Vergabeblog

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Nachforderung von Muster und Proben nach § 19 EG Abs.2 VOL/A (VK Sachsen, Beschluss v. 04.10.2011 – 1/SVK/037-11)

§§ 19 EG Abs.2, Abs.3 d), 24 EG Abs.1 VOL/A

ParagraphImmer wieder stellt sich die Frage, wie Muster und Proben vergaberechtlich zu behandeln sind – und damit natürlich auch, ob die Nachforderung von Unterlagen und Nachweisen für Muster und Proben gilt. Hierzu hat die Vergabekammer Sachsen Stellung genommen und sehr anschaulich den Charakter einer Bemusterung sowie die Voraussetzung für die Nachforderung nach § 19 EG Abs.2 VOL/A und die Abgrenzung zur Nachbesserung nach § 19 EG Abs. 3 d) VOL/A erläutert.

Der Fall

Die Vergabestelle hatte Leitstellenmobiliar sowie Ausstattung des Besprechungs-, Lage- und Führungsraums europaweit ausgeschrieben. Einzelne Teile sollten gemäß Vergabeunterlagen bemustert werden und zusammen mit einer mit der Angebotsabgabe einzureichenden 3-D-fotorealistischen Entwurfsplanung entscheidendes Bewertungskriterium sein. Zur Prüfung der Funktionalität mussten die Bieter ausgewähltes Mobiliar für eine Bemusterung zur Verfügung stellen. Vorgegeben war zudem, die 3-D-Entwurfsplanung in zwei bestimmten Dateiformaten zu liefern. Im Nachprüfungsverfahren wendet sich der unterlegene Bieter gegen die Wertungsentscheidung der Vergabestelle im Rahmen der Bemusterung des Mobiliars. Er führt an, dass der für den Zuschlag vorgesehene Bieter nicht die in der Leistungsbeschreibung genannten Voraussetzungen mit dem vorgelegten Mustermobiliar erfüllt habe. Zudem sei das Angebot unvollständig, da dem Angebot des Erstplatzierten nicht die geforderte Software der 3-D-Entwurfsplanung beigelegen habe. Im Laufe des Verfahrens ergab sich, dass die Vergabestelle zur Überprüfung der LV- Konformität die wertungsrelevanten Muster weder aufbewahrt noch fotodokumentarisch festgehalten oder anhand einer Vergleichsliste dokumentiert hatte und kein Bieter die geforderte Software in den vorgegebenen Dateiformaten vorgelegt hatte.

Die Entscheidung

Die VK Sachsen gibt dem Antragssteller recht und sieht ihn in seinen Rechten verletzt – und hebt das gesamte Vergabeverfahren auf.

Streitthema war vorliegend, ob ein bereits von dem Antragssteller vorgelegtes Muster den Vorgaben im Leistungsverzeichnis entsprochen hatte oder ob das Muster – so die Behauptung der Vergabestelle – nicht die Vorgaben erfüllt hat.

Dabei untersuchte die Vergabekammer im ersten Schritt, ob Abweichungen des vorgelegten Musters des Antragsstellers von den Vorgaben im Leistungsverzeichnis vorlagen, da die Bemusterung gemäß Vergabeunterlagen mitentscheidendes Wertungskriterium sein sollte.

Zum Charakter von Bemusterungen führt die Vergabekammer dabei aus:

Nach der Rechtsprechung des BGH und des OLG Düsseldorf stellen Muster oder Bemusterungen Bietererklärungen dar. Sind verlangte Muster nicht oder unvollständig vorgelegt worden, kann das ausschlussrelevant sein (vgl. OLG Düsseldorf, B. vom 12.09.2007, VII-Verg 23/07; vgl. BGH, B. vom 26.09.2006, X ZB 14/06). Demzufolge sind Muster und Proben unter den Begriff der Erklärungen zu fassen, da diese dazu dienen, Inhalt, Substanz oder Leistungsumfang des zu liefernden Produktes beispielhaft zu beschreiben (VK Sachsen, B. vom 07.01.2008 – 1/SVK/077-07).“

Muster und Proben sind demnach als Erklärungen anzusehen. Sind verlangte Muster nicht oder nicht vollständig vorgelegt worden, hat dies – so die Vergabekammer – grundsätzlich folgende Auswirkungen:

– Ist ein Muster nicht vorgelegt worden, entspricht dies einer fehlenden Erklärung und fällt unter die optionale Nachforderungsmöglichkeit gemäß § 19 EG Abs. 2 VOL/A, wobei im Falle der Nachforderung eine erneute Bemusterung durchzuführen wäre.

– Wenn allerdings – wenn auch ggf. unzureichende Muster – bereits vorliegen, ist eine nochmalige Bemusterung gemäß § 19 EG Abs.2 VOL/A nicht möglich, da dies eine unzulässige Nachbesserung und keine Nachforderung einer fehlenden Bemusterung wäre. Dies ist dann als Änderung bzw. Ergänzung nach § 19 Abs. 3 d) VOL/A EG anzusehen und ein zwingender Ausschlussgrund (so auch VK Bund, Beschluss vom 14.12.2011 – VK 1-153/11).

Da in dem zu entscheidenden Fall das Muster der Antragsstellerin vorgelegen hatte, war eine Nachforderung eines fehlenden Muster im Sinne einer Wiederholung nach § 19 EG Abs.2 VOL/A nicht möglich. Vielmehr war im Rahmen von § 19 EG Abs.3 d VOL/A von der VK Sachsen zu klären, ob das Muster den Vorgaben in den Vergabeunterlagen entsprochen hat oder für den Fall des Abweichens ein zwingender Ausschlussgrund bestand.

Mangelnde Dokumentation

Die Vergabestelle konnte Ihre Behauptung, das Muster des Antragsstellers habe nicht ihren Vorgaben im Leistungsverzeichnis entsprochen, nicht nachweisen, da sie die Bemusterung in keiner Weise nachvollziehbar und transparent z.B. durch Fotos, Vergleichslisten etc. dokumentiert hatte. Hierzu stellt die VK Sachsen fest:

Damit hat Auftraggeber seine Dokumentationspflicht nach § 24 Abs. 1 VOL/A EG verletzt, denn eine ausreichende Dokumentation setzt voraus, dass alle wesentlichen Verfahrensschritte mit ihrem entscheidungserheblichen Inhalten zeitnah dargestellt werden (OLG Celle, B. v. 12.05.2010 – 13 Verg 3/10; B. v. 11.02.2010 – 13 Verg 16/09; OLG Karlsruhe, B. v. 21.07.2010 – 15 Verg 6/10). So ist gerade vorliegend zu fordern, dass die im Vergabevermerk enthaltenen Angaben und die in ihm mitgeteilten Gründe für die getroffenen Entscheidungen so detailliert sein müssen, dass sie für einen mit der Sachlage des jeweiligen Vergabeverfahrens vertrauten Leser nachvollziehbar sind (VK Sachsen, B. v. 04.05.2011 -: 1/SVK/010-11; B. v. 01.04.2010 – 1/SVK/007-10;).“

Den von der Vergabestelle angebotenen Zeugenbeweis und eine nachträgliche Heilung des Dokumentationsmangels lehnt die Vergabekammer wegen der fehlenden Transparenz und der Manipulationsmöglichkeit ab.

Aufgrund der mangelnden Dokumentation lag keine nachweisbare Abweichung bei der Bemusterung vor, der einen Ausschluss des Antragsstellers nach § 19 EG Abs.3 d) VOL/A gerechtfertigt hätte.

Aufhebung der Ausschreibung als „ultima ratio“

In einem zweiten Schritt erläutert die VK Sachsen, dass in dem vorliegenden Fall durch eine Wiederholung der Bemusterung kein vergaberechtskonformer Zustand hergestellt werden könne, so dass vorliegend als „ultima ratio“ nur die Aufhebung des Vergabeverfahrens in Frage kommt. Denn die Vergabestelle hatte im Nachprüfungsverfahren zu erkennen gegeben, dass der Preis entgegen der vor Angebotsabgabe bekannt gegebenen Zuschlagskriterien doch eine wesentliche Rolle spielen sollte. Da dies für den Bieter ein kalkulationsrelevanter Umstand ist, muss bei einer erneuten Bemusterung der Auftraggeber in Kenntnis der geöffneten Angebote ein Wertungssystem für die erstgenannten Kriterien erstellen. Da hierbei nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Vergabestelle in Kenntnis der bereits abgegebenen Angebote und in Kenntnis der bereits erfolgten, erfolglosen Bemusterung einen Bieter bevorzugt oder benachteiligt, war das Vergabeverfahren komplett aufzuheben.

Deutsches VergabenetzwerkFazit

Die klaren Ausführungen der Vergabekammer zu Muster und Proben und der Nachforderungsmöglichkeit nach § 19 EG Abs.2 VOL/A sowie die Abgrenzung zur Nachbesserung nach § 19 EG Abs.3 d) VOL/A sind zu begrüßen. Eines ist dabei immer zu beachten: § 19 EG Abs.2 VOL/A stellt im Gegensatz zu § 16 EG Nr.3 VOB/A keine Verpflichtung der Vergabestelle dar, fehlende Erklärungen und damit auch fehlende Muster/Proben nachzufordern, sondern eine Option, das heißt, auch bei fehlenden Muster und Proben ist die Vergabestelle nicht zur Nachforderung verpflichtet und kann Angebote von Bietern ausschließen.

PrellDie Autorin Monika Prell ist für den Bereich der Öffentlichen Ausschreibungen/Vergaberecht bei Bitkom Consult “ zuständig. „Bitkom Consult – Vergaberecht“ coacht, berät und unterstützt insbesondere Unternehmen der ITK-Branche bei öffentlichen Ausschreibungen. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.

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Über Monika Prell

Monika Prell ist Fachanwältin für Vergaberecht und Partnerin bei der Kanzlei SammlerUsinger in Berlin. Sie verfügt über umfangreiche Erfahrung im Vergaberecht und berät sowohl öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren als auch Bieterunternehmen umfassend bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen. Darüber hinaus vertritt Monika Prell ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen. Neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit ist sie als Kommentarautorin tätig, veröffentlicht regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.

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