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Fehlende Zuverlässigkeit auf Grund schlechter Erfahrungen mit Bietern (OLG München, Beschluss v. 1.7.2013 – Az.: Verg 8/13)

ParagraphIn die Prognoseentscheidung, ob ein Bieter für den konkret ausgeschriebenen Auftrag geeignet ist, darf ein öffentlicher Auftraggeber mit Blick auf die Beurteilung der Zuverlässigkeit Erfahrungen mit diesem Bieter aus der Vergangenheit einbeziehen. Das OLG München hat mit Beschluss vom 1. Juli 2013 (Az.: Verg 8/13) in diesem Zusammenhang entschieden, dass ein Ausschluss wegen fehlender Zuverlässigkeit auch dann gerechtfertigt sein kann, wenn die Rechtmäßigkeit der in einem früheren Vertragsverhältnis ausgesprochenen fristlosen Kündigung noch nicht feststeht.

Sachverhalt

Bei der Ausführung von Bauleistungen kam es zu gravierenden Konflikten zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, welche die außerordentliche Kündigung des Vertragsverhältnisses durch den Auftraggeber zur Folge hatte. Die noch ausstehenden Restarbeiten wurden erneut ausgeschrieben. Der gekündigte Bieter wurde wegen Unzuverlässigkeit nicht zur Abgabe eines Angebots aufgefordert. Der Auftraggeber stützte seine Prognose dabei auf die konfliktreiche bisherige Vertragsabwicklung, wonach auch in Zukunft nicht mit einer vertragsgemäßen Leistungserbringung zu rechnen sei.

Die Entscheidung

Der Vergabesenat stellte fest, dass die Prognoseentscheidung des Auftraggebers, dem Bieter die Eignung wegen fehlender Zuverlässigkeit abzusprechen, nicht zu beanstanden ist. Dabei knüpft das Gericht an die bislang herrschende Auffassung in der Rechtsprechung an, die von folgenden Grundsätzen ausgeht:

Wurde gegenüber einem Bieter das Vertragsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich oder fristgemäß gekündigt, so könne diese Tatsache bei der Prognoseentscheidung des erneut ausgeschriebenen Auftrags berücksichtigt werden, wenngleich der Bieter aus diesem Grund nicht von vornherein von einer Angebotsabgabe ausgeschlossen sei. Des Weiteren muss die Prognose grundsätzlich vor der Entscheidung gefällt werden, welcher Bieter den Zuschlag erhalten soll. Stellen sich jedoch nach Zuschlagsentscheidung, aber vor Abschluss des Vertrags weitere Anhaltspunkte für eine mangelnde Zuverlässigkeit heraus, dürfen diese Erkenntnisse noch berücksichtigt werden. Denn ein öffentlicher Auftraggeber darf nicht „sehenden Auges“ zu einem Vertragsschluss gezwungen werden, der keine Gewähr für eine reibungslose Vertragsausführung bietet.

Über die bisherige Spruchpraxis hinaus kommt es nach Ansicht des OLG München für eine sachgerechte Prognoseentscheidung insbesondere auch nicht entscheidend darauf an, ob bereits abschließend festgestellt worden ist, dass die außerordentliche Vertragsbeendigung berechtigt war:

„Dem öffentlichen Auftraggeber kann es nicht verwehrt sein, ein in die Krise geratenes Bauvorhaben bis zur endgültigen Klärung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung anderweitig fertigstellen zu lassen, zumal der Bieter durch die zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche hinreichend geschützt ist.“

Vergaberechtlich überprüfbar sei demgegenüber allein, ob der Auftraggeber die Eignungsprognose zutreffend getroffen hat, wobei der ihm zustehende Beurteilungsspielraum zu beachten ist. Da der Auftraggeber die bisherige konfliktreiche Vertragsabwicklung mit zahlreichen Beispielen belegen konnte, war der Beurteilungsspielraum nicht überschritten, weil der Auftraggeber von einem hinreichend ermittelten und überprüften Sachverhalt ausgegangen war. Deutsches Vergabenetzwerk [1]Fazit und Praxishinweise

Die Entscheidung des OLG München fügt sich in die seit einigen Jahren festzustellende tendenziell auftraggeberfreundliche Rechtsprechung ein. Vergabestellen besitzen demnach erhebliche Spielräume bei der Beurteilung der Frage, ob ein Bieter auf Grund schlechter Erfahrungen wegen fehlender Zuverlässigkeit ausgeschlossen werden kann. Hinzu kommt, dass die Prognoseentscheidung öffentlicher Auftraggeber von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüft werden kann. Die Gründe, die den Ausschluss eines Bieters wegen schlechter Erfahrungen begründen, sind jedoch sorgfältig zu ermitteln und zu dokumentieren. Überprüft werden kann von den Nachprüfungsinstanzen nämlich in vollem Umfang, ob die Tatsachen ordnungsgemäß festgestellt worden sind und insoweit gesicherte Erkenntnisse beim Auftraggeber vorliegen.

Veranstaltungshinweis

Der Autor, RA Dr. Martin Ott, wird zu diesem Themenkomplex auch auf dem VergabeFORUM 2013 am 21. und 22. November 2013 in Berlin vortragen. Zu Programm & Anmeldung geht es hier [2].

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Über Dr. Martin Ott [3]

Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte [4], Stuttgart. Herr Dr. Ott berät und vertritt bundesweit in erster Linie öffentliche Auftraggeber umfassend bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsvorhaben. Auf der Basis weit gefächerter Branchenkenntnis liegt ein zentraler Schwerpunkt in der Gestaltung effizienter und flexibler Vergabeverfahren. Daneben vertritt Herr Dr. Ott die Interessen der öffentlichen Hand in Nachprüfungsverfahren. Er unterrichtet das Vergaberecht an der DHBW und der VWA in Stuttgart, tritt als Referent in Seminaren auf und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichen. Er ist einer der Vorsitzenden der Regionalgruppe Stuttgart des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) [5].

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[3] Dr. Martin Ott: https://www.vergabeblog.de/author/ott/

[4] Menold Bezler Rechtsanwälte: http://www.menoldbezler.de

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