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Konjunkturpaket: Bund beschließt pauschale Verkürzung der Verfahrensfristen für europaweite Ausschreibungen

Als eine Maßnahme zur Beschleunigung von Investitionen hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) in seinem Rundschreiben vom 29. Januar 2009 das beschleunigte Verfahren für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen oberhalb der EU-Schwellenwerte für zulässig erklärt, ohne dass das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes nachgewiesen werden muss. Dies ermöglicht die Durchführung auch europaweiter Ausschreibungen unter deutlich kürzeren Fristen. Eine zu übereifrige pauschale Verkürzung der Ausschreibungsfristen kann allerdings zu erheblichen rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken führen.

Das beschleunigte Verfahren für Liefer- und Dienstleitungen oberhalb der EU-Schwellenwerte ist im deutschen Vergaberecht in § 18a Nr. 2 VOL/A geregelt. Danach darf der öffentliche Auftraggeber in Fällen besonderer Dringlichkeit die Frist zur Abgabe des Teilnahmeantrages im Nichtoffenen Verfahren auf bis zu 10 Tage (bei elektronischer Übermittlung der Bekanntmachung) verkürzen. Auch die Frist zwischen Absendung der Angebotsaufforderung und Angebotsabgabe kann in diesen Fällen auf 10 Tage beschränkt werden.

Für die pauschale Anwendbarkeit des beschleunigten Verfahrens beruft sich das BMWi auf die Mitteilung der EU-Kommission vom 19. Dezember 2008 [1]. Darin hatte die EU-Kommission angesichts der aktuellen Wirtschaftslage den Rückgriff auf das beschleunigte Verfahren aus Gründen der Dringlichkeit für grundsätzlich gerechtfertigt erachtet. Nach Auffassung der EU-Kommission kann damit die Dauer europaweiter Ausschreibungsverfahren auf bis zu 30 Tage und damit um rund 2/3 der grundsätzlich anzusetzenden Zeit verkürzt werden.

Das BMWi hat die Empfehlungen der EU-Kommission in seinem Rundschreiben weitgehend übernommen [2]. Dies gilt allerdings – mangels entsprechender rechtskräftiger Regelung im deutschen Vergaberecht – nicht für die von der EU-Kommission genannte Stillhaltefrist von 10 Tagen. Die Möglichkeit einer derartigen Fristverkürzung bei Übermittlungen des Informationsschreibens per Fax oder auf elektronischen Wege wird erst mit Inkrafttreten der Vergaberechtsreform [3] (§ 101a S. 3 GWB-E) eröffnet. Bis dahin wird die in § 13 S.2 VgV festgelegte Frist von 14 Kalendertagen zwingend einzuhalten sein.

Auch unabhängig davon ist die von der EU-Kommission in Aussicht gestellte 30-Tage-Frist realistischerweise nicht einzuhalten. Die EU-Kommission hat bei ihrer Fristberechnung nämlich vergessen zu berücksichtigen, dass der öffentliche Auftraggeber im Nichtoffenen Verfahren sowohl die Teilnahmeanträge als auch die Angebote auch prüfen muss. Dazu benötigt er bereits bei Ausschreibungen mittlerer Komplexität in jedem Fall jeweils mehr als einen, viel wahrscheinlicher jedoch mindestens 3-4 Tage, zumal eine unsachgemäße Prüfung und Wertung der Anträge und Angebote zur Anfechtbarkeit des Ausschreibungsverfahrens führt.

Eine zu ehrgeizige Inanspruchnahme der Ausnahmeregelungen zur Fristverkürzung birgt zudem erhebliche rechtliche und wirtschaftliche Risiken. Bei aller Dringlichkeit darf nicht vergessen werden, dass die übrigen Regeln des Vergaberechts unverändert anwendbar bleiben. Dies gilt insbesondere auch für die Vorschrift zum zwingenden Ausschluss unvollständiger oder unsachgemäßer Anträge und Angebote (§ 25 Nr. 1 VOL/A). Je komplexer die Beschaffung ausgestaltet ist, desto mehr Zeit werden die Bieter benötigen, um ein wertbares und qualitativ hochwertiges Angebot abgeben zu können. Sind die Fristen zu kurz gesetzt, riskiert der öffentliche Auftraggeber, nur Angebote zu erhalten, die wenig aussagekräftig oder gar nicht erst wertbar sind.

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Über Julie Wiehler, LL.M. [4]

Die Autorin Julie Wiehler, LL.M., ist Rechtsanwältin und Partnerin der Kanzlei Frhr. v.d. Bussche Lehnert Niemann Wiehler Rechtsanwälte & Notare [5]. Sie berät und unterstützt Unternehmen und die öffentliche Hand bei öffentlichen Ausschreibungen sowie bei vergaberechtlichen Fragen in öffentlich geförderten Projekten.

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