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Bundeswirtschaftsministerium veröffentlicht – endlich – Gutachten über Auswirkungen der vergaberechtlichen Erleichterungen

Wo lesen Sie es zuerst? Genau – im Vergabeblog. Nachdem der Bundesrechnungshof (BRH) vor einigen Wochen eine äußerst kritische Bilanz zu den Auswirkungen der vergaberechtlichen Erleichterungen des Konjunkturpaketes zog – Vergabeblog berichtete exklusiv [1] – wurde das bereits seit Monaten ausstehende Gutachten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) zu eben dieser Frage umso spannender erwartet. Nun liegt es endlich vor. Öffentlich.

“Die Vereinfachung der Vergaberegeln im Rahmen des Konjunkturpaketes II hat sich bewährt.”

..ist heute auf der Homepage des BMWi dazu zu lesen. Mehr als überraschend, kam doch der BRH zum Ergebnis, dass – so wörtlich – „die Vergaberechtslockerungen zu Einschränkungen der Transparenz und des Wettbewerbs geführt haben, die in keinem angemessenen Verhältnis zu ihren wenigen Vorteilen stehen”. Wie passt das nun zusammen?

Im Detail

Nach den Untersuchungen – Gegenstand waren die Jahre 2009 und 2010 – der damit beauftragten „Wegweiser GmbH Berlin Research & Strategy“ (bekannt auch als jährlicher Ausrichter der Beschaffungskonferenz in Berlin [2]), “werden die vereinfachten Vergaberegeln von den befragten öffentlichen Auftraggebern überwiegend positiv angenommen. Die erweiterten Möglichkeiten der Beschränkten Ausschreibung sowie der Freihändigen Vergabe wurden überwiegend gut genutzt”, so das Ministerium. Weiter heisst es:

„Der überwiegende Anteil der befragten öffentlichen Auftraggeber bestätigte einen positiven Effekt in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit der Auftragsvergaben im Sinne von kürzerer Verfahrensdauer und sinkenden Verfahrenskosten. Dies wurde von den Unternehmen, die öffentliche Aufträge nach den Vereinfachungsmaßnahmen erhielten, ebenso wahrgenommen.“

Sinnestäuschung?

Der BRH hatte vor einigen Wochen noch das genaue Gegenteil festgestellt: Es sei nur eine geringe Verfahrensbeschleunigung festzustellen, “dies umso mehr, als wesentliche Prozessphasen wie die Bedarfsermittlung und die Erstellung der Vergabeunterlagen nicht verkürzt werden können”, so der BRH. Dieser kam denn auch zu dem Schluss, dass es sich bei den Beschaffungsstellen vorwiegend um “gefühlte Vorteile” gehandelt habe.

Die Schlussfolgerungen des Gutachtens werden noch einer kritischen Durchleuchtung standhalten müssen, die zu diesem Zeitpunkt naturgemäß noch nicht erfolgen kann. Aber es wird sehr genau danach zu differenzieren sein, ob denn wirklich die vergaberechtlichen Erleichterungen so positiven Anklang fanden, oder nicht vielmehr die Tatsache, dass deutlich mehr Geld für Investitionen vorhanden war. Verklärte Erinnerung? Und tatsächlich verweist auch das BMWi relativierend darauf, dass “jedoch zu berücksichtigen [sei], dass in den Jahren 2009/2010 eine vielschichtige Sondersituation vorlag”. Eben.

“Kein Hoflieferantentum”

Man sollte die Pressemitteilung des BMWi durchaus genau lesen: “Ein Hoflieferantentum oder Transparenzeinbußen sind nach Einschätzung der Betroffenen nicht eingetreten”, heisst es sprachlich sehr korrekt. Das wirf allerdings die berechtigte Frage auf, ob man dazu eigentlich die Richtigen befragt hat.

Ausblick

Ein Gutachten ist regelmäßig kein Selbstzweck. Dieses wurde vor allem deshalb mit Spannung erwartet, weil die Lager der Befürworter einer Verlängerung der vergaberechtlichen Erleichterungen – namentlich die kommunalen Spitzenverbände – und deren Gegner – namentlich viele Wirtschaftsverbände und der BDI – denkbar weit und unversöhnlich in dieser Sache auseinanderliegen. Die Tatsache, dass dem Vernehmen nach die Untersuchungen zum Gutachten bereits seit dem Frühjahr abgeschlossen waren, beflügelten die Spatzen, so Einiges an Mutmaßungen von den Berliner Dächern zu pfeifen.

Das BMWi bemerkt, dass die Ergebnisse des umfragebasierten Gutachtens “Tendenzen” erkennen lassen, die eine Weiterentwicklung der Vergaberegeln hin zu mehr Flexibilität, insbesondere bei der Wahl günstigsten Vergabeart, sinnvoll erscheinen lassen:

“Denkbar wäre zum Beispiel im Bereich der Liefer- und Dienstleistungen die Fortführung der freien Wahl der Vergabeart bis zu einem bestimmten Schwellenwert, gekoppelt mit Vorab-Veröffentlichungspflichten als Garant für Transparenz und Gleichbehandlung.”

Das vollständige Gutachen des BMWi zu den vergaberechtlichen Erleichterungen des KP II finden Sie als PDF kostenlos hier [3].

Und hier [4] die entsprechende – aber unabhängig davon durchgeführte – Evaluierung der Vereinfachungsmaßnahmen im Baubereich durch das Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS). Nach Angaben des BMWI betrugen die im Konjunkturpaket II freigesetzten zusätzlichen Mittel im Liefer- und Dienstleistungsbereich ca. 1,4 Mrd. EUR, was nur 10 % der Gesamtmittel betrug – der der Rest waren Mittel für Bauleistungen.

Junk_MarcoDer Autor Marco Junk ist Rechtsanwalt und war bis 2011 als Bereichsleiter Vergaberecht beim Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM) Mitglied im DVAL und im Beraterkreis eVergabe des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Er ist Herausgeber des Vergabeblog und leitet seit März 2011 die Online-Redaktion des Verlags C. H. Beck [5].

dvnwlogoThema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren [6] .

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Über Marco Junk [7]

Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW) [8]. Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer [9]und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom [10] tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck [11]. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom [12] und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. [13] Seit 2022 ist Marco Junk als Leiter Regierungsbeziehungen für das IT-Dienstleistungsunternehmen Atos [14] tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

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