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Berufsständische Vereinigungen keine öffentlichen Auftraggeber (EuGH, Urteil v. 12.09.2013 – C‑526/11)

EU-RechtDer EuGH hat in der Rechtssache C‑526/11 am 12.09.2013 entschieden, dass Ärztekammern keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Sinne von Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/18 bzw. § 98 Nr. 2 GWB sind und damit nicht dem europäischen Vergaberecht unterliegen.

Die Entscheidung folgt sowohl dem Schlussantrag des Generalanwalts vom 30.01.2013 als auch der vom OLG Düsseldorf in seinem Vorlagebeschluss vom 05.10.2011, VII Verg 38/11, zum Ausdruck gebrachten Rechtsansicht. Gleichwohl ist die Ablehnung der Eigenschaft von Ärztekammern als öffentliche Auftraggeber eine kleine Sensation.

Der EuGH und in seinem Gefolge die nationalen vergaberechtlichen Spruchkörper ließen in den vergangenen Jahren nur wenige Gelegenheiten aus, die Segnungen des Vergaberechts auch solchen Unternehmen und Einrichtungen angedeihen zu lassen, die damit lange Zeit nicht gerechnet hatten. Während das Feld der klassischen öffentlichen Auftraggeber mit den Gebietskörperschaften klar umrissen ist (§ 98 Nr. 1 GWB), ist die funktionale, an die jeweils staatsnahe Aufgabenstellung, Finanzierung und Kontrolle, anknüpfende Definition der öffentlichen Einrichtung auf eine stete Expansion des Vergaberechts angelegt.

Im vorliegenden Verfahren ging es hingegen nicht darum, dass ein Bieter geltend machte, auch eine Ärztekammer müsse ihren Bedarf öffentlich ausschreiben. Vielmehr glaubte sich die Ärztekammer durchaus dem europäischen Vergaberecht unterworfen und schrieb Druckereileistungen öffentlich aus, woraufhin sich ein unterlegener Bieter folgerichtig mit einem Nachprüfungsantrag an die Vergabekammer wandte. Der in der Sache begründete Nachprüfungsantrag war aber nur dann zulässig, wenn es sich bei der Ärztekammer tatsächlich um einen öffentlichen Auftraggeber handelte. Dafür sprach auf den ersten Blick alles: Deutschland hat in das Verzeichnis öffentlicher Einrichtungen in Anhang III der Richtlinie 2004/18 gemäß Ziff. III, Kategorie 1.1 ausdrücklich „berufsständische Vereinigungen (Rechtsanwalts-, Notar-, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer-, Architekten-, Ärzte- und Apothekerkammern)“ aufgenommen. Auch in der Literatur wurde unter Verweis auf die bisherige Rechtsprechung des EuGH vertreten, dass neben gesetzlichen Krankenkassen und Rundfunkanstalten ohne weiteres auch die berufsständischen Zweckverbände öffentliche Einrichtungen sind (vgl. Wagner/ Raddatz, NZBau 2010, 731 (733); Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 1. Auflage 2011, Rn. 19 zu § 98 GWB).

Mit einer erfrischen klaren und stringenten Begründung machte der EuGH sowohl der Mitgliedsstaat Deutschland als auch der Ärztekammer die Definitionshoheit darüber streitig, ob berufsständische Körperschaften öffentliche Auftraggeber sind. Zunächst hielt der EuGH unter Verweis auf seine Entscheidung im Fall der gesetzlichen Krankenkassen (Urteil vom 11.06.2009, C-300/07 – Oymanns, NZBau 2009, 520) daran fest, dass die Aufnahme einer Einrichtung in Anhang III der Richtlinie 2004/18 keine unwiderlegliche Vermutung dafür begründe, dass es sich tatsächlich um eine öffentliche Einrichtung im Sinne der Richtlinie handele. Dies zu prüfen, sei Sache des Unionsrichters.

Von den drei kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen der öffentlichen Einrichtung erfüllte die Ärztekammer nach Einschätzung des EuGH unproblematisch nur die ersten beiden, nämlich die Bindung an das Allgemeininteresse und die eigene Rechtspersönlichkeit. Beides dürfte unstreitig sein, da das nordrheinwestfälische Heilberufsgesetz den Ärztekammern u.a. die Aufgabe zuweist, den öffentlichen Gesundheitsdienst bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen. Dagegen sind beispielsweise die Rechtsanwaltskammern wesentlich stärker auf die Ausübung der Selbstverwaltung in eigenen Angelegenheiten der Anwaltschaft insbesondere im Zulassungswesen ausgerichtet; das Allgemeininteresse lässt sich hier nur mittelbar aus der Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege ableiten.

Entscheidend kam es im Fall der Ärztekammer mithin auf die dritte Voraussetzung der öffentlichen Einrichtung an, wonach die erforderliche Staatsnähe öffentlicher Einrichtungen alternativ durch eine überwiegende staatliche Finanzierung oder eine überwiegende staatlichen Kontrolle begründet wird. Im Fall der Rundfunkanstalten hatte der EuGH auch eine indirekte staatliche Finanzierung genügen lassen, da diese durch eine staatlich geregelte Beitrags- oder Gebührenerhebung und deren Durchsetzung mittels hoheitlicher Befugnisse dem Grunde und der Höhe nach sichergestellt wird (EuGH, Urteil vom Urteil vom 13.12.2007, C-337/06, NZBau 2008, 132). Den maßgeblichen Unterschied zwischen Rundfunkanstalten und berufsständischen Vereinigung sieht der EuGH in der Autonomie der Kammern. Die Kammerversammlung bestimmt deshalb über die Höhe der Beiträge, weil die Ärzte einen erheblicher Spielraum hinsichtlich der in Erfüllung ihrer Selbstverwaltung auszuübenden Tätigkeiten haben. Diese Teilhabe der Angehörigen körperschaftlich verfasster freier Berufe an der Finanzierung ihrer Selbstverwaltung haben Rundfunkteilnehmer und Sozialversicherte offensichtlich nicht.Deutsches VergabenetzwerkAus diesem Grund ist auch die Leitung und Aufsicht über berufsständische Vereinigungen gänzlich anders ausgestaltet. Ärztekammern werden von Ärzten, Anwaltskammern von Anwälten geführt, Rundfunkanstalten aber, vermutlich zum besseren Wohl der Zuschauer, nicht von diesen. Einrichtungen, die nicht der Selbstverwaltung ihrer Mitglieder unterliegen, sind regelmäßig auch in weit größerem Maße einer staatlichen Kontrolle ausgesetzt. Im Fall der Ärztekammer wies der EuGH in Fortsetzung seiner bisherigen Spruchpraxis darauf hin, dass das Erfordernis einer nachträglichen Genehmigung der Beitragssatzung durch die Aufsichtsbehörde keine hinreichende staatliche Einflussnahme auf das Beschaffungsverhalten vermittle.

Die Entscheidung ist zu begrüßen. Die funktionale Ausrichtung der einzelnen Tatbestandsmerkmale führte zwar zu Recht dazu, wie im Fall der Rundfunkanstalten auch Formen der mittelbaren staatlichen Finanzierung einer klassischen Finanzierung aus Haushaltsmitteln gleichzustellen. Doch eben diese funktionale Ausrichtung verlangt bei einer gesetzlich begründeten Beitragserhebung nach der Prüfung, wer über diese bestimmt und welchen Aufgaben sie dient. Das entscheidende Stichwort hierzu lautet im Fall der Ärztekammern wie auch anderer berufsständischer Vereinigungen: Autonomie der Kammerversammlung. Ärztekammern, Steuerberaterkammern und Anwaltskammern und ähnliche berufsständische Organisationen sind keine öffentliche Auftraggeber.

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Über Dr. Frank Roth

Dr. Frank Roth ist Partner und Rechtsanwalt bei DLA Piper UK LLP in Köln. Er ist auf den Gebieten des Vergaberechts, des öffentlichen Preisrechts und der Streitbeilegung tätig. Er hat sich seit Einführung des Kartellvergaberechts im Jahr 1998 auf die Beratung bei der Vorbereitung von und der Teilnahme an Vergabeverfahren öffentlicher Auftraggeber spezialisiert und verfügt über branchenspezifische Erfahrungen insbesondere auf den Gebieten Energie, Informationstechnologie und Infrastruktur, Food & Healthcare. Einen wichtigen Bestandteil der vergaberechtlichen Beratung bildet die Vertretung in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren. Auch über diesen Bereich hinaus weist Dr. Frank Roth eine langjährige Erfahrung bei der Vertretung in streitigen Angelegenheiten vor staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten auf. Dr. Frank Roth veröffentlicht regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen.

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