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Fehlgeschlagene Teststellung im Verhandlungsverfahren: trotz fehlender Vorabinformation Ausschluss gerechtfertigt (OLG München, Beschluss v. 12.05.2011 – Verg 26/10)

§ 101 a GWB, § 29 Abs.4, 5 SektVO

ParagraphTeststellungen bei IT-Vergaben geben häufig Anlass für Streitigkeiten. Die Teststellung im EDV-Bereich ist einer Bemusterung gleichzusetzen, die eine Bietererklärung nach § 16 Abs. 3 EG VOL/A darstellt (VK Sachsen, Beschluss v. 19.05.2009, 1/SVK/008-09). Eine fehlgeschlagene Teststellung kann einen Ausschlussgrund nach § 19 Abs. 3 EG VOL/A darstellen. Der Auftraggeber hat somit insbesondere bei komplexen IT-Vergaben ein legitimes Interesse an Probeläufen, um die vom Bieter angebotene Leistung zu überprüfen.

Das OLG München (Beschluss v. 12.05.2011 – Verg 26/10) hat im Rahmen einer IT-Vergabe im Bereich der Sektorenverordnung entschieden, dass eine fehlgeschlagene Teststellung trotz unstrittig unterbliebener Vorabinformation einen zwingenden Ausschlussgrund darstellt. Denn: Nur wenn der Antragssteller bei ordnungsgemäßem Vergabeverfahren eine Zuschlagschance hat oder gehabt hätte, könne er sich auf eine Verletzung im Rahmen von § 101 a GWB berufen.

Die Ausschreibung

Vorliegend schrieb die Vergabestelle (eine Aktiengesellschaft nach deutschem Recht mit österreichischer und deutscher Beteiligung, die Wasserkraftwerke unter Nutzung österreichisch-bayerischer Grenzflüsse betreibt) die Erneuerung der übergeordneten Leittechnik zur Fernsteuerung der Wasserkraftwerke im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb europaweit aus. Bei der technischen Leistungsfähigkeit wurde festgelegt, dass die ausgeschriebene neue Leittechnik an das bereits bestehende technische Leitsystem im Parallelbetrieb direkt angekoppelt werden muss. Dazu wurde in der Bestellspezifikation angegeben:

„Bis zur Vergabe ist seitens des Auftragnehmers ein Nachweis über die Funktionalität der Ankoppelung an das SAT-NET im Produktivsystem des Auftraggebers zu erbringen. Hierzu sind … Tests durchzuführen und zu protokollieren. Grundsätzlich erfolgt eine Vergabe nur an eine Firma, welche alle technischen Kriterien nachgewiesen hat bzw. dadurch die Umsetzung vollinhaltlich erfüllen kann. Die Vergabe erfolgt im Weiteren nach dem Verhandlungsverfahren des [österreichischen] Bundesvergabegesetzes … . Ein wesentliches Vergabekriterium ist der erfolgreiche Nachweis der Gesamtfunktion mit Anbindung an das SAT-NET der PLT“ (Auszug aus den Gründen).

Die Hauptlieferung sollte in Österreich erfolgen, als Kontaktstelle war ebenfalls eine GmbH mit Sitz in Österreich benannt. In der Bekanntmachung wurde keine Nachprüfungsstelle benannt.

Vorführung des angebotenen Systems fehlgeschlagen

Nach erfolgreichem Teilnahmewettbewerb wurde u.a. der Antragssteller zur Angebotsabgabe aufgefordert. In einem Schreiben über den weiteren Fortgang des Verhandlungsverfahrens informierte die Vergabestelle die Bieter, dass als Teil der Eignungsprüfung im Hinblick auf die technische Leistungsfähigkeit eine Vorführung des angebotenen Systems erfolgen werde und nur mit Bietern, die nicht mangels Eignung ausscheiden, weitere Vergabegespräche geführt werden. Dieser geforderte Funktionsnachweis gelang dem Antragssteller unstreitig bei dem Probelauf nicht, so dass er bei weiteren Vergabeverhandlungen nicht berücksichtigt wurde.

Der ausgeschlossene Bieter wendet sich zunächst an das österreichische Bundesvergabeamt. Sein Nachprüfungsantrag wird mangels Zuständigkeit aufgrund eines entsprechenden Freistellungsbeschlusses der EU Kommission für Österreich abgewiesen.

Kurz darauf informiert die Vergabestelle den Antragssteller, dass der Auftrag zwischenzeitlich an einen anderen Bieter vergeben und das Verfahren im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesvergabeamtes eingestellt wurde.

Eine Vorabinformation nach § 101 a GWB ist nicht erfolgt.

Der Antragssteller wehrt sich nunmehr vor der VK Südbayern und im Beschwerdeverfahren vor dem OLG München.

Die Entscheidung

Entgegen der Entscheidung der VK Südbayern geht das OLG München zunächst von der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags aus. Deutsches Vergaberecht ist anwendbar, die Vergabestelle ist bei der Stromerzeugung mittels Wasserkraft öffentlicher Sektorenauftraggeber nach § 98 Nr. 4 GWB.

Die Freistellungsbescheinigung der EU für Österreich befreit – so das OLG – nicht von der Anwendung des deutschen Vergaberechts, da der Beschaffungsvorgang der Erzeugung von Strom in Deutschland und Österreich dient. Ebenso wenig steht die Entscheidung des österreichischen Bundesvergabeamtes einer eigenen Sachentscheidung des OLG München entgegen, da zu der Frage der länderübergreifenden Geltung vom Bundesvergabeamt nicht Stellung genommen wurde.

Da die Vergabestelle in den Vergabeunterlagen durch wechselnden Verweis auf österreichische und deutsche Vergabevorschriften die Zuständigkeit offen gelassen hat, ist nach allgemeinen Prozessgrundsätzen die VK Südbayern (Sitz der Vergabestelle in Bayern) örtlich zuständig.

Nachprüfungsantrag unbegründet

Allerdings lehnt das OLG den Nachprüfungsantrag mangels Begründetheit ab.

Der Antragssteller hat unstrittig den Funktionsnachweis bei der Teststellung nicht erbracht. Den Nachweis erst nach Durchführung des Teilnahmewettbewerbs im Rahmen des Verhandlungsverfahrens zu fordern, widerspricht nach Ansicht des OLG nicht dem Grundsatz „kein Mehr an Eignung“. Die generelle Eignung wurde im Teilnahmewettbewerb vorab geprüft und bejaht.

Der Funktionsnachweis betrifft jedoch – so das OLG – nicht den Eignungsnachweis, sondern die rechtlich zulässige und damit verifizierende Überprüfung, inwiefern das Angebot den geforderten zwingenden Anforderungen an die zu erbringende Leistung entspricht (direkte Anbindung an das alte Leitsystem). Dieser Nachweis ist dem Antragssteller nicht gelungen.

Unterbliebene Vorabinformation unschädlich

Obwohl die Vergabestelle die ihr obliegende Mitteilungspflicht vor der Auftragsvergabe nach § 101 a GWB nicht erfüllt hat und den Zuschlag an einen anderen Bieter vor Ablauf der Frist erteilt hat, ist dies nach Ansicht des OLG München vorliegend unbeachtlich.

§ 101 a GWB bestimmt:

„Der Auftraggeber hat die betroffenen Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, über den Namen des Unternehmens, dessen Angebot angenommen werden soll, über die Gründe der vorgesehenen Nichtberücksichtigung ihres Angebots und über den frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses unverzüglich in Textform zu informieren. Dies gilt auch für Bewerber, denen keine Information über die Ablehnung ihrer Bewerbung zur Verfügung gestellt wurde, bevor die Mitteilung über die Zuschlagsentscheidung an die betroffenen Bieter ergangen ist. Ein Vertrag darf erst 15 Kalendertage nach Absendung der Information nach den Sätzen 1 und 2 geschlossen werden. Wird die Information per Fax oder auf elektronischem Weg versendet, verkürzt sich die Frist auf zehn Kalendertage. Die Frist beginnt am Tag nach der Absendung der Information durch den Auftraggeber; auf den Tag des Zugangs beim betroffenen Bieter und Bewerber kommt es nicht an.“

Die Missachtung der vergaberechtlichen Informations- und Wartepflichten begründe für sich kein berechtigtes Interesse eines Bieters an der Feststellung des Nichtigkeit des Vertrages (§ 101 b GWB).

Nur wenn der Antragssteller bei ordnungsgemäßem Vergabeverfahren eine Zuschlagschance hat oder gehabt hätte, könne er sich auf eine Verletzung im Rahmen von § 101 a GWB berufen.

Da vorliegend der Antragssteller aber schon am Funktionsnachweis gescheitert war und somit keine Chance auf den Zuschlag hatte, ist sein Nachprüfungsantrag – so das OLG München – mangels Eingriff in seine subjektiven Bieterrechte unbegründet.

Übrigens: Eine Divergenzvorlage zu § 101 a GWB im Hinblick auf die Entscheidung des OLG Jena vom 19.10.2010, Az. 9 Verg 5/10 wurde vom OLG München mit der Begründung abgelehnt, dass der zugrundeliegende Sachverhalt nicht vergleichbar sei.

Die Autorin Monika Prell für den Bereich der Öffentlichen Ausschreibungen/Vergaberecht bei Bitkom Consult [1] “ zuständig. „Bitkom Consult – Vergaberecht“ coacht, berät und unterstützt insbesondere Unternehmen der ITK-Branche bei öffentlichen Ausschreibungen. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis [2].

dvnwlogoThema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren [3].

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Über Monika Prell [4]

Monika Prell ist Fachanwältin für Vergaberecht und Partnerin bei der Kanzlei SammlerUsinger [5] in Berlin. Sie verfügt über umfangreiche Erfahrung im Vergaberecht und berät sowohl öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren als auch Bieterunternehmen umfassend bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen. Darüber hinaus vertritt Monika Prell ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen. Neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit ist sie als Kommentarautorin tätig, veröffentlicht regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.

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