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EuGH: Interkommunale Zusammenarbeit in Form einer Genossenschaft möglich

Eine bedeutsame Klarstellung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH): Danach (Urteil v. 13.11.2008 –  C-324/07) ist eine interkommunale Zusammenarbeit abseits des Anwendungsbereichs der europäischen Vergaberichtlinien möglich, wenn mehrere Gemeinden zusammen eine Genossenschaft bilden und über diese gemeinsam eine Kontrolle ausüben wie über eine eigene Dienststelle (gem. der bekannten „Teckal-Rechtsprechung“). Die Kontrolle müsse nicht zwingend individuell ausgeübt werden. Die Beauftragung der Genossenschaft durch eine der Gemeinden wäre dann ohne Beachtung des Vergaberechts – sprich „inhouse“ – möglich.

Die von mehreren Gemeinden getragene Genossenschaft betrieb u.a. die Verwaltung des gemeindlichen Kabelfernsehnetzes. Eine der Genossenschaft angehörende Gemeinde wollte nun an diese den Auftrag zur Verwaltung auch Ihres Kabelfernsehnetzes vergeben. Hiergegen klagte ein privater Netzbetreiber, der darin einen Verstoß gegen die EU-Vergaberichtlinien erblickte.

Bei dem streitgegenständlichen Auftrag handelte es sich nach Ansicht des EuGH um eine öffentliche Dienstleistungskonzession, da das Entgelt für die Netzverwaltung nicht von den beteiligten Gemeinden, sondern aus den Zahlungen der Netznutzer stamme. Dienstleistungskonzessionen unterfielen zwar grundsätzlich nicht den EU-Vergaberichtlinien, so der EuGH, gleichwohl seien aber auch in diesen Fällen die Grundregeln des EG-Vertrags (Diskriminierungsverbot, Gleichbehandlungsgrundsatz und Transparenzgebot) zu beachten. Eine Ausnahme hiervon liege – ebenso wie bei einer bestehenden Ausschreibungspflicht –  nur dann vor, wenn es sich um eine sog. „Inhouse-Vergabe“ handele. Nach der bekannten EuGH-Rechtsprechung (sog. Teckal-Rechtsprechung) setzt dies voraus, dass die den Auftrag vergebende öffentliche Stelle über die den Auftrag ausführende öffentliche Stelle (hier die Genossenschaft) eine Kontrolle ausübt wie über eine eigene Dienststelle und Letztere zugleich im Wesentlichen für die den Auftrag vergebende Stelle tätig wird (sog. Kontroll- und Wesentlichkeitskriterium).

Nach Ansicht des EuGH verrichtet die Genossenschaft ihre Tätigkeit im Wesentlichen für ihre Mitglieder, damit auch für die den Auftrag vergebende Gemeinde (Wesentlichkeitskriterium). Schwieriger zu beantworten war dagegen die Frage, ob die Gemeinde als nur ein Mitglied der Genossenschaft über diese eine Kontrolle ausübt wie über eine eigene Dienststelle (Kontrollkriterium): Hierzu müsse es der Gemeinde möglich sein, sowohl auf die strategischen Ziele als auch auf die wichtigen Entscheidungen der Genossenschaft ausschlaggebenden Einfluss zu nehmen, so der EuGH. Zur Beantwortung dieser Frage seinen alle Umstände zu berücksichtigen.

Für eine „Kontrolle“ durch die Gemeinden spreche demnach, dass der Verwaltungsrat der Genossenschaft zumindest mittelbar durch die Gemeinden beherrscht werde – diese stellen jeweils Vertreter für eine Generalversammlung, diese wiederum Delegierte für den Verwaltungsrat, an dem Dritte nicht beteiligt sind. Auch spreche dafür, dass die Gemeinden das gesamte Kapital der Genossenschaft halten. Interessanterweise verwies der EuGH in seiner Begründung aber auch darauf, dass die Genossenschaft keine kommerziellen sondern gemeindliche Absichten verfolge. Für die Bejahung des Kontrollkriteriums sei es nun aber ausreichend – und dies ist die Kernaussage des Urteils – auf eine Kontrolle abzustellen, die öffentliche Stellen, die Anteile an einer konzessionsnehmenden Einrichtung (Genossenschaft) halten, gemeinsam über diese ausüben. Die Kontrolle müsse wirksam sein, aber nicht individuell ausgeübt werden.

Zu verlangen, dass die Kontrolle durch eine der Genossenschaft angehörende Gemeinde unmittelbar ausgeübt werde, würde in Fällen wie diesem, bei dem sich mehrere öffentliche Stelle zusammengeschlossen haben, dazu führen, die betreffende Leistung ausschreiben zu müssen. Dies aber sei mit der Systematik der EU-Vergabevorschriften nicht vereinbar. Vielmehr müsse, so der EuGH, eine öffentliche Stelle die Möglichkeit haben, ihre im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben auch mit eigenen Mitteln zu erfüllen, ohne Zwang externe Dienstleister bemühen zu müssen. Daher sei es ausreichend, dass mehrere öffentliche Stellen, wenn sie gemeinsam Anteile an einer konzessionsnehmenden Einrichtung halten, ihre Kontrolle über diese Einrichtung gemeinsam ausüben.

Nachdem der Bundestag die Möglichkeit der Inhouse-Vergabe im aktuellen Gesetzentwurf zur Modernisierung des Vergaberechts gestrichen hat [1], dürften die Kommunen nun wieder etwas aufatmen können.

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Über Marco Junk [2]

Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW) [3]. Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer [4]und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom [5] tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck [6]. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom [7] und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. [8] Seit 2022 ist Marco Junk als Leiter Regierungsbeziehungen für das IT-Dienstleistungsunternehmen Atos [9] tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

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