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Das Ende der Produktneutralität, oder: Ein bisschen Glimmer geht immer – zum Beschluss des OLG Düsseldorf vom 09.01.2013 – Verg 33/12

ParagraphWas wäre das Vergaberecht ohne das OLG Düsseldorf. Ungefähr so langweilig wie Bundesliga ohne den FC Hollywood. Während Letzterer zumindest in dieser Saison aber der Unfehlbarkeit ziemlich nahe gekommen ist – also natürlich nur rein fußballerisch und bis dato –, kann man dazu bezüglich Ersterem geteilter Meinung sein und ist dies auch, wie z. B. der Beitrag von Pfarr und die diesbezüglichen Kommentare zum Beschluss vom 09.01.2013, Verg 33/12 [1], belegen. Jedenfalls versorgt der stete rheinische Quell der vergaberechtlichen Überraschungen mich und die anderen Autoren in diesem Blog mit reichlich Stoff für kontroverse Auseinandersetzungen. Schillernd an der vorgenannten Entscheidung ist dabei nicht nur die recht kryptische weil nicht näher begründete Aussage, dass eine Gewichtung der Zuschlagskriterien Preis mit 90% und technischer Wert mit 10% vergaberechtswidrig sei, die bei den kommentierenden Kollegen [2] sogleich zu verschärftem Stirnrunzeln geführt hat. Ein weiterer Glamoureffekt liegt im Glimmereffekt bzw. dem Gebot der produktneutralen Ausschreibung, oder was das OLG Düsseldorf davon noch übrig lässt.

Genug gekalauert – worum geht es? Um die Festlegung von Produkten in den Vergabeunterlagen, in diesem Fall die Hersteller- und Fabrikatsangabe für einen Außenputz mit „Glimmereffekt“. Das Thema liefert gleichzeitig ein weiteres Beispiel der divergierenden Entscheidungspraxis der verschiedenen Vergabesenate der Oberlandesgerichte in Deutschland; ein Phänomen, das im Übrigen auch von den Vergabesenaten selbst gesehen wird (ein Mitglied eines Vergabesenats sprach auf einer vergaberechtlichen Veranstaltung kürzlich unumwunden von „Zufallsentscheidungen“). Ausgangspunkt ist der Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung, wie er in § 7 Abs. 8 (EG) VOB/A bzw. § 8 Abs. 7 EG VOL/A enthalten ist. Wir erinnern uns an die inzwischen recht zahlreichen Entscheidungen des OLG Düsseldorf zum Leistungsbestimmungsrecht des öffentlichen Auftraggebers (vgl. z. B. meinen Beitrag m. w. N. [3]). In diesen Entscheidungen hatte es das OLG Düsseldorf zugelassen, dass der öffentliche Auftraggeber in den Vergabeunterlagen ein bestimmtes Produkt festschreibt. Das OLG Düsseldorf nimmt damit eine vergleichsweise auftraggeberfreundliche Position ein. Im Gegensatz dazu steht z. B. die Entscheidung des OLG München (vgl. Pfarr [4]), in der das OLG es umgekehrt einem Bieter durchgehen ließ, nicht nur ein anderes Produkt anzubieten, als in der (unzulässig produktspezifischen) Ausschreibung vorgeschrieben, sondern auch mit dem geänderten Produkt systembedingte Änderungen am Ausschreibungsinhalt vorzunehmen.

Das OLG Düsseldorf setzt in der Entscheidung vom 09.01.2013 (Verg 33/12) hiervon unbeeindruckt seinen auftraggeberfreundlichen Kurs fort und geht dabei noch einen Schritt weiter:

1. Entscheidung

Anders als in den meisten der oben in Bezug genommenen bisherigen Entscheidungen des OLG Düsseldorf, bei denen es oftmals um Produktvergaben in komplexeren technischen Zusammenhängen ging, handelt es sich vorliegend um eine Produktvorgabe für einen Außenputz.

a) Die beiden Ausnahmen zur Produktneutralität in § 7 Abs. 8 (EG) VOB/A, § 7 Abs. 4 VOL/A, § 8 Abs. 7 EG VOL/A

Zunächst unterscheidet das OLG Düsseldorf lehrbuchartig zwischen den beiden unterschiedlichen, in der Praxis oftmals nicht ausreichend differenzierten Tatbeständen in § 7 Abs. 8 (EG) VOB/A bzw. § 8 Abs. 7 EG VOL/A. Während die Tatbestände in den jeweiligen Sätzen 1 dieser Regelungen die Festlegung auf ein bestimmtes Produkt (ohne Öffnungsklausel) gestatten, wenn dies durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist, erlauben die jeweiligen Tatbestände in den Sätzen 2 dieser Paragraphen den Verweis auf ein bestimmtes Produkt, Verfahren etc. dann, wenn der Auftragsgegenstand nicht hinreichend genau oder allgemein verständlich beschrieben werden kann, allerdings nur mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ (mit Öffnungsklausel), was den Bietern das Angebot alternativer Produkte ermöglicht. Der Gleichwertigkeitsnachweis obliegt insoweit den Bietern. Für Unterschwellenvergaben im Bereich der VOL/A sind die Regelungen in etwas anderer Reihenfolge und Diktion in § 7 Abs. 4 VOL/A enthalten.

b) Zusätzliche Ausnahme von der Produktneutralität: „Unechte Produktorientierung“?

So weit, so bekannt. Interessant wird es aber im Folgenden, wenn das OLG Düsseldorf einen zusätzlichen Ausnahmefall vom Grundsatz der Produktneutralität kreiert, der in den genannten Bestimmungen der VOB/A und VOL/A nicht enthalten ist, nämlich die vom OLG so bezeichnete „unechte Produktorientierung“. Die Nennung eines bestimmten Produkts in der Leistungsbeschreibung – erst Recht mit dem Zusatz „oder gleichwertiger Art“ – könne auch so aufgefasst werden, dass das Produkt als Planungsfabrikat, Richtfabrikat oder Leitfabrikat, d. h. nur beispielhaft genannt wird, aus Sicht des Auftraggebers aber gar keine Festlegung auf ein bestimmtes Produkt erfolgen, sondern den Bietern lediglich die Bearbeitung des Angebots erleichtert werden soll.

Das OLG Düsseldorf „neigt dazu“, eine derartige „unechte“ Produktorientierung für zulässig zu erachten, vgl. bereits Beschluss vom 01.10.2012, VII-Verg 34/ 12. Eine solche Art der Ausschreibung beruhe auf einer langjährigen und verbreiteten Praxis der öffentlichen Auftraggeber, die auch den Bietern in der Regel nicht fremd ist.

Letzterer Hinweis ist tatsächlich zutreffend. Viele Auftraggeber bzw. die die Ausschreibung erstellenden Berater verwenden aus Vereinfachungsgründen sogenannte „Leitfabrikate“ mit dem Zusatz „oder gleichwertiger Art“. Neu ist indes, dass diese Praxis nun nicht mehr als Verstoß gegen § 7 Abs. 8 (EG) VOB/A bzw. § 8 Abs. 7 EG VOL/A anzusehen sein soll, sondern vielmehr geradezu als Rechtfertigung einer (ungeschriebenen) Ausnahme von diesem Grundsatz.

Tatsächlich erscheint die vom OLG Düsseldorf propagierte Unterscheidung zwischen einer unzulässigen Produktfestlegung mit dem Zusatz „oder gleichwertiger Art“ einerseits und einer zulässigen „unechten Produktorientierung“, die letztlich auch aus nichts anderem besteht als der Nennung eines Produkts mit dem Zusatz „oder gleichwertiger Art“ kaum nachvollziehbar, zumal phänotypisch beide Varianten auf dasselbe hinauslaufen – Vorgabe eines Produktes mit Öffnungsklausel – und vor allem rechtlich auch die gleichen Folgen für den Wettbewerb haben: der Bieter trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Gleichwertigkeit eines von ihm angebotenen, abweichenden Produktes.

Die „unechte Produktorientierung“ kann zu den gleichen wettbewerbsbeschränkenden Phänomenen führen, zu deren Verhinderung die §§ 7 Abs. 8 (EG) VOB/A bzw. 8 Abs. 7 EG VOL/A gerade dienen sollen, nämlich der Vorgabe von produktspezifischen Merkmalen, die dann vom Auftraggeber im Rahmen der Gleichwertigkeitsprüfung zu Grunde gelegt werden, von anderen Produkten aber nicht erfüllt werden und damit letztlich eine Verengung des Wettbewerbs auf das ausgeschriebene Produkt bedingen. So lag es auch in vorliegendem Fall, unabhängig von der Tatsache, dass das OLG Düsseldorf vorliegend sogar die direkte Anwendung des § 7 Abs. 8 S. 2 EG VOB/A mangels Beschreibbarkeit bejaht hat (s. sogleich c)). Diese Gefährdung des Wettbewerbs ergibt sich aus jeder Fabrikatsnennung unabhängig davon, ob diese nun als „echtes“ oder „unechtes“ Planungs-, Richt- oder Leitfabrikat bezeichnet oder intendiert ist.

Wo also genau die Unterschiede zwischen einer unzulässigen Produktfestlegung und einer zulässigen „unechten Produktorientierung“ liegen sollen, außer ggf. in der subjektiven Motivation des Auftraggebers – und selbst diese wage ich zu bezweifeln, da auch die „echte“ Produktvorgabe mit dem Zusatz „oder gleichwertiger Art“ nichts anderes als ein Leitfabrikat ist –, erschließt sich nicht. Es bleibt daher ein großes Fragezeichen, ob diese Unterscheidung des OLG Düsseldorf nicht letztlich nur zu einer Umgehung des Grundsatzes der Produktneutralität führt.

Deutsches Vergabenetzwerk [5]c) Maßstab für die Nichtbeschreibbarkeit

Das OLG Düsseldorf lässt die Frage letztlich dahinstehen, weil es eine Produktfestlegung mit dem Zusatz „oder gleichwertiger Art“ nach § 7 Abs. 8 Satz 2 EG VOB/A für gerechtfertigt hält, da es vorliegend bei dem Außenputz auf eine bestimmte vom Auftraggeber gewünschte Optik, nämlich den „Glimmereffekt“ ankomme, der sich verbal nicht anders beschreiben lasse als – wie geschehen – dadurch, dass ein Erscheinungsbild gefordert wird, das dem entspricht, das entsteht, wenn der produktspezifisch benannte Oberputz eines bestimmten Herstellers mit den nach Material und Menge im LV exakt bezeichneten Zuschlagsstoffen versehen und nach vollständiger Trocknung nachbehandelt wird.

Obwohl der antragstellende Bieter, der das Produkt eines anderen Herstellers angeboten hatte, ein Produktdatenblatt und eine Herstellerbestätigung über die Gleichwertigkeit vorgelegt hat, wurde er nach dem OLG Düsseldorf zu Recht ausgeschlossen, weil er nicht nachgewiesen habe, dass mit seinem Produkt „eine vergleichbare Optik“ erzielt wird.

Nicht entschieden wurde, wie er den Nachweis im Zuge der Angebotslegung denn hätte erbringen sollen. Nachdem es hier um die Optik geht, hätte der Bieter der ihm obliegenden Darlegungs- und Beweislast wohl nur durch eine Musterfläche genügen können!

2. Fazit

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf geht bezogen auf Produktvorgaben weiter in die auftraggeberfreundliche Richtung. Die neueste Schöpfung sind dabei die sogenannten „unechten Produktorientierungen“, die nicht unter das Verbot der Produktvorgabe in § 7 Abs. 8 (EG) VOB/A, § 7 Abs. 4 VOL/A, § 8 Abs. 7 EG VOL/A fallen sollen. Auch im Übrigen gestattet das OLG Düsseldorf die Festlegung auf bestimmte Produkte, in diesem Fall wegen einer laut Auftraggeber objektiv nicht beschreibbaren besonderen Optik, dem sogenannten Glimmereffekt eines Außenputzes. Für Auftraggeber bedeutet dies, dass sie sich mit Vorgaben von Produkten, Verfahren etc. umso leichter tun, je eher sie bestimmte Eigenschaften als unbedingt gewollt in den Vordergrund rücken, frei nach dem Motto: Ein bisschen Glimmer geht immer.

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Über Dr. Mathias Mantler [6]

Der Autor Dr. Mathias Mantler ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner der Sozietät LUTZ |ABEL Rechtsanwalts PartG mbB [7] und seit über 20 Jahren im Vergaberecht tätig. Er hat seinen Schwerpunkt in der projektbegleitenden Beratung von Öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen im Zusammenhang mit Beschaffungsvorhaben insbesondere in den Bereichen Infrastruktur, Health Care, Forschung und Entwicklung sowie IT/Digitalisierung sowie in der Vertretung von Auftraggebern und Unternehmen in Vergabenachprüfungsverfahren. Zudem ist er Autor diverser Fachveröffentlichungen im Vergaberecht und Dozent in vergaberechtlichen Seminaren und Lehrveranstaltungen.

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