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Gestern in Berlin: Vorstellung des ersten Präqualifizierungs-Systems für den VOL-Bereich

URL Ein durchaus “historisches” Ereignis gestern Mittag in Berlin. Im bis auf den letzten Stuhl besetzten Vortragssaal II im “Haus der Deutschen Wirtschaft” harrte der Großteil des Who´s Who der deutschen Vergabelandschaft auf die Vorstellung des ersten Präqualifizierungssystems für den VOL-Bereich. Für den Baubereich gibt es ein solches, wenngleich in wesentlichen Punkten verschiedenes, System bereits seit 2005 durch den “Verein für die Präqualifikation von Bauunternehmen e.V. [1]„. Die Präqualifizierung – also die vorgelagerte, auftragsunabhängige Prüfung der Eignungsnachweise – soll den Unternehmen erhebliche Zeit- und Kostenersparnisse bringen. Als erstes PQ-System für den Liefer- und Dienstleistungsbereich haben nun die Industrie- und Handelskammern bzw. die von ihnen getragenen Auftragsberatungsstellen die “bundesweite Präqualifizierungsdatenbank” als Serviceleistung für ihre Mitglieder ins Leben gerufen – ein Bericht:

Bewirbt sich ein Unternehmen um einen öffentlichen Auftrag, muss es neben seinem hoffentlich wirtschaftlichen Angebot auch seine fachliche Kompetenz, seine Leistungsfähigkeit und seine Zuverlässigkeit nachweisen. Hierzu ist – bei jeder Vergabe auf´s Neue – eine Vielzahl unterschiedlicher Dokumente, noch dazu von verschiedenen Stellen, einzuholen. Und nicht selten führt dabei eine fehlende oder nicht mehr hinreichend aktuelle Urkunde zum Ausschluss.

Auch das im Vorfeld der Vergaberechtsreform vom BMWi in Auftrag gegebene “Ramboll-Gutachten” kam zum ernüchternden Ergebnis, dass der bei öffentlichen Vergaben einzuhaltende Prozeß jährlich Bürokratiekosten in Höhe von 19 Mrd. Euro verursacht. Einer der Kostentreiber war dabei mit beachtlichen 10 % die Erbringung von Eignungsnachweisen. Die Politik reagierte, und so sieht der neue § 97 Abs. 4 a vor, dass Auftraggeber Präqualifikationssysteme “einrichten oder zulassen” können. Die nach wie vor gärende neue VOL/A wird in 6 Abs. 4 VOL/A bzw. § 7 Abs. 4 VOL/A-EG eine ähnliche Ermächtigungsgrundlage enthalten.

Die neue bundesweite Datenbank enthält Unternehmen aus dem Liefer- und Dienstleistungsbereich, die präqualifiziert sind. Sie haben zuvor in einem genau definierten Prozess ihre Eignung gegenüber einer Industrie- und Handelskammer (IHK) bzw. Auftragsberatungsstelle (Abst) nachgewiesen. Nach positiver Prüfung erhalten sie ein Zertifikat mit einem individuellen Unternehmenscode und werden in die Datenbank eingetragen. Diese – und damit die Antwort auf die Frage nach einer abgelegten und erfolgreich bestandenen PQ – ist webbasiert über einen üblichen Browser und ohne zusätzliche Software öffentlich für Jedermann einsehbar. Nur für die Einsichtnahme in die der PQ zugrunde liegenden amtlichen Dokumente und Nachweise bedarf es der Eingabe des individuellen “Unternehmenscodes”. Diesen erhält nur das präqualifizierte Unternehmen, dass den Code und damit diese Zugriffsberechtigung im Rahmen einer Vergabe dem jeweiligen öffentlichen Auftraggeber mitteilt – vernünftig. Zur Aktualisierung reichen die Unternehmen einmal im Jahr bei der PQ-Stelle, die für ihren (Haupt-)Betriebssitz zuständig ist, die vorgesehenen Dokumente nach der Liste der Eignungsnachweise ein. Die Liste der im Rahmen der PQ einzureichenden Nachweise finden Sie hier [2].

Einige Fragen bleiben jedoch: Bei den vorgehaltenen Nachweisen handelt es sich ausschließlich um auftragsunabhängige Nachweise. Oft werden aber – gerade bei komplexen Aufträgen – auch auftragsbezogene Unterlagen wie Referenzen von den Auftraggebern gefordert.

Bei über 30.000 Vergabestellen in Deutschland stellt sich insbesondere die Frage nach der Verbindlichkeit der PQ für die Auftraggeber. In Hessen und Sachsen-Anhalt ist per Erlass geregelt, dass das Zertifikat die Einzelnachweise ersetzt und daher von den öffentlichen Auftraggebern anerkannt werden muss. In § 97 Abs. 4 a GWB und in § 6 Abs. 4 VOL/A, § 7 Abs. 4 VOL/A-EG heisst es jedoch nur, dass öffentliche Auftraggeber bestehende PQ-Verfahren anerkennen können. Dies ist nur konsequent, denn weder der Gesetzgeber noch der für die VOL verantwortliche DVAL haben ein verbindliches System etabliert, was eine PQ-Stelle ausmacht und was nicht. Zweifellos dürfen die IHKs und Abst einen Vertrauensvorschuss in Anspruch nehmen – eine generelle Pflicht zur Anerkennung gibt es aber nicht, weshalb sich Bieter im Vorfeld erkundigen sollten, ob “ihr” Auftraggeber die PQ anerkennt.

Ein Detail des neuen Systems fällt ins Auge: Für die reine PQ, also die Abfrage nach der Zertifizierung eines bestimmten Unternehmens, würde die Suche nach dem Firmennamen bzw. – wenn bekannt – des Unternehmenscodes in der Datenbank völlig ausreichen. Tatsächlich ist es aber möglich, Anbieter auch nach Ort, Postleitzahl, CPV-Codes, geografischem Aktionsbereich bis hin zu einem 10/20/50/100 km-Umkreis zu recherchieren. Wozu, wenn nach Eingang des Teilnahmeantrags bzw. des Angebots das Unternehmen dem öffentlichen Auftraggeber bekannt ist? Die Freunde anderer Vergabearten werden es zu schätzen wissen.

Fazit: Die PQ auch für den Liefer- und Dienstleistungsbereich ist ein richtiger und ein längst überfälliger Schritt in Sachen Bürokratieabbau. Es bleibt abzuwarten, ob das jetzt vorgestellte System seinen Alleinstellungscharakter behalten wird oder ob nicht bald viele PQ-Stellen Dritter auf den Plan treten. Der Liefer- und Dienstleistungsbereich ist ein weites Feld mit vielen Besonderheiten und deshalb nicht mit dem überschaubaren Baubereich vergleichbar. Bei Einhaltung jedenfalls des hier vorgesehenen Verfahrens dürfen also auch andere PQ-Stellen einen berechtigten Anspruch auf Geltung gegenüber den öffentlichen Auftraggebern erheben. Und schon jetzt wenden einzelne Auftraggeber eigene Zertifizierungsverfahren an, wie z.B. die Deutsche Bahn AG.

Sie finden die Datenbank und weitere Informationen unter www.pq-vol.de [3].

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Über Marco Junk [4]

Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW) [5]. Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer [6]und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom [7] tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck [8]. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom [9] und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. [10] Seit 2022 ist Marco Junk als Leiter Regierungsbeziehungen für das IT-Dienstleistungsunternehmen Atos [11] tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

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