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„Ahlhorn-Rechtsprechung“ ist Geschichte! (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.06.2010, VII Verg 9/10)

Baugrund

Nun ist es amtlich: Die so genannte „Ahlhorn-Rechtsprechung“ ist Rechtsgeschichte! Fast auf den Tag genau drei Jahre nach dem unter dem Namen „Fliegerhorst Ahlhorn“ berühmt gewordenen Beschluss [1] ändert der Vergabesenat des OLG Düsseldorf in Folge des EuGH-Urteils „Wildeshausen“ seine Spruchpraxis zu Grundstücksgeschäften der öffentlichen Hand.

Nachdem der EuGH der vielfach kritisierten Rechtsprechung des OLG Düsseldorf in zentralen Punkten eine Absage erteilte hatte [2], war der erste Beschluss des Vergabesenats zur EU-weiten Ausschreibungspflicht von Investorenprojekten mit Spannung erwartet worden. Diese Woche war es dann so weit (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.06.2010, VII Verg 9/10 – „Haan“). Die Düsseldorfer Richter ändern ihre bisherige Spruchpraxis und schaffen damit eine verlässliche Rechtslage für Kommunen und Investoren.

Das Wildeshausen-Urteil: Städtebauliche Interessen begründen keine Ausschreibungspflicht

Die Euphorie nach dem „Wildeshausen-Urteil [3]“ (EuGH, Urteil vom 25.03.2010 – Rs. C-451/08) war groß: Der EuGH stellte klar, dass ein öffentlicher Bauauftrag zwingend erfordert, dass der öffentliche Auftraggeber ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse an der zu beschaffenden Bauleistung hat. Die Ausübung städtebaulicher Regelzuständigkeiten stellt laut EuGH jedenfalls kein unmittelbares wirtschaftliches Interesse dar. Dem schließt sich das OLG Düsseldorf nunmehr unter Abkehr seiner bisherigen Rechtsprechung ausdrücklich an.

Der Vergabesenat stellt instruktiv dar, dass ein öffentlicher Auftrag nach der Rechtsprechung des EuGH dann vorliegt, wenn kumulativ

Die Praxis kann damit aufatmen: Sofern lediglich Vorgaben zu Nutzungskonzepten gemacht werden, unterfällt eine reine Investorensuche nicht dem Vergaberecht. Die z.B. für ein Einkaufs- oder Servicezentrum benötigten städtischen Flächen dürfen dann ohne europaweite Ausschreibung verkauft werden. Das OLG Düsseldorf stellt in seinem Beschluss zudem klar, dass dies auch für den Fall gilt, in dem eine einklagbare vertragliche Verpflichtung zur Umsetzung der städtebaulichen Vorgaben begründet werden soll. Die genannten Vorraussetzungen müssen kumulativ, nicht alternativ vorliegen. Das Urteil des EuGH war in diesem Punkt teilweise offenbar missverstanden worden.

In Zukunft entscheidend: „unmittelbares wirtschaftliches Interesse“ an dem Bauvorhaben

Viele Stimmen in der vergaberechtlichen Praxis weisen jedoch zu Recht darauf hin, dass weiterhin Konstellationen denkbar sind, in denen Grundstücksgeschäfte der öffentlichen Hand dem Vergaberecht unterfallen können. Der EuGH hatte nämlich die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf dahingehend bestätigt, dass ein öffentlicher Bauauftrag keine gegenständliche oder körperliche Beschaffung voraussetzt. Ein unmittelbares wirtschaftliches (eben kein rein städtebauliches) Interesse des öffentlichen Auftraggebers an dem zu errichtenden Objekt löst nach oben Gesagtem also nach wie vor eine Vergabepflichtigkeit aus.

Damit wird sich künftig vor allem die Frage stellen, wann ein „unmittelbares wirtschaftliches Interesse“ vorliegt.

Hierzu stellt das OLG Düsseldorf anhand der EuGH-Rechtsprechung dar, dass ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse dann anzunehmen ist, wenn der öffentliche Auftraggeber alternativ

Eigentümer- oder Mieterstellung erklären sich aus sich selbst. In den „klassischen“ innenstadtbezogenen Investorenprojekten spielt diese Frage jedoch in der Regel keine Rolle.

Eine Risikoübernahme lässt sich – möchte man eine Ausschreibung vermeiden – für den Einzelfall ebenfalls relativ unproblematisch ausschließen.

Unmittelbares wirtschaftliches Interesse durch Verkauf unter Marktwert

Eine „offene“ finanzielle Beteiligung im Wege von Zuschüssen oder Subventionen ist eher selten, jedoch nicht ausgeschlossen. Zur Frage der finanziellen Beteiligung weist der Vergabesenat in Anlehnung an die Schlussanträge des Generalanwaltes im „Wildeshausen“-Fall jedoch auf einen praktisch durchaus bedeutsamen Fall hin: Im Verkauf von städtischen Grundstücken unter Marktpreis kann danach eine finanzielle Beteiligung gesehen werden.

In dem vom OLG Düsseldorf zu entscheidenden Fall war das tatsächliche Vorliegen eines geplanten Unterwertverkaufs umstritten. Das OLG zieht bei der Bewertung des Marktpreises interessanter Weise eine Parallele zur „Mitteilung der Kommission betreffend Elemente staatlicher Beihilfe bei Verkäufen von Bauten oder Grundstücken durch die öffentliche Hand“. Im vorliegenden Einzelfall kam der Senat zu dem Schluss, dass der von einem Umlegungsausschuss im laufenden Umlegungsverfahren vorgegebene Quadratmeterpreis als Marktwert anzusetzen ist. Da die Vergabestelle diesen als Festpreis vorgegeben hatte, schied ein Verkauf unter Wert im vorliegenden Fall aus.

Problem: „wirtschaftlicher Vorteil“

Der Begriff „wirtschaftlicher Vorteil“ ist für sich gesehen nicht sehr aufschlussreich. Das OLG Düsseldorf liefert nun erste Hinweise darauf, was jedenfalls nicht als wirtschaftlicher Vorteil anzusehen ist:

Die Forderung nach Stellplätzen führt nach klarere Aussage des OLG Düsseldorf nur dann zu einem wirtschaftlichen Vorteil, wenn der öffentliche Auftraggeber die Parkflächen vertraglich sich selbst (z.B. Behördenparkplatz) oder der Öffentlichkeit (z.B. öffentliches Parkhaus) nutzbar machen möchte. Dienen die Stellplätze ausschließlich der Nutzung des Bauvorhabens, scheidet ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse aus. Dies gilt laut Vergabesenat explizit auch für den Fall, dass mehr als die bauordnungsrechtlich notwendigen Stellplätze (vgl. z.B. § 51 LBauO NRW) gefordert werden.

Das Erfordernis „kleinerer Anpassungsmaßnahmen an vorhandenen Straßen“ sollen ebenfalls kein unmittelbares wirtschaftliches Interesse begründen. Vorliegend sollte aufgrund der zu erwartenden Verkehrserhöhung durch den Investor u.a. eine Abbiegespur gebaut werden.

Nicht geklärt: Schwellenwertberechnung

Ein für die Praxis ebenfalls entscheidender Punkt bleibt ungeklärt: Wie soll im Rahmen eines unmittelbaren wirtschaftlichen Interesses der Schwellenwert berechnet werden? Soll nur die Höhe der finanziellen Beteiligung (z.B. die Differenz zwischen niedrigem Verkaufs- und tatsächlichem Marktwert) oder der Wert des wirtschaftlichen Vorteils (z.B. der finanzielle Gegenwert einer Parkplatzbewirtschaftung) angesetzt werden? Oder muss das gesamte Projekt in die Berechnung einbezogen werden? Der Vergabesenat hatte bereits in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass sich hieraus zahlreiche dogmatische Probleme ergeben könnten. In seinem Beschluss vom 09.06.2010 wurde diese nicht entscheidungs- aber dafür höchst praxisrelevante Frage (leider) ausdrücklich offen gelassen.

Interessantes obiter dictum zur Einbeziehung privater Grundstücke

Schließlich enthält der Beschluss über diese grundlegenden Fragen hinaus einen hoch praxisrelevanten Hinweis zu (v.a. innenstädtischen) Investorenprojekten:

In der Sache ging es vorliegend um die Frage, ob einem Investor im Rahmen eines Vergabeverfahrens auferlegt werden darf, Grundstücke privater Dritter zusätzlich zu den städtischen Flächen zu erwerben und in die eigene Planung mit einzubeziehen. Ein Vorgang, der zu den klassischen Aufgabenbildern eines Projektentwicklers gehört, sich aber insbesondere dann als schwierig erweisen kann, wenn entscheidende Grundstücke bereits im Eigentum eines Konkurrenten stehen oder zumindest eine Kaufoption besteht. Die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren war der Ansicht, dass es sich bei einer derartigen Konstellation um ein unzulässiges ungewöhnliches Wagnis handele. Der Vergabesenat des OLG Düsseldorf tritt dem in einem so genannten obiter dictum (für das Urteil nicht relevante Äußerung „nebenbei“) entgegen. Er führt aus, dass die Beschaffung privater Grundstücke in Eigenbemühung ein „typisches Geschäft in einem Investitionsvorhaben“ darstellt.

Wie schon in der Entscheidung „Einkaufsstandort Stollberg“ (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.04.2008, VII Verg 23/08) am Rande thematisiert geht es in diesem Zusammenhang letztendlich auch um die Frage, ob einem Investor, der bereits Eigentümer oder Optionshalter entscheidender Grundstücke ist, ein Ausschließlichkeitsrecht zukommen kann. Ein solches könnte eine europaweite Ausschreibung auch dann entbehrlich machen, wenn der öffentliche Auftraggeber ansonsten ein eigenes unmittelbares wirtschaftliches Interesse an der Bauleistung hätte. Aus der Entscheidung des OLG Düsseldorf lassen sich zu der Frage, wann ein solches Ausschließlichkeitsrecht vorliegt, jedoch keine weiteren Schlüsse ziehen.

Fazit:

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf ist in allen Punkten zu begrüßen. Grundstücksgeschäfte der öffentlichen Hand sind zwar nicht in einen „vergaberechtsfreien“ Raum abgerutscht, es herrscht jedoch wieder eine marktgerechte Ausgangsposition. Die öffentlichen Auftraggeber haben selbst in der Hand, wie sie mit städtischen Grundstücken verfahren wollen. Vielerorts bietet sich sicherlich – vor allem bei Prestigeobjekten – auch unter dem Gesichtspunkt von Beihilfe- und Haushaltsrecht an, eine geregelte Vergabe durchzuführen.

An die strengen Vorgaben einer europaweiten Ausschreibung ist ein öffentlicher Auftraggeber jedoch nicht mehr gebunden. Investorenprojekte können nach dem Urteil des EuGH und dem jüngsten Beschluss des OLG Düsseldorf nahezu rechtsicher auch ohne europaweite Ausschreibung gestaltet werden. Es gilt dabei lediglich den durch den EuGH vorgegebene Rahmen zu beachten. Vor allem die vielerorts „liegengebliebenen“ Projekte können damit ohne das Risiko einer vergaberechtlichen Beanstandung und Nachprüfung wieder aufgenommen werden.

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Über Martin Hahn [4]

Der Autor Martin Hahn ist Rechtsanwalt in der Sozietät Lenz und Johlen [5], Köln. Er berät öffentliche Auftraggeber und Bieter in allen Fragen des Vergabe-, Immobilien- und Baurechts. Er ist Vorsitzender der Regionalgruppe Köln-Bonn-Koblenz [6] im DVNW.

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