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Interkommunale Kooperation – Vergabekammer Baden-Württemberg präzisiert Anwendungsbereich des Vergaberechts

Paragraph [1]Die Vergabekammer Baden-Württemberg hat mit Beschluss vom 31. Januar 2012 (1 VK 66/11) klarstellende Erläuterungen zur Anwendbarkeit des europäischen Vergaberechts bei der Zusammenarbeit öffentlicher Stellen (interkommunale Kooperation) ausgeführt. Die Vergabekammer hat sich dabei eng an dem Urteil des EuGH im Fall „Rugenberger Damm – Stadtreinigung Hamburg“ orientiert (vgl. EuGH, Urteil vom 09.06.2009 – Rs. C-480/06). Da diese Entscheidung des EuGH den maßgeblichen Bezugspunkt bei der Frage der Anwendbarkeit des europäischen Vergaberechts auf die verschiedenen Formen der interkommunalen Zusammenarbeit darstellt, liefert die Entscheidung der Vergabekammer Baden-Württemberg wertvolle Hinweise dafür, auf welche Weise interkommunale Kooperationen vergaberechtsfrei gestaltet werden können.

§ 99 Abs. 1 GWB, § 99 Abs. 4 GWB, § 100 Abs. 2 lit. g) GWB, 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB, § 101b Abs. 2 GWB

Sachverhalt

Eine Kommune schloss mit einem Zweckverband einen öffentlich-rechtlichen Vertrag über die thermische Behandlung von Klärschlamm ab, ohne ein förmliches Vergabeverfahren durchzuführen. In dem Vertrag wurde die Kommune als Anlieferer, der Zweckverband als kommunaler Erfüllungsgehilfe bezeichnet. Der zuvor bestehende Dienstleistungsauftrag über die Verwertung des bei der Kommune anfallenden Klärschlamms mit einem privaten Entsorgungsunternehmen war von der Kommune zuvor gekündigt worden. Das private Entsorgungsunternehmen wendete sich gegen den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrags im Wege eines Vergabenachprüfungsverfahrens, weil in dieser Hinsicht eine vergaberechtswidrige De-facto-Vergabe vorläge.

Rechtliche Würdigung

Der Nachprüfungsantrag hat Erfolg. Die Vergabekammer stellt fest, dass der öffentlich-rechtliche Vertrag über die thermische Behandlung von Klärschlamm zwischen der Beigeladenen und der Antragsgegnerin unwirksam ist.

Ausgangspunkt und Leitlinie der Argumentation der Vergabekammer ist die Rechtsprechung des EuGH. Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung entschieden, dass Vereinbarungen zwischen öffentlichen Stellen (Verwaltungseinheiten) nicht von vornherein dem Vergaberecht entzogen sind (grundlegend EuGH, Urteil vom 13. Januar 2005 – Rs. C-84/03). Damit hat der EuGH aber keineswegs abschließend bestimmt, dass das europäische Vergaberecht auf jede Form einer Kooperation staatlicher oder kommunaler Stellen anzuwenden ist. Vielmehr hat er es im Fall „Stadtreinigung Hamburg“ als zulässig erachtet, dass eine öffentliche Stelle die ihr im allgemeinen Interesse obliegenden Aufgaben auch in Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Stellen gemeinsam erfüllen darf, ohne gezwungen zu sein, sich an externe Einrichtungen zu wenden. Unerheblich sei außerdem, ob eine Kooperation aufgrund der Vorgaben des Gesetzes über die kommunale Zusammenarbeit erfolge oder in der Rechtsform einer (rein) vertraglichen Vereinbarung (zum Inhalt des Urteils siehe den Beitrag des Autors hier [2]).

Im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH stellt die Vergabekammer fest, dass es nicht entscheidend darauf ankommt, ob die interkommunale Zusammenarbeit im Wege einer vertraglichen (schuldrechtlichen) oder durch eine institutionalisierte Zusammenarbeit (Zweckverband) erfolgt, sondern ob die beteiligten öffentlichen Einrichtungen eine gemeinsame Aufgabe erfüllen wollen. Die Rechtsform der Zusammenarbeit ist damit nicht mehr entscheidend als Abgrenzungskriterium, auch bei rein öffentlich-rechtlichen (horizontalen) Verträgen können vergaberechtsfreie Sachverhalte vorliegen.

Zu Recht weist die Vergabekammer darüber hinaus darauf hin, dass durch die jüngere Rechtsprechung des EuGH die bislang für eine nicht gegebene Ausschreibungspflicht als erforderlich angesehene Erfüllung der so genannten Inhouse-Kriterien, die ersichtlich nicht auf horizontal-vertragliche Kooperationen zugeschnitten sind, damit ein vergaberechtsfreies aliud bekommen haben.

Vor dem Hintergrund dieser rechtlichen Würdigung hält die Vergabekammer im entschiedenen Fall den öffentlich-rechtlichen Vertrag für grundsätzlich geeignet, um eine interkommunale Kooperation zu begründen. Allerdings werde nicht die „Wahrnehmung einer ihnen allen obliegenden Aufgabe“ vereinbart, die künftig gemeinsam erfüllt werden soll:

„Der Begriff der Aufgabe bezieht sich auf die Zuständigkeiten, die die staatlichen Einrichtungen aufgrund der gesetzlichen Vorgaben haben. Dabei geht die Vergabekammer davon aus, dass konkret auf die Zuständigkeit abzustellen ist, die die einzelne öffentliche Einrichtung kraft Gesetzes tatsächlich hat. Die gemeinsame Aufgabe muss somit jedem Vertragspartner einer solchen Vereinbarung auch einzeln obliegen; der jeweilige einzelne Vertragspartner muss zur Erfüllung dieser Aufgabe gesetzlich verpflichtet sein.“

Da vorliegend nur eine der beiden Vertragsparteien (die „beauftragende“ Kommune, nicht aber der Zweckverband) gemäß § 5 Abs. 2 KrW-/AbfG (a.F.) allein zur Verwertung verpflichtet bzw. zuständig sei, liege ein öffentlicher Dienstleistungsauftrag i.S.d. § 99 Abs. 1 und 4 GWB vor, der gemäß §§ 97 ff. GWB zu vergeben sei. Der öffentlich-rechtliche Vertrag war deshalb nach § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB unwirksam.

Deutsches Vergabenetzwerk [3]Fazit und Praxishinweise

Der Beschluss der Vergabekammer Baden-Württemberg legt überzeugend dar, in welchen Konstellationen eine vergaberechtsfreie interkommunale Zusammenarbeit möglich ist. Dabei liefert sie handhabbare Maßstäbe, die bei der Abgrenzung vergabepflichtiger und ausschreibungsfreier Vereinbarungen hilfreich sind. Die gute Nachricht für die Kommunen besteht also darin, dass es durchaus Gestaltungsmöglichkeiten für interkommunale (horizontale) Kooperationen gibt. Die weniger gute: Zum einen zieht die Entscheidung die Grenzen der rechtlichen Zulässigkeit solcher Kooperationen relativ eng. Zum anderen steht eine (abschließende) Klärung sämtlicher Fragen in diesem Zusammenhang noch aus: Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 6. Juli 2011 (Verg 39/11) dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob so genannte delegierende Vereinbarungen zwischen Hoheitsträgern öffentliche Aufträge darstellen (siehe dazu den Beitrag des Autors hier [2]).

martin_ottDer Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte [4], Stuttgart. Dort berät und vertritt er insbesondere öffentliche Auftraggeber, aber auch Unternehmen, in allen Fragen des Vergaberechts, ein Schwerpunkt liegt hierbei im Dienstleistungsbereich. Mehr Informationen finden Sie in unserem Autorenverzeichnis [5].

dvnwlogoThema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren [6].

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Über Dr. Martin Ott [7]

Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte [4], Stuttgart. Herr Dr. Ott berät und vertritt bundesweit in erster Linie öffentliche Auftraggeber umfassend bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsvorhaben. Auf der Basis weit gefächerter Branchenkenntnis liegt ein zentraler Schwerpunkt in der Gestaltung effizienter und flexibler Vergabeverfahren. Daneben vertritt Herr Dr. Ott die Interessen der öffentlichen Hand in Nachprüfungsverfahren. Er unterrichtet das Vergaberecht an der DHBW und der VWA in Stuttgart, tritt als Referent in Seminaren auf und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichen. Er ist einer der Vorsitzenden der Regionalgruppe Stuttgart des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) [8].

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