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Breitbandausbau: Verträge über Breitbandversorgung stellen Dienstleistungskonzessionen dar – OLG München leitet Beschaffungsvorgang aus der Gewährleistung von Daseinsvorsorge ab (Beschluss v. 25.03.2011 – Verg 4/11)

§ 99 Abs. 1 GWB; Art. 1 Abs. 4 Richtlinie 2004/18/EG

Breitband Die Vergabe von Verträgen über die Versorgung der Bevölkerung mit Breitbandnetzen stellen in der Regel Dienstleistungskonzessionen dar und unterfallen somit nicht dem europäischen Vergaberecht. Das hat das OLG München mit Beschluss vom 25. März 2011 entschieden (Az.: Verg 4/11).
Nach Ansicht des Vergabesenats liegen – auch bei der Übernahme eines nur eingeschränkten Betriebsrisikos – Dienstleistungskonzessionen vor, so dass das formstrenge Vergaberecht nicht anwendbar und der Vergaberechtsweg nicht eröffnet ist. Das Gericht orientiert sich in seiner Argumentation an dem vor kurzem ergangenen Urteil des EuGH vom 10. März 2011 zur Vergabe von Rettungsdienstleistungen (siehe zu dieser Entscheidung den Beitrag des Autors hier [1]). Die Entscheidung hat nicht nur Bedeutung für künftige Breitbandausschreibungen, sondern vor allem für die Vergabe von Konzessionen im Bereich der Daseinsvorsorge.

Gegenstand der Entscheidung

Im zugrunde liegenden Fall sollte ein Anbieter für den Aufbau und den Betrieb eines leitungs- oder funkbasierten Breitbanddienstes (schneller Internetzugang für gewerbliche und private Nutzer) in einem strukturschwachen Gebiet in Bayern ermittelt werden. Zu diesem Zweck führte die Vergabestelle ohne förmliches Ausschreibungsverfahren ein Markterkundungs- und Auswahlverfahren durch. Da die Versorgung des ländlichen Raums im Vergleich zu den Ballungsgebieten wirtschaftlich weniger attraktiv ist, sind in Bayern – wie in anderen Bundesländern auch – Fördertöpfe eingerichtet, auf welche die betroffenen Gemeinden zugreifen können. Der Gesamtinvest lag vorliegend bei 4,1 Mio. Euro, die beteiligten Kommunen wollten für den Ausbau der Telekommunikationsinfrastruktur rund 1,6 Mio. Euro an Fördermitteln zuschießen. Gegen die vorgesehene Beauftragung eines Konkurrenten wendete sich ein Wettbewerber in einem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren.

Beschaffungsvorgang durch Gewährleistung von Daseinsvorsorge

Das Oberlandesgericht München bestätigt die Rechtsauffassung der Vergabekammer Nordbayern, die den Nachprüfungsantrag als unzulässig verworfen hatte. Bei dem abgeschlossenen Vertrag handele es sich um eine Dienstleistungskonzession, weshalb bereits der Rechtsweg zu den Vergabenachprüfungsinstanzen nicht eröffnet sei.

Bemerkenswert an der Entscheidung sind zunächst die Ausführungen zum Vorliegen eines Beschaffungsvorgangs. Die Kommunen vertraten während des Verfahrens die Auffassung, sie gewährten lediglich Zuwendungen an private Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze zur Schließung einer Wirtschaftlichkeitslücke, so dass keine Leistungsbeschaffung vorliege. Dieser Argumentation tritt der Vergabesenat mit folgender Begründung entgegen, welche Bedeutung nicht nur für den Breitbandsektor haben dürfte:

„Der öffentliche Auftraggeber beschafft sich immer dann eine Leistung, wenn ihm die Gegenleistung entweder unmittelbar zugute kommt, wie etwa beim Einkauf von Einrichtungsgegenständen, oder mittelbar, wenn sie ihn bei der Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben unterstützt, wie etwa die Organisation des Rettungsdienstes.“

Eine Leistungsbeschaffung liege auch bei der Erfüllung von Leistungen der Daseinsvorsorge für die Bevölkerung vor:

„Da der öffentliche Auftraggeber sich demnach eine Leistung nicht nur dann beschafft, wenn sie ihm irgendwie wirtschaftlich zugute kommt, sondern auch dann, wenn er mit der Leistung ihm obliegende Pflichten gegenüber der Bevölkerung erfüllt, beschafft er sich Leistungen auch dann, wenn er die ihm obliegende Daseinsvorsorge für die Bevölkerung sicherstellt, wie z.B. Abfallentsorgung oder Gesundheitsfürsorge.“

Dienstleistungskonzession – kein Bauauftrag

Die abgeschlossenen Verträge haben nach Auffassung des Gerichts eine Dienstleistung zum Inhalt; es handelt sich nicht um Bauaufträge. Größere Baumaßnahmen seien zur Errichtung der Breitbandkabelversorgung nicht erforderlich, vielmehr bestehen die Kommunikationsnetze zum Teil schon. Hauptaufgabe sei daher die Errichtung und Betreibung des Kabelnetzes, welche über einen Zeitraum von fünf Jahren erfolgen soll.

Ausgehend von der Definition in Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 2004/18/EG, wonach unter einer Dienstleistungskonzession vertragliche Konstruktionen zu verstehen sind, die sich von einem Dienstleistungsauftrag nur insoweit unterscheiden, als der Auftragnehmer das zeitweilige Recht zur Nutzung der ihm übertragenen Dienstleistung erhält, qualifiziert der Vergabesenat den Vertrag über den Breitbandausbau als Dienstleistungskonzession (zum Begriff siehe hier [2]). Die Nutzung der Dienstleistung erfolge dadurch, dass der Auftragnehmer durch die Errichtung des Kabelnetzes in die Lage versetzt wird, seine Leistung dem Endkunden anzubieten und nach Abschluss der entsprechenden Verträge Einnahmen zu erzielen.

Übernahme eines eingeschränkten Betriebsrisikos

Ob eine Dienstleistungskonzession vorliegt, hänge – neben der Art der Vergütung (Auftragnehmer erhält seine Vergütung von Dritten) – entscheidend davon ab, dass der Konzessionär ein relevantes Betriebsrisiko übernimmt. Der Senat hebt insoweit ausdrücklich hervor, dass im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge Regelungen bestehen (können), die das wirtschaftliche Risiko begrenzen. Im Anschluss zieht das Gericht zur Beantwortung der Frage, ob ein wirtschaftliches Betriebsrisiko vorliegt oder nicht, die Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteil vom 10.09.2009 – Rs. C-206/08, „Eurawasser“; Urteil vom 10.03.2011 – Rs. C-274/09, vgl. den Beitrag des Autors hier [1]) sowie des BGH (Beschluss vom 08.02.2011 – X ZB 4/10) heran. Zentral scheint insoweit eine Abgrenzung des BGH zu sein, wonach eine Dienstleistungskonzession dann nicht mehr vorliegt,

„wenn die Vergütung oder Entschädigung ein solches Gewicht hat, dass ihr bei wertender Betrachtung kein bloßer Zuschusscharakter mehr beigemessen werden kann, sondern sich daran zeigt, dass die aus der Erbringung der Dienstleistung möglichen Einkünfte allein ein Entgelt darstellen würden, das weit ab von einer äquivalenten Gegenleistung läge.“

Vor diesem Hintergrund ist der Vergabesenat der Überzeugung, dass der Auftragnehmer ein, wenn auch eingeschränktes, wirtschaftliches Betriebsrisiko übernimmt: Nach der Errichtung des Breitbandkabelnetzes ist es seine Aufgabe, ausreichend Kunden zu gewinnen, die mit ihm entsprechende Verträge abschließen. Diese Endkundenverträge müssen den bundesweit geltenden Tarifen und Geschäftsbestimmungen entsprechen, können also nicht angepasst werden. Außerdem haben andere Anbieter zwar keinen Anspruch darauf, dass sie ihrerseits ein identisches Netz aufbauen, sie können jedoch eine schnelle Internetversorgung mit anderer Technik anbieten und gegen Entgelt das Netz des Breitbandanbieters nutzen. Hinzu kommt, dass der Auftragnehmer das Insolvenzrisiko trägt und für Schäden haftet, die bei der Dienstleistung auftreten können.

Wettbewerbliches Verfahren erforderlich

Der Vergabesenat weist ausdrücklich darauf hin, dass die öffentlichen Auftraggeber auch bei Vorliegen einer Dienstleistungskonzession dazu verpflichtet sind, die Grundregeln des Vertrags über die Arbeitsweise der europäischen Union (AEUV), insbesondere die Artikel 49 AEUV und 56 AEUV (Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit) sowie die daraus fließende Transparenzpflicht zu beachten, wenn ein grenzüberschreitendes Interesse besteht. Daraus folgt, dass die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen im Breitbandsektor in aller Regel im Wege eines wettbewerblichen, diskriminierungsfreien und transparenten Auswahlverfahrens erfolgen sollte.

Fazit und Praxishinweise

Öffentliche Auftraggeber müssen bei der Beauftragung von Leistungen im Zusammenhang mit dem Breitbandausbau und dem Breitbandbetrieb in der Regel das europäische Vergaberecht nicht beachten, weil insoweit Dienstleistungskonzessionen vergeben werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn Fördermittelbestimmungen eine Verpflichtung zur Anwendung des förmlichen Vergaberechts enthalten oder der Auftrag umfangreiche Bauarbeiten zum Gegenstand hat (vgl. § 22 VOB/A). Auch wenn das formstrenge Vergaberecht nicht anwendbar ist, sind die öffentlichen Auftraggeber bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen gehalten, ein wettbewerbliches und diskriminierungsfreies Auswahlverfahren durchzuführen, in dem insbesondere dem Transparenzgebot hinreichend Rechnung zu tragen ist. Im Auge zu behalten ist zudem die Rechtssetzungsinitiative der EU-Kommission zur Vergabe von Dienstleistungskonzessionen.

Da das Oberlandesgericht München den Beschaffungsvorgang in der Gewährleistung von Daseinsvorsorge erblickt, hat die vorliegende Entscheidung nicht nur Bedeutung für den Breitbandsektor. Öffentliche Auftraggeber sollten diese Rechtsprechung in anderen Bereichen der Daseinsvorsorge, wie etwa im Entsorgungssektor oder der Gesundheitsfürsorge, aber auch bei der Vergabe von Konzessionen im Energiesektor berücksichtigen.

Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte [3], Stuttgart. Dort berät und vertritt er insbesondere öffentliche Auftraggeber, aber auch Unternehmen, in allen Fragen des Vergaberechts, ein Schwerpunkt liegt hierbei im Dienstleistungsbereich. Mehr Informationen finden Sie in unserem Autorenverzeichnis [4].

dvnwlogoThema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren [5].

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Über Dr. Martin Ott [6]

Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte [3], Stuttgart. Herr Dr. Ott berät und vertritt bundesweit in erster Linie öffentliche Auftraggeber umfassend bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsvorhaben. Auf der Basis weit gefächerter Branchenkenntnis liegt ein zentraler Schwerpunkt in der Gestaltung effizienter und flexibler Vergabeverfahren. Daneben vertritt Herr Dr. Ott die Interessen der öffentlichen Hand in Nachprüfungsverfahren. Er unterrichtet das Vergaberecht an der DHBW und der VWA in Stuttgart, tritt als Referent in Seminaren auf und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichen. Er ist einer der Vorsitzenden der Regionalgruppe Stuttgart des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) [7].

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