelte die Europarechtskonformität der Rechtslage in Österreich.

Art. 1, 2, 2c, 2d, 2f RL 89/665

Leitsatz

Das Recht der Europäischen Union, insbesondere der Grundsatz der Effektivität, steht einer nationalen Regelung entgegen, nach der die Erhebung einer Klage auf Schadensersatz wegen eines vergaberechtlichen Verstoßes von der vorherigen Feststellung abhängig gemacht wird, dass das Vergabeverfahren mangels vorheriger Bekanntgabe rechtswidrig war, und der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit binnen einer sechsmonatigen Ausschlussfrist gestellt werden muss, die ab dem auf die Zuschlagserteilung folgenden Tag zu laufen beginnt und zwar unabhängig davon, ob der Antragsteller von der Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers Kenntnis haben konnte.

Sachverhalt

Das österreichische Vergaberecht lässt Schadensersatzklagen wegen bestimmter Vergaberechtsverstöße nur zu, wenn letztere zuvor durch eine Vergabekontrollbehörde festgestellt wurden (vgl. § 341 BVergG). Ähnlich wie § 101b Abs. 2 GWB regelt auch das österreichische Bundesvergabegesetz, dass die Feststellung einer vergaberechtswidrigen de facto-Vergabe binnen 6 Monaten ab dem auf die Zuschlagserteilung folgenden Tag beantragt werden muss, ohne dass es auf eine entsprechende Kenntnis ankommt.

In dem entschiedenen Fall ging es um einen direkt vergebenen Auftrag für ein Pilotprojekt österreichischer Krankenkassen. Ein Unternehmen, das an diesem Auftrag interessiert gewesen wäre, wendete sich erst knapp neun Monate nach Vertragsschluss gegen die aus seiner Sicht rechtswidrige de facto-Vergabe. Das Bundesvergabeamt wies den entsprechenden Feststellungsantrag als verspätet und damit unzulässig zurück. Auch eine Schadensersatzklage wäre damit nicht mehr zulässig gewesen.

Das Beschwerdegericht befragte den EuGH zur Vereinbarkeit dieser Rechtslage mit der Rechtsmittelrichtlinie 89/665 sowie den Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität.

Die Entscheidung

Der EuGH differenziert in seiner Entscheidung. Für sich genommen ist eine Sechs-Monats-Frist für Klagen auf Feststellung der Unwirksamkeit geschlossener Verträge demnach nicht zu beanstanden. Auch ist eine Regelung, die Schadensersatzklagen von der vorherigen Feststellung eines Vergaberechtsverstoßes abhängig macht, durch Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 89/665 explizit zugelassen.

Die im österreichischen Recht hergestellte Verbindung zwischen beidem führt jedoch dazu, dass für Schadensersatzklagen bei de facto-Vergaben eine sechsmonatige Ausschlussfrist gilt, die unabhängig von der Kenntnis des Betroffenen zu laufen beginnt. Nach Ablauf der Frist hätte dieser also keine der in Richtlinie 89/665 vorgesehenen Rechtsbehelfe gegen eine de facto-Vergabe mehr. Dies aber ist unvereinbar mit dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Effektivität.

Rechtliche Würdigung

Die Rechtslage in Deutschland unterscheidet sich von derjenigen in Österreich. Gemäß § 124 Abs. 1 GWB (bzw. § 179 Abs. 1 GWB E) binden bestandskräftige Entscheidungen vergaberechtlicher Spruchkörper zwar ordentliche Gerichte in anschließenden Schadensersatzprozessen. Anerkannt ist aber, dass Schadensersatzklagen auch ohne vorheriges Nachprüfungsverfahren zulässig sind (vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 23.12.2014, Az.: 2 U 74/14; OLG Koblenz, Beschluss vom 06.06.2013 – 2 U 522/12; OLG Dresden, Urteil vom 10.02.2004, Az: 20 U 1697/03). Die Frage nach der Reichweite vergaberechtlicher Zulässigkeitsvoraussetzungen und Fristen stellt sich daher nicht.

Zumindest bei erkannten Vergaberechtsverstößen ist der Verzicht auf vergaberechtlichen Rechtschutz aber auch nach deutschem Recht nicht ganz ohne Risiko. Wenn ein Bieter Vergaberechtsverstöße nämlich erkannt hat und schuldhaft nicht rügt oder nicht durch rechtzeitigen Nachprüfungsantrag seine Chance auf Erhalt des Zuschlags zu wahren sucht, kann ihm Mitverschulden vorzuwerfen sein. Dies kann seinen Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses (und damit insbesondere des entgangenen Gewinns) gemäß § 254 BGB mindern oder sogar entfallen lassen (vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 23.12.2014, Az.: 2 U 74/14).

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Praxistipp

Bei nicht mehr angreifbaren de facto-Vergaben dürfte es schwer fallen, einen kausalen Schaden darzulegen. Der Betroffene hatte keine Angebotserstellungskosten und der Inhalt seines Angebots ist ebenso offen wie dessen Aussicht auf Zuschlag. Mit Blick auf ein mögliches Mitverschulden dürfte Bietern allerdings auch in anderen Fällen zu raten sein, vergaberechtlichen Primärrechtschutz nicht zu überspringen.

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Über Dr. Valeska Pfarr, MLE

Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.

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