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Zur Anwendung von § 3 Abs. 4 lit. c VOL/A-EG – Vergabe ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb aufgrund von Ausschließlichkeitsrechten (VK Berlin, Beschluss v. 30.07.2013, Az.: VK-B1-13/13)

ParagraphIn dem benannten Beschluss hatte die Vergabekammer darüber zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen Aufträge im Verhandlungsverfahren nur mit einem einzigen Bieter ohne vorherige öffentliche Vergabebekanntmachung nach § 3 Abs. 4 lit. c VOL/A-EG vergeben werden können. Zutreffend kommt die Vergabekammer zum Ergebnis, dass die Vorschrift als Ausnahme zur allgemeinen Verpflichtung zur Ausschreibung eng auszulegen und bei der Beurteilung, ob ein Ausschließlichkeitsrecht im Sinne des § 3 Abs. 4 lit. c VOL/A-EG besteht, auf die besonderen Fähigkeiten des Unternehmens und nicht auf die Eigenschaften des Produktes abzustellen ist (VK Berlin, Beschluss vom 30.07.2013, Az.: VK-B1-13/13).

Sachverhalt

Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens war die Direktvergabe eines Auftrages über die Lieferung von polizeilicher Körperschutzbekleidung.

Mit Bekanntmachung über vergebene Aufträge im Supplement zum Amtsblatt der EU hatte der Auftraggeber bekannt gegeben, dass er die Lieferung von Schutzwesten an die Beigeladene vergeben habe. Als Begründung für die Direktvergabe ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb berief sich der Auftraggeber auf die Ausnahmevorschrift nach § 3 Abs. 4 lit. c VOL/A-EG. Aufgrund von angeblich bestehenden Ausschließlichkeitsrechten haben nur das Produkt der Beigeladenen die technischen Anforderungen an die Körperschutzbekleidung erfüllen können.

Nachdem der Rüge der Antragstellerin nicht abgeholfen wurde, leitete die Antragstellerin daraufhin ein Nachprüfungsverfahren ein und beantragte die Feststellung der Unwirksamkeit des zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen abgeschlossenen Vertrages nach § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB. Die Antragstellerin führte hierzu aus, dass sie mit ihren eigenen Materialien und Produkten die technischen Schutzanforderungen – sofern sie sachgerecht seien – ebenfalls erfüllen könne, so dass eine Alleinstellung der Beigeladenen nicht existieren würde. Zudem hätte der Vergabe ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb eine Markterkundung voraus gehen müssen, um festzustellen, ob tatsächlich nur ein Bieter in der Lage sei, den konkreten Bedarf des Antragsgegners zu decken. Dies sei allerdings zu keinem Zeitpunkt erfolgt.

Die Entscheidung der Vergabekammer

Die Vergabekammer gab der Antragstellerin Recht und erklärte den geschlossenen Vertrag für unwirksam.

In ihrer Begründung führte die Vergabekammer zunächst aus, dass es nach der Vorschrift des § 3 Abs. 4 lit. c VOL/A-EG auf die besonderen Fähigkeiten eines Unternehmens in technischer Hinsicht und nicht auf die Eigenschaft des jeweiligen Produktes ankomme. Daraus folge, dass ein Ausschließlichkeitsrecht bereits dann nicht vorliege, wenn sich ein Bieter die erforderlichen besonderen Fähigkeiten für den zu vergebenden Auftrag bis zur Ausschreibung bzw. zum Zuschlagstermin noch aneignen könne. Ferner komme es nicht darauf an, ob ein Bieter die nachgefragten Leistungen bereits als Serienprodukt öffentlich anbieten würde. Den Beweis dafür, dass nur die Beigeladene in der Lage sei, das gewünschte Produkt zu fertigen und zu liefern, habe der Antragsgegner nicht erbracht. Im Vorwege zur Direktvergabe sei der Antragsgegner verpflichtet gewesen, nicht nur die zum Vergabezeitpunkt am Markt angebotenen Produkte zu prüfen, sondern auch, ob es anderen Marktteilnehmern technisch möglich sei, Produkte entsprechend dem eigenen Anforderungsprofil herzustellen. Dies sei durch den Antragsgegner jedoch nicht geschehen. Im Hinblick darauf, dass auch Hersteller zu berücksichtigen seien, die das nachgefragte Produkt zwar nicht in Serie produzieren, aber technisch dazu in der Lage seien, ein entsprechendes Produkt herzustellen, dürfe im Übrigen auch die Wahl der Angebotsfrist nicht zu einem gewillkürten faktischen Ausschluss potentieller Bieter führen. Gemäß § 12 Abs. 2 VOL/A-EG betrage die Mindestangebotsfrist zwar 52 Tage, jedoch sei bei der Wahl einer angemessenen Frist die Komplexität des jeweiligen Auftrages und die für die Angebotserstellung notwendige Zeitdauer zu berücksichtigen. Der Antragsgegner könne sich daher auch nicht darauf berufen, dass es anderen Wettbewerbern ggf. nicht möglich sei, das geforderte Produkt innerhalb der 52-Tages-Frist herzustellen.

Deutsches Vergabenetzwerk [1]Fazit

Die Entscheidung der Vergabekammer ist in ihrer Klarheit zu begrüßen. Die Vorschrift des § 3 Abs. 4 lit. c EG-VOL/A darf nicht dazu genutzt werden, eine sonst bestehende Ausschreibungsverpflichtung zu umgehen. Zusammengefasst dürfte ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nach § 3 Abs. 4 lit. c EG-VOL/A aufgrund eines Ausschließlichkeitsrechtes nur in Betracht kommen, wenn

· nachweislich feststeht, dass der Auftraggeber seinen Beschaffungsbedarf nur mit bzw. aufgrund des nämlichen Schutzrechtes decken kann. Das bedeutet, dass die Verknüpfung des Auftrages mit einem bestimmten Unternehmen eine rechtliche Notwendigkeit darstellen bzw. das Ausschließlichkeitsrecht ein rechtliches Hindernis bei der Vergabe an ein anderes Unternehmen bilden muss.

· Auch darf kein anderer als der für den Zuschlag vorgesehene Bieter in der Lage sein, eine entsprechende Lösung zu entwickeln. Entscheidend ist nicht, ob lediglich ein Hersteller ein bestimmtes technisches Produkt als Serienprodukt anbietet, sondern einzig, ob auch andere Unternehmen die technischen Fähigkeiten aufweisen, die nachgefragte Leistung ggf. als Sonderanfertigung.

· Die Alleinstellung hat der Auftraggeber vor Durchführung der Direktvergabe im Wege einer Markterkundung sorgfältig zu prüfen, nachzuweisen und zu dokumentieren. Mit anderen Worten: Die Beweislast für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes liegt beim Auftraggeber (siehe dazu so auch EuGH, Beschluss v. 15.10.2009, Az.: C-275/08, Rn. 55).

Da die Folgen eines durch einen Vergabespruchkörper für unwirksam erklärten Vertrages beträchtlich sein können, ist die Ausnahmevorschrift des § 3 Abs. 4 lit. c VOL/A-EG – ebenso wie die übrigen Ausnahmetatbestände des § 3 Abs. 4 VOL/A-EG – daher mit der gebotenen Vorsicht anzuwenden.

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Über Jan-Michael Dierkes [2]

Jan-Michael Dierkes ist Syndikusanwalt bei der K+S Aktiengesellschaft [3] und in dieser Funktion unter anderem zuständig für das Vergaberecht. Er betreut die Gesellschaften der K+S Gruppe bei der Teilnahme an europaweiten Ausschreibungsverfahren. Die Beiträge von Jan-Michael Dierkes geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

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