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Berlin: Abgeordnetenhaus beschließt Vergabegesetz – und keinem ist´s Recht

Mitte Die Parlamentarier verabschiedeten in ihrer letzten Sitzung vor der Sommerpause das neue Berliner Vergabegesetz. Auftragnehmer von Öffentlichen Aufträgen in Berlin, d.h. im Auftrag des Senats, der Bezirke oder eines landeseigenen Unternehmens, müssen künftig mindestens einen Stundenlohn von 7,50 Euro bezahlen. Außerdem enthält das Gesetz auch die Pflicht zur umweltfreundlichen Beschaffung sowie zur ausschließlichen Beschaffung von Waren, die unter der Beachtung der Kernarbeitsnormen nach ILO hergestellt wurden.

Was für die einen aber nach wie vor ein zahnloser Tiger, ist für andere bereits zu weitreichend.

Im September 2009 hatte der Berliner Senat eine Novelle für das Berliner Vergabegesetz beschlossen. Nachdem der EuGH im April 2008 das damalige niedersächsische Vergabegesetz unter anderem wegen der generellen Tariftreue für mit dem EU-Recht unvereinbar erklärte [1] und dessen Regelungen mit dem damaligen Berliner Vergabegesetz übereinstimmten, wurde dieses in Teilen außer Kraft gesetzt. Das neue Gesetz berücksichtigt nun die Vorgaben des EuGH. „Wir wollen, dass Unternehmen mit Dumpinglöhnen bei öffentlichen Aufträgen nicht mehr zum Zuge kommen“, sagte Frank Jahnke, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD, anlässlich der Verabschiedung gegenüber der taz.

Auch andere Standards wie die der Internationalen Arbeitsorganisation ILO wurden festgeschrieben. Sie schließen z.B. den Einkauf von Produkten aus Kinderarbeit aus. Wie bisher schon müssen die Bieter eine Erklärung zur Frauenförderung abgeben.

Den Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus geht das Gesetz nicht weit genug: Obwohl es auch eine Pflicht zur umweltfreundlichen Beschaffung enthält, kritisieren sie, dass zu befürchten sei, das neue Vergabegesetz könne seine ökologische Wirkung nicht entfalten. Felicitas Kubala, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und umweltpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus: “Statt, wie von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragt, bereits vorhandene zertifizierte Umweltzeichen bei der Auftragsvergabe zu berücksichtigen, setzt die Koalition auf noch zu erarbeitende Verwaltungsvorschriften.”

Um festzustellen, ob die Vorgaben auch eingehalten werden, soll der Senat eine Kontrollgruppe einrichten. Dieser wird aber nur die Umsetzung des Mindestlohns, nicht die Umsetzung der ökologischen Kriterien überprüfen, was ebenfalls von den Grünen kritisiert wird. Bei Verstößen müssen die Unternehmen mit Geldstrafen bis hin zu einer fristlosen Kündigung rechnen.

Von den Vertretern der Bieterschaft kommt ebenfalls deutliche Kritik, wenn auch in die genau gegengesetzte Richtung: Die Industrie- und Handelskammer Berlin lehnt das Gesetz ab. „Die künftig zu beachtenden ökologischen und sozialen Kriterien überfordern insbesondere die kleinen und mittelständischen Unternehmen“, bemängelte der Hauptgeschäftsführer Jan Eder.

Auch die Handwerkskammer Berlin vermag sich nicht so recht zu begeistern und bewertet das Gesetz als bürokratisch und praxisfern. Hauptgeschäftsführer Jürgen Wittke in einer Pressemeldung: „Die durchaus vorhandenen guten Ansätze werden leider durch eine Vielzahl von praxisfernen Regelungen überschattet. Vergabefremde, ökologische oder soziale Aspekte an öffentliche Auftragsvergaben zu binden, erschwert kleinen und mittleren Handwerksbetrieben die Teilnahme am Wettbewerb. Das Berliner Handwerk hat sich immer dafür eingesetzt, dass bei der Vergabe öffentlicher Aufträge solche Betriebe bevorzugt werden, die ausbilden und damit den regionalen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt stärken.” Immerhin, die vorgeschriebene Verpflichtung zur Einhaltung von Mindestlöhnen bewertet Wittke positiv, ebenso die neue sog. 10%-Regelung: Sie schreibt vor, dass Angebote, die 10% unter dem kalkulierten Auftragswert bzw. dem zweitgünstigsten Anbieter liegen, von den öffentlichen Vergabestellen überprüft werden müssen. „Diese Regelung sowie die Einhaltung der Mindestlöhne sind wichtige Beiträge für einen fairen Wettbewerb und wirken Dumpingangeboten entgegen” so Wittke, der darin die Umsetzung einer Empfehlung des Berliner Handwerks erblickt.

Dass neue Berliner Vergabegesetz ist ein Spagat, der versuchte, es allen recht zu machen, und am Ende wohl eben daran krank. Vor allem aber: Brauchen Beschaffer wie Bieter ein weiteres (Berliner-)Vergabegesetz? Während sich insbesondere das BMWi auf Bundesebene bemüht, das Vergaberecht zu verschlanken und überflüssige Vorgaben zu streichen – wenngleich nicht in 100 % aller Fälle auch treffsicher [2] – wächst sozusagen von unten neues bürokratisches Unkraut nach. Genügen GWB, VgV, VOL/A, VOL/B, VOB/A, VOB/B und VOF tatsächlich nicht? Zumal die novellierten Verdingungsordnungen erst Anfang Juni in Kraft getreten sind? Berlin ist nicht das einzige Bundesland mit eigenem Vergabegesetz, aber es bleibt der Nachgeschmack, ob man eigentlich nicht drängendere Probleme zu lösen hatte, als es ein neues Vergabegesetz vermag.

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Über Marco Junk [3]

Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW) [4]. Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer [5]und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom [6] tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck [7]. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom [8] und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. [9] Seit 2022 ist Marco Junk als Leiter Regierungsbeziehungen für das IT-Dienstleistungsunternehmen Atos [10] tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

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