- Vergabeblog - https://www.vergabeblog.de -

OLG Düsseldorf gibt neuen Rechtsrahmen für Energiekooperationen und Konzessionsvergaben vor (Beschluss v. 9.01.2013 – VII-Verg 26/12)

Ein Gastbeitrag von RA Jens Biemann, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK

ParagraphBieter trifft auch bei der Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen eine Hinweispflicht auf erkennbare Rechtsverstöße im Wettbewerbsverfahren. Später können sie sich darauf nicht mehr berufen. Neben dieser auftraggeberfreundlichen Vorgabe stellt der Vergabesenat des OLG Düsseldorf erstmals seinen Standpunkt zu Rekommunalisierungsverfahren im Energiesektor und Konzessionsvergaben nach § 46 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) dar (Beschluss vom 9.01.2013 – VII-Verg 26/12).

Ausgangslage

Aktuell laufen eine Vielzahl an Strom- und Gaskonzessionen aus. Kommunen nutzen die Vergabe dieser Wegenutzungsrechte häufig, um über den eigenen Einstieg in den Energiesektor nachzudenken. Für die Gründung selbstständiger Stadtwerke oder Netzgesellschaften fehlt der öffentlichen Hand in der Regel das notwendige Know-how, weshalb sie in einem Auswahlverfahren ein bewährtes Energieversorgungsunternehmen als strategischen Partner für eine gemeinsame Gesellschaft suchen.

Einen solchen Fall nahm das OLG Düsseldorf zum Anlass, grundlegende Vorgaben für diese Auswahlverfahren und die Energiekonzessionsvergaben zu machen. Acht Kommunen aus dem Münsterland gründeten zunächst eigene Netzgesellschaften, die wiederum gemeinsam eine interkommunale Netzgesellschaft errichteten. Die gemeinsame Netzgesellschaft sollte sich später um die auslaufenden Strom- und Gaskonzessionen der Kommunen bewerben. Um ihre Chancen auf die Konzessionen zu erhöhen, suchte die interkommunale Netzgesellschaft in einem europaweiten Vergabeverfahren einen strategischen Partner als Minderheitsgesellschafter.

Auftragselemente infizieren gesamtes Vertragswerk

Für diese Suche nach einem strategischen Partner nimmt das OLG Düsseldorf zutreffend an, dass ein europaweites Vergabeverfahren durchzuführen ist. Wenn die gemeinsame Netzgesellschaft die Strom- und Gaskonzessionen erhält, soll der strategische Partner Dienstleistungen, wie beispielsweise die kaufmännische und technische Betriebsführung der Netze, übernehmen. Im vorliegenden Fall waren die Dienstleistungen in einem Pachtvertragsmodell integriert. Das Gericht stellt klar, dass es nicht auf das rechtliche Mittel ankommt, dessen sich ein Auftraggeber zur Beschaffung der ausschreibungspflichtigen Dienstleistung bedient. Für Auftraggeber bedeutet dies, dass regelmäßig ein förmliches Vergabeverfahren erforderlich ist, wenn Auftragselemente oberhalb des EU-Schwellenwertes im Gesamtauftrag enthalten sind. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz lässt das OLG Düsseldorf nur in seltenen Fällen zu. Lediglich dann, wenn die Pflicht zur ausschreibungspflichtigen Dienstleistung völlig untergeordneter Art ist und deshalb auszuschließen ist, dass ihretwegen ein Vertrag eingegangen werden soll, darf ein Auftraggeber ein Unternehmen außerhalb des Vergaberechts beauftragen. In der Praxis wird die öffentliche Hand einen solchen Ausnahmetatbestand nur in den seltensten Fällen annehmen können.

Für aktuelle Energiekooperationen bedeutet die Einordnung der gängigen Pachtmodelle, bei denen die gemeinsame Netzgesellschaft nach der Konzessionsübernahme das Energienetz kauft und an den strategischen Partner verpachtet, eine neue Herausforderung. Sobald Dienstleistungselemente oberhalb des einschlägigen EU-Schwellenwertes von 400.000 Euro für Sektorenaufträge in dem Pachtvertrag integriert sind, besteht eine europaweite Ausschreibungspflicht. Hierfür hängt es auch noch nicht einmal davon ab, ob der strategische Partner als Pächter überhaupt die Dienstleistungen später erbringen muss. Dies wird nämlich nur dann relevant, wenn die gemeinsame Gesellschaft in den separaten Wettbewerbsverfahren um die Strom- und Gaskonzessionen den Zuschlag erhält. Allein die dahingehende Möglichkeit begründet die Ausschreibungspflicht. Kommunen, die derzeit über Rekommunalisierungsmodelle nachdenken, ist daher dringend zu empfehlen, die Anwendbarkeit des Kartellvergaberechts genau zu untersuchen. Mit der neuen Entscheidung des OLG Düsseldorf sind kaum noch Modelle denkbar, die eine vergaberechtsfreie Auswahl eines strategischen Partners zulassen.

Hinweispflicht für erkennbare Rechtsverstöße

Besondere Praxisrelevanz dürfte die bereits eingangs erwähnte Hinweispflicht auf erkennbare Rechtsverstöße haben. Zwar lag in dem streitgegenständlichen Fall ein Vergabeverfahren nach den Vorschriften des GWB und somit auch mit der Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB vor. Das OLG Düsseldorf nutzt jedoch den Beschluss, um für Strom- und Gaskonzessionsvergaben gemäß § 46 EnWG entscheidende Anforderungen zu stellen. Strom- und Gaskonzessionen werden nach allgemeiner Ansicht als Dienstleistungskonzessionen eingeordnet. Daher sind die Ausführungen des Gerichts besonders interessant. Das OLG Düsseldorf führt dazu wörtlich aus:

„Bei den einer Nachprüfung nach dem GWB nicht unterliegenden (reinen) Konzessionsvergaben nach § 46 EnWG ergibt sich – im Sinn einer unselbständigen Nebenpflicht – eine Verpflichtung der Bieter, den Auftraggeber insbesondere auch auf Rechtsverstöße im Vergabeverfahren hinzuweisen, im Übrigen aus dem durch Anforderung der Vergabeunterlagen begründeten vorvertraglichen Schuldverhältnis nach §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB (…). Eine Verletzung der vorvertraglichen Hinweispflicht wird im Allgemeinen angemessen nur in der Weise zu sanktionieren sein, dass die betreffenden Rügen bei dem regelmäßig anzustrengenden Verfügungsverfahren nach §§ 935 ff. ZPO von einer Nachprüfung jedenfalls materiell-rechtlich ausgeschlossen sind (…).“

Das OLG Düsseldorf überträgt damit die für förmliche Vergabeverfahren aufgestellten Grundsätze auf die Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen. Diese Fortentwicklung ist durchaus nachvollziehbar, da letztendlich identische Interessenverhältnisse bei Vergabeverfahren und Konzessionsvergaben vorliegen. Daher besteht kein Anlass, Bieter bei Wettbewerbsverfahren außerhalb der vergaberechtlichen Bestimmungen von ihren vorvertraglichen Pflichten zu entbinden. In der Rechtsprechung zu Energiekonzessionsvergaben wurde das bisher zumeist anders gesehen, so dass sich teils lange nach der Konzessionsvergabe Gerichte mit Verfahrensmängeln befassten (siehe z.B. Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 22.11.2012, 16 U (Kart) 22/12; zutreffend für eine Rügepflicht bereits LG Köln, Urteil vom 7.11.2012, 90 U 59/12).

Der vom OLG Düsseldorf für Strom- und Gaskonzessionsvergaben aufgestellte Grundsatz lässt sich zudem auf sämtliche Dienstleistungskonzessionsvergaben übertragen. Allerdings bedeutet diese Hinweispflicht keinen Freibrief für öffentliche Auftraggeber, sämtliche Risiken und Pflichten auf die Bieter zu schieben. Die Erkennbarkeit des Rechtsverstoßes wird weiter Voraussetzung für eine Hinweispflicht sein. Auftraggebern ist außerdem zu empfehlen, in den Vergabe- beziehungsweise Wettbewerbsunterlagen die Bieter über eine entsprechende Hinweispflicht aufzuklären.

Deutsches Vergabenetzwerk [1]Fazit

Die lesenswerte Entscheidung des OLG Düsseldorf enthält eine Vielzahl weiterer Ausführungen, in denen das Gericht teils sehr streitige Fragen rund um Energiekonzessionsvergaben aufgreift. Neben diesen speziellen Problemfeldern nimmt das Gericht aber auch zu allgemeinen Vergaberechtsthemen Stellung, die gerade für die Praxis eine besondere Relevanz haben. Für Energiekooperationen und Konzessionsvergaben gibt die Entscheidung etwas Halt und Rechtssicherheit im nicht nur von den Bietern hart umkämpften Markt. Neben den Zivil- und Verwaltungsgerichten nehmen nämlich Vergabekammern, die Bundesnetzagentur und das Bundeskartellamt mit ihren Beschlüssen Einfluss auf den Wettbewerb. Das Bundeskartellamt stellte dies zuletzt mit seinem Beschluss zum Rekommunalisierungsmodell der Stadt Mettmann unter Beweis [2]), der jetzt vollständig veröffentlicht wurde [3]. Damit stellt das Bundeskartellamt für die Vergabe von Energiekonzessionen klar, wovon auch das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss nicht abweicht: Inhouse-Vergaben von Strom- und Gaskonzessionen sind unzulässig. Selbst die eigenen Stadtwerke müssen sich stets im Wettbewerb beweisen. Ob diese Burg noch fallen wird, darf man mit der Entscheidung des OLG Düsseldorfs sicherlich bezweifeln.

BiemannDer Autor Jens Biemann ist Rechtsanwalt in der Sozietät HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK in Düsseldorf [4]. Er berät Auftraggeber bei komplexen Vergabe- und Wettbewerbsverfahren sowie Energiekonzessionsvergaben und Rekommunalisierungsmodellen.

dvnwlogoThema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren [1].

Teilen
[5] [6] [7] [8] [9]