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EuGH-Urteil: ARD und ZDF sind öffentliche Auftraggeber!

Bei den deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten handelt es sich um öffentliche Auftraggeber, diese haben daher das Vergaberecht zu beachten – so der EuGH in seinem Urteil vom 13.12.2007 (C-337/06). In dem zur Entscheidung vorgelegten Sachverhalt wurden Reinigungsarbeiten im Umfang von 1,2 Millionen Euro in der Gebühreneinzugszentrale (GEZ) ohne europaweite Ausschreibung vergeben, statt dessen elf Firmen direkt um Abgabe eines Angebots ersucht. Das Urteil dürfte weitreichende Auswirkungen haben, zum einen auf die unmittelbare Beschaffung von ARD und ZDF wie deren Beteiligungsfirmen, zum anderen im Innenverhältnis zu deren Tochterfirmen (Inhousevergabe nur unter den sehr restriktiven Voraussetzungen des EuGH möglich).

Eine der Reinigungsfirmen hatte, nach Mitteilung, den Auftrag nicht zu erhalten, Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer (VK) der Bezirksregierung Köln eingereicht, da der Vergabe des Auftrags keine förmliche Ausschreibung zu Grunde lag. Die VK gab dem Antrag statt, da der Auftrag außerhalb der eigentlichen Rundfunktätigkeit liege. Hiergegen legten die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Beschwerde beim OLG Düsseldorf ein: Dieses hatte zu entscheiden, ob es sich bei ARD und ZDF um „Einrichtungen des öffentlichen Rechts“ und damit um öffentliche Auftraggeber im Sinne des Art. 1 lit. b Abs. 2 der Richtlinie 92/50/EG handelt:

„b) gelten als öffentliche Auftraggeber (im folgenden Auftraggeber genannt) der Staat, Gebietskörperschaften, Einrichtungen des öffentlichen Rechts…

Als Einrichtung des öffentlichen Rechts gilt jede Einrichtung,
– die zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, die nicht gewerblicher Art sind, und
– die Rechtspersönlichkeit besitzt und
– die überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert wird“

Das OLG bejahte dies insoweit, als dass sie Einrichtungen seien, die zu einem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art erfüllten und Rechtspersönlichkeit besäßen. Fraglich war allerdings, ob sie auch „überwiegend vom Staat/ anderen öffentlichen Auftraggebern finanziert“ würden. Dies verneinten die Beschwerdeführer, da die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks überwiegend durch Gebühren der Rundfunkteilnehmer erfolge und es in dieser Hinsicht weder eine staatliche Finanzierung noch eine staatliche Aufgabe gäbe.

In der deutschen Rspr. wird z.T. vertreten, dass zur Bejahung einer überwiegenden staatlichen Finanzierung ein direktes Kausalverhältnis zwischen Finanzierung und Staat erforderlich ist, die Finanzierung müsse direkt und unmittelbar dem Staatshaushalt entstammen. Nach a.A. wird vertreten, dass es genüge, wenn eine gesetzliche Grundlage Einzelpersonen zur Zahlung einer Gebühr verpflichte, durch die die Finanzierung gesichert werde. Auf solche durch Zwangsgebühr finanzierten und damit nicht den Gesetzes des Marktes unterliegenden Einrichtungen seien die Gemeinschaftsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge anwendbar. Die Beantwortung dieser schwierigen Frage legte das OLG dem EuGH vor und setze das Verfahren aus.

Der EuGH bejahte dabei zunächst das „Überwiegen“ der streitgegenständlichen Finanzierungsart, da die Einkünfte der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zur mehr als der Hälfte aus Gebühren stammen. Bei der Beurteilung der „Staatlichkeit“ der Finanzierung komme es, so der EuGH, nicht darauf an, ob die Finanzmittel unmittelbar dem Staatshaushalt oder einer anderen Einrichtung des öffentlichen Rechts entstammten. Vielmehr sei auf den Zweck der EU-Richtlinien auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens abzustellen: Danach solle eine Bevorzugung einheimischer Bieter vermieden werden und zugleich ausgeschlossen werden, dass eine vom Staat finanzierte oder kontrollierte Stelle sich von anderen als Wirtschaftlichkeitsüberlegungen leiten lässt. Der Begriff des „öffentlichen Auftraggebers“ sei funktionell zu verstehen. Hauptziel sei der freie Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten und „die Öffnung für einen unverfälschten und möglichst umfassenden Wettbewerb“. Im Lichte dieser Ziele sei die Finanzierung zu beurteilen, was einschließe, auch den „Begriff der Finanzierung durch den Staat“ funktionell zu verstehen.

Ausgehend davon kommt der EuGH zu folgendem Schluß: Die vorliegende Art der Finanzierung durch Erhebung der Rundfunkgebühren sei als „staatliche Finanzierung“ zu qualifizieren: Sie finde Ihre Grundlage im Rundfunkstaatsvertrag, sei also gesetzlich auferlegt und „keine Gegenleistung für die tatsächliche Inanspruchnahme der Dienstleistung“. Zudem sei auch die Höhe der Gebühr nicht das Ergebnis einer vertraglichen Beziehung zwischen den Rundfunkanstalten und den Verbrauchern, sondern durch eine förmliche Entscheidung der Landesparlamente- und Regierungen festgesetzt. Überdies würden die Gebühren „per Gebührenbescheid, also im Wege hoheitlichen Handelns“ erhoben und ggf. bei Zahlungsverzug im Verwaltungszwangsverfahren vollstreckt.

Das Gericht ging an dieser Stelle auch auf den von den Rundfunkanstalten eingebrachten Vergleich zu den – ebenfalls staatlich festgesetzten – Gebührenordnungen der Ärzte, Anwälte und Architekten ein. Der Unterschied bestehe darin, dass der Verbraucher hier freiwillig in eine Vertragsbeziehung eintrete.

Auch dürfe es keinen Unterschied machen, ob der Staat selbst das Geld erhebt und dann weiterreicht oder den Rundfunkanstalten dieses Recht selbst einräumt.

Da die Art der Finanzierung als staatlich i.S.v. des Art. 1 lit. b Abs. 2 der Richtlinie 92/50/EG zu werten sei und mithin die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten als „Einrichtungen des öffentlichen Rechts“ und damit als öffentliche Auftraggeber im Sinne des Gemeinschaftsrechts gelten, gelte für diese das Gemeinschaftsrecht zur Vergabe öffentlicher Aufträge.

Dabei seien nur die in Art. 1 lit. a der Richtlinie genannten Dienstleistungen (Kauf, Entwicklung, Produktion oder Koproduktion von Programmen durch Rundfunk- oder Fernsehanstalten sowie die Ausstrahlung von Sendungen) dem Anwendungsbereich der Richtlinie entzogen, diese mithin restriktiv auszulegen, weil Gründe kultureller und gesellschaftspolitischer Art eine Anwendung unangemessen erscheinen lassen.

Die Entscheidung des EuGH dürfte weitreichende Auswirkungen auf die unmittelbare Beschaffung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und ihrer Beteiligungsunternehmen haben. Auch hat das Gericht klar gestellt, dass die Ausnahmen eng zu fassen sind. Besondere Bedeutung hat die Entscheidung darüber hinaus aber auch für die Auftragsvergabe im Innenverhältnis zu den Tochtergesellschaften. Solche sog. Inhouse-Geschäfte sind nach stRspr. des EuGH nur unter sehr restriktiven Voraussetzungen möglich.

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Über Marco Junk [1]

Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW) [2]. Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer [3]und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom [4] tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck [5]. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom [6] und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. [7] Seit 2022 ist Marco Junk als Leiter Regierungsbeziehungen für das IT-Dienstleistungsunternehmen Atos [8] tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

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