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Großes Kino auch ohne Berlinale – rege Diskussionen zur Modernisierung des öffentlichen Einkaufs

Berlin Schön war´s. Auch, weil man sich selten so herrlich uneinig war, statt – wir üblich – in gegenseitige Lobhudelei zu verfallen. Oliver Lorenz von der Wegweiser GmbH Berlin [1] hatte zum Thema Ungenutzte Potenziale in der Modernisierung und beim Einkauf von Staat und Verwaltung: „Braucht Deutschland ein Work-out-Programm für den öffentlichen Sektor?“ ins noble Hotel de Rome [2] nach Berlin-Mitte geladen, wo man sich auch vor dem Glamour der Berlinale nicht zu verstecken brauchte. Und ein Großteil der bekannten Vergabeszene folgte der Einladung.

Auf Grundlage zweier neuer Studien wurden Sparpotenziale für Bund, Länder und Kommunen aufgezeigt, die diese auf beachtliche 10 bis 20 Milliarden einschätzten. Noch interessanter war die anschließende rege Diskussionen zur Frage der Umsetzung der dazu erforderlichen Modernisierungsmaßnahmen: Ausnahmsweise kreisten diese nicht um das Vergaberecht, sondern um das “Wie” und “mit Wem”. Ein kurzweiliger Abend mit offenen Statements.

Aber zunächst zum eigentlichen Grund des Abends, den beiden Studien:

1. „Monitoring eGovernment & Verwaltungsmodernisierung Deutschland 2011“

Für das alljährliche Monitoring der Wegweiser GmbH Berlin Research & Strategy wurden über 1.200 Verwaltungseinrichtungen zu Möglichkeiten von Effizienzsteigerung und Investitionsvorhaben befragt. Die Studie zeigt z. B. die folgenden Ergebnisse:

– Potenziale zur Effizienzsteigerung liegen insbesondere in den Bereichen Personal, Organisation und IT.

– Eine weitere Absenkung des Personalbestandes planen 19 Prozent der Befragten, weitere 17 Prozent denken darüber nach.

– Einsparpotenziale bei Personal- und Sachkosten werden erkannt. Rund zwei Drittel der Untersuchungsteilnehmer gehen von konkreten Einsparmöglichkeiten aus. Die Umsetzung gestaltet sich dagegen schwieriger.

– Auf Bundesebene möchten (nur) acht Prozent der Einrichtungen mehr Mittel in Verwaltungsmodernisierung und eGovernment investieren. Demgegenüber stehen ebenfalls acht Prozent, bei denen sinkende Budgets zu erwarten sind. Auf Landesebene ist per Saldo mit sinkenden Investitionen zu rechnen (21 Prozent der Einrichtungen erwarten Steigerungen, 42 Prozent Kürzungen). Nur auf Ebene der Landkreise (50 Prozent der Einrichtungen erwarten Steigerungen, neun Prozent Kürzungen) und Kommunen (38 Prozent der Einrichtungen erwarten Steigerungen, 18 Prozent Kürzungen) gibt es überwiegend steigende Budgets.

– Umwelttechnologien und ausgewählte Informationstechnologien (z. B. CMS, E-Akte, IT-Sicherheit, Virtualisierung) gewinnen weiter an Bedeutung und Investitionsbudgets.

2. „Zum Entwicklungsstand des öffentlichen Einkaufs – Eine empirische Analyse in 16 Entwicklungsfeldern“

Die internationale Strategieberatung Booz & Company stellte im Anschluss diese Studie vor, die auf der Grundlage einer Befragung von 184 öffentlichen Auftraggebern ein Gesamtbild über die organisatorischen Strukturen und Fähigkeiten im öffentlichen Einkauf zeichnet. Einige Ergebnisse im Überblick:

– Trotz unübersehbarer instrumenteller Verbesserungen (z. B. eTendering und eProcurement) hat das öffentliche Beschaffungswesen im Vergleich zur Privatwirtschaft im letzten Jahrzehnt keine tief greifenden Veränderungen erlebt. Seine Effizienz- und Kostenposition ist im Sektorenvergleich deutlich zurück gefallen. Stichproben weisen nicht nur auf bis 15% erhöhte Preise, sondern auch auf deutlich höhere Gesamtkosten in der Supply Chain hin.

– Etwa 70% der befragten Stellen verfügen noch nicht über Elemente einer strategischen Einkaufsorganisation und haben ihr Einkaufsvolumen noch nicht nach Warengruppen und haushaltspolitischer Bedeutung segmentiert.

– Besonders große Verwaltungen nutzen noch nicht ausreichend ihre Potenziale zur Standardisierung der beschafften Güter und Dienstleistungen, was eine wesentliche Voraussetzung zur Bündelung ihrer Nachfrage ist.

– Trotz der vielfach angespannten Haushaltslage finden sich bei knapp 79% der öffentlichen Beschaffer keine Zielvorgaben, z. B. als Kostensenkungsziele, für den Einkauf; ein spürbarer Gestaltungsanspruch der öffentlichen Supply Chain ist kaum feststellbar, schon weil diese Managementaufgabe in der Verwaltungsorganisation oft nicht verankert ist.

Verwaltungsmodernisierung aus sich heraus?

Den Katalysator zur kontroversen Diskussion stellte die von Booz & Company ermittelte Bewertung dar, dass die organisatorische Verfassung der befragten Öffentlichen Auftraggeber auf einen dringenden Reformbedarf hinweise. Selbst wenn, so die Studie, nur ein kleinerer Teil der im privatwirtschaftlichen Einkauf realisierten Effizienzsprünge auch bei den öffentlichen Auftraggebern verwirklicht würde, könnten die öffentlichen Auftraggeber Haushaltsmittel zwischen 10 und 20 Milliarden einsparen.  Nur – wo den Hebel ansetzen bei der dafür notwendigen Verwaltungsmodernisierung?

Prof. Dr. Ralf Leinemann, Leinemann & Partner, Berlin, zeigte sich erfreut, dass nach offenbar einhelliger Saalmeinung ausnahmsweise einmal nicht das Vergaberecht der Schuldige sei. Moderator Dr. Klaus von Dohnanyi mahnte, dass es in der allgemeinen politischen Diskussion um Sparzwänge vor allem an einem fehle: An Wahrheit über das, was sich der Staat noch leisten könnte und was nicht mehr. Kaus-Peter Tiedtke, Direktor des Beschaffungsamtes des BMI, stellte fest, dass nach seinen Erfahrungen der Schlüssel zur Modernisierung der öffentlichen Verwaltung jedenfalls nicht in den bunten PowerPoint Präsentationen der zahlreichen externen Berater zu finden sei (was übrigens nicht wenige der Teilnehmer, auch aus der Wirtschaft, beim anschließenden Glas Rotwein bestätigten). Vielmehr sei Verwaltung durchaus in der Lage, auch aus sich heraus Ideen zu entwickeln. Andere Teilnehmer widerrum sahen das sehr viel pessimistischer und daher in solchen externen Struktur- und Prozessbewertungen einen notwendigen Denkanstoß. Überlegenswert auch der Beitrag, dass es gar nicht das Ziel sein müsse, Verwaltung immer an der Effizienz der Privatwirtschaft zu messen. Verwaltung diene primär anderen Zielen, insbesondere einem rechtmäßigen und damit gerechten Verwaltungshandeln. Das kostet und darf auch etwas kosten.

Frau Dr. Kirstin Pukall, die in der Nachfolge von Frau Dr. Bettina Waldmann seit einigen Wochen das Referat I B 6, Öffentliche Aufträge, Vergabeprüfstelle im BMWi leitet, erinnerte am Ende die etwas vom Thema öffentlicher Einkauf abgedriftete Diskussion daran, sich doch noch bis zum 18. April an der laufenden EU-Konsultation zum öffentlichen Auftragswesen [3] zu beteiligen, die in der Tat nicht allen bekannt war.

Alles in allem ein Abend, der aus der breiten Schar zum Thema Modernisierung der Öffentlichen Verwaltung durch sehr viel Ehrlichkeit positiv heraus stach. Danke, Herr Lorenz.

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Über Marco Junk [4]

Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW) [5]. Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer [6]und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom [7] tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck [8]. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom [9] und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. [10] Seit 2022 ist Marco Junk als Leiter Regierungsbeziehungen für das IT-Dienstleistungsunternehmen Atos [11] tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

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