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Auftragsbündelung im Postsektor: Teillosbildung ist Pflicht! (VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 12.06.2013 – 1 VK 12/13)

ParagraphDen Vorschriften zur Vergabe öffentlicher Aufträge durch öffentliche Auftraggeber kommt im Bereich  des Postsektors im erst seit dem Jahre 2008 vollständig geöffneten Postmarkt grundlegende Bedeutung (auch) zur Wettbewerbsförderung zu. Beachtlich ist dabei, dass das Unternehmen der Deutschen Post AG den Postmarkt bis heute noch zu etwa 90 % beherrscht und die Mehrzahl der mittelständischen Wettbewerbsunternehmen überwiegend (mit eigenen Kräften) regional tätig werden und hinsichtlich der bundesweiten Zustellung auf umfangreiche Nachunternehmernetzwerke zugreifen (vgl. dazu auch: Monopolkommission, Sondergutachten 62, Post 2011: „Dem Wettbewerb Chancen eröffnen“). Die VK Baden-Württemberg hat nun entschieden, dass ein öffentlicher Auftraggeber, der die Produktion seiner Postsendungen an zentralen Druckstandorten in anderen Bundesländern mit anderen öffentlichen Auftraggebern durchführt, hinsichtlich der Zustellung der produzierten Sendungen eine Teillosbildung nach Empfängeradressen (Zustellgebieten) im Tätigkeitsgebiet der Wettbewerbsunternehmen vorzunehmen hat.

Öffentliche Auftraggeber gehören zu den größten Auftraggebern von Postdienstleistungen überhaupt. Dem technischen Fortschritt bei der Datenverarbeitung und dem Bedürfnis der Auftraggeber, „Synergien“ zu nutzen, ist der Umstand geschuldet, dass diese Leistungen vielfach in „gebündelten“ Vergabeverfahren an „zentralen Druckstandorten“ vergeben werden bzw. durchzuführen sind (vgl. dazu auch: v. Ulmenstein: „Die Vergabe von Postdienstleistungen durch zentrale Beschaffungsstellen (OLG Schleswig, Beschlüsse vom 25. Januar 2013, 1 Verg 6/12 und 1 Verg 8/12)“, Beitrag auf vergabeblog.de v. 10.2.2013 [1]).

Tragenden Grundsätzen, wie der Verpflichtung der Auftraggeber, mittelständische Interessen „vornehmlich“ zu berücksichtigen und Leistungen in Teillosen zu vergeben, kommt dabei im Postsektor ganz erhebliche und wettbewerbsfördernde Bedeutung zu. Denn nur durch eine Aufteilung der (gebündelten) Leistungen sind Wettbewerbsangebote der marktbeherrschenden Deutschen Post AG für die Auftraggeber überhaupt erreichbar. Die Vergabekammer Baden-Württemberg hat nun entschieden (Beschluss vom 12. Juni 2013 – 1 VK 12/13), dass ein öffentlicher Auftraggeber, der die Produktion seiner Postsendungen an zentralen Druckstandorten in anderen Bundesländern mit anderen öffentlichen Auftraggebern durchführt, hinsichtlich der Zustellung der produzierten Sendungen eine Teillosbildung nach Empfängeradressen (Zustellgebieten) im Tätigkeitsgebiet der Wettbewerbsunternehmen vorzunehmen hat.

Sachverhalt

Ein Wettbewerbsunternehmen der Deutschen Post AG ist mit eigenen Kräften hinsichtlich der Abholung und Zustellung von Sendungen überwiegend in einem Bundesland tätig. Ein großer öffentlicher Auftraggeber vor Ort (Justizverwaltung) arbeitete in der Vergangenheit mit diesem Unternehmen zusammen und beauftragte bei diesem die Durchführung von Postdienstleistungen (förmliche Zustellung, PZA) hinsichtlich der bundeslandbezogenen Zustelladressen.

Dieser öffentliche Auftraggeber entschied sich dazu, mit einem anderen Auftraggeber aus einem anderen Bundesland eine gemeinsame (europaweite) Ausschreibung durchzuführen. Die gesamten Postsendungen der beiden Auftraggeber sollen an einem zentralen Druckstandort in dem anderen Bundesland dort produziert (gedruckt) und vor Ort dem ausgewählten Postdienstleister zur bundesweiten Zustellung zur Verfügung gestellt werden.

Das bisher beauftragte Unternehmen sah sich wegen der Bündelung dieser Zustellleistungen und dem bundesweiten Zuschnitt hinsichtlich der Zustellgebiete nicht mehr in der Lage, sich mit einem eigenen wirtschaftlichen Angebot an der Ausschreibung zu beteiligen. Es stellte daraufhin bei der Vergabekammer Baden-Württemberg einen Nachprüfungsantrag.

Entscheidung

Die Entscheidung ist in zweierlei Hinsicht von Interesse:

1.

Das vorliegende Vergabeverfahren wurde von zwei Bundesländern, jeweils vertreten durch die Justizverwaltung, gemeinsam durchgeführt. Im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union war unter VI.4.1 die Vergabekammer Baden-Württemberg als zuständige Stelle für Rechtsbehelfs-/Nachprüfungsverfahren vermerkt.

Da die Vergabestellen im Laufe des Verfahrens erklärten, dass Auftraggeber der hier betroffenen Leistungen lediglich eine Bundesland sei und man keine gemeinsam Vergabe beabsichtige, erklärte sich die Vergabekammer Baden-Württemberg für unzuständig und verwies die Sache in entsprechender Anwendung der §§ 83 VwGO,17a GVG an die örtlich zuständige Vergabekammer am Sitz des Antragstellers und dortigen Auftraggebers.

Diese Vergabekammer verwies die Angelegenheit jedoch wieder zu der ursprünglich angerufenen Vergabekammer mit der Begründung zurück, dass sie nicht meine, dass sie wegen der zusammengefassten Vergabe zuständig sei.

Die Vergabekammer Baden-Württemberg entschied nun in der Sache selbst – wies allerdings darauf hin, dass sie (eigentlich) nicht zuständig sei.

2.

Die Antragsgegnerin (also die frühere Auftraggeberin des sich beschwerenden Unternehmens) wurde mit Blick auf die Regelung des § 97 Abs. 3 Satz 1 GWB (Teillosgebot) durch die Vergabekammer verpflichtet, die Sendungen nicht nur „überhaupt“ hinsichtlich der Zustellgebiete aufgeteilt zu vergeben. Die Vergabekammer verpflichtete diesen Auftraggeber vielmehr (sogar) dazu, das Zustellgebiet des sich beschwerenden Bieters zu berücksichtigen und einen Loszuschnitt so zu wählen, dass der potenzielle Bieter sich an der Ausschreibung beteiligen könne. Dies sei der besonderen Wettbewerbssituation im Postmarkt geschuldet. Für den vorliegenden Fall bedeutete dies, dass die Vergabestelle verpflichtet wurde, ein Zustellgebietslos hinsichtlich der (eigenen) Zustellgebiete des sich beschwerenden Bieters zu bilden, da hier ein verhältnismäßig großer Sendungsanteil betroffen war.

Der Wunsch des Auftraggebers, zentrale Druckstandorte einzusetzen und Sendungen in ausgelagerten Druckzentren produzieren zu lassen, sei kein „technischer Grund“ im Sinne von § 97 Abs. 3 Satz 2 GWB, der eine Gesamtvergabe rechtfertige. Auch die im Übrigen dargetanen „wirtschaftlichen Gründe“ rechtfertigen nach dieser Entscheidung keine Ausnahme, da auf der Auftraggeberseite im Verhältnis zum Auftragsvolumen lediglich „überschaubare“ Mehrkosten bei einer Teillosbildung entstünden.

Deutsches Vergabenetzwerk [2]

Fazit und Praxishinweis

Bei der Vergabe von Postdienstleistungen durch öffentliche Auftraggeber ist stets zu berücksichtigen, dass der Postsektor bis heute zu 90 % durch die marktbeherrschende Deutsche Post AG dominiert wird. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge kommt daher dem vergaberechtlichen Wettbewerbsgrundsatz in seinen Ausprägungen ganz erhebliche Bedeutung zu:

Der – nachvollziehbare – Wunsch von Vergabestellen, insbesondere die Produktion von Postsendungen angesichts der erweiterten technischen Möglichkeiten an zentralen Produktionsstandorten vornehmen zu lassen und von dort aus die – bundesweite – Zustellung zu beauftragen, führt nicht etwa dazu, dass vergaberechtliche Grundprinzipien zu vernachlässigen wären oder nur „abgeschwächt“ Geltung hätten. Das Gegenteil ist der Fall, denn die Bündelung oder Zusammenfassung von Auftragsgegenständen in einer Ausschreibung führt zu „gesteigerten“ Verpflichtungen der Vergabestellen, mittelständische Interessen entsprechend zu berücksichtigen (vgl. dazu auch OLG Schleswig, a.a.O. [1]).

In der vorliegenden Entscheidung der VK Baden- Württemberg konnten der Antragsteller damit faktisch einen Anspruch auf einen besonderen Loszuschnitt durchsetzen, da die (mit eigenen Kräften bedienten) Zustellgebiete der Wettbewerbsunternehmen im noch unterentwickelten Postmarkt regional begrenzt sind.

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Über Dr. Christian von Ulmenstein [3]

Rechtsanwalt Dr. Christian v. Ulmenstein ist seit Juli 2023 Partner der Kanzlei LEINEMANN PARTNER Rechtsanwälte [4], Berlin. Er betreut und berät als Fachanwalt für Vergaberecht Vergabestellen und Bieter in komplexen öffentlichen Ausschreibungsverfahren (Bau- und Dienstleistungsvergaben). Seit der Öffnung des Postsektors gehört zu seinen Leistungen seit vielen Jahren auch die Beratung von Unternehmen und Vergabestellen bei der öffentlichen Beschaffung von Postdienstleistungen.

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