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Zuschlagskriterien darf keine „Alibifunktion“ zukommen (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 27.11.2013 – VII-Verg 20/13)

ParagraphDer nordrhein-westfälische Vergabesenat hat entschieden, dass die Gewichtung des Zuschlagskriteriums Preis mit 95% und des Zuschlagskriteriums Terminplanung mit 5% das Vergaberecht verletzt, wenn bieterseitig die von der Vergabestelle vorgegebene Terminplanung eingehalten wird  (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 27.11.2013 – VII-Verg 20/13). Das OLG Düsseldorf knüpft damit an seine Rechtsprechung vom 29.12.2001 (Az.: Verg 22/01) an, wonach der öffentliche Auftraggeber den Preis in ein angemessenes Verhältnis zu den übrigen Wirtschaftlichkeitsaspekten zu bringen hat. In dem zugrundeliegenden Streitfall verhält es sich aber umgekehrt.

§ 97 Abs. 5 GWB

Sachverhalt

Eine Vergabestelle hat aufgrund einer unionsweiten Auftragsbekanntmachung ein Offenes Verfahren zur Vergabe zahlreicher Bauleistungen durchgeführt. Gemäß der Angebotsaufforderung sollte der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt werden. Hierfür waren als (Unter-)Kriterien der Preis mit einer Gewichtung von 95% und die Terminplanung mit einem Gewicht von 5% angegeben. Die Angebotswertung ergab eine erstplatzierte Offerte, die knapp fünf Prozent preiswerter war als das nächsthöhere Angebot. Der zweitplatzierte Bauunternehmer leitete daraufhin ein Nachprüfungsverfahren ein. Letztlich mit Erfolg.

Die Entscheidung

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat festgestellt, dass die Vergabestelle unzulässige Zuschlagskriterien verwendet hat. Denn der öffentliche Auftraggeber hat beim Zuschlagskriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebotes zwar nicht den Preis, aber das andere, zur Auswahl des wirtschaftlichsten Angebotes zugrundegelegte Kriterium der Terminplanung auf ein unbedeutendes Maß herabgestuft, nämlich auf 5%. Da in dem zugrundeliegenden Sachverhalt die von der Vergabestelle vorgegebene Terminplanung von den Bietern eingehalten wurde, hat sich die Vergabeentscheidung faktisch allein nach dem Angebotspreis (Rdnr. 42 der Entscheidung) gerichtet. Durch die Terminplanung war die Preiswertung praktisch und in der Regel kaum mehr umzukehren. Das Kriterium der Terminplanung hatte nur noch eine Alibifunktion (Rdnr. 42), so der nordrhein-westfälische Vergabesenat. Dies ist vergaberechtlich unzulässig, weshalb die Vergabestelle im Wesentlichen gegen den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz des § 97 Abs. 5 GWB verstoßen hat. Rechtsfolge ist, dass das Vergabeverfahren keine Grundlage für einen Zuschlag bilden kann. Die Wertungskriterien sind in ein angemessenes Verhältnis zueinander zu bringen (Rdnr. 49).

Deutsches Vergabenetzwerk [1]Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung dürfte auf Seiten der öffentlichen Auftraggeber breite Kritik hervorrufen. Der nordrhein-westfälische Vergabesenat begründet seinen Beschluss im Wesentlichen mit seiner Entscheidung vom 29.12.2001 (die wiederum auf einen ähnlich lautenden Beschluss des OLG Dresden vom 5.1.2001 Az.: WVerg 11/00 rekurriert), die auch vice versa (Rdnr. 42) für den oben geschilderten Sachverhalt gelten solle. Dass der Preis unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit (§ 97 Abs. 5 GWB) ein bedeutendes Zuschlagskriterium sein muss und nicht am Rande der Bewertung stehen (Rdnr. 40) darf, dürfte herrschende Meinung sein. Aus welchen Gründen allerdings anderweitige qualitative und quantitative Zuschlagskriterien einen ähnlichen Stellenwert wie der Preis genießen sollen, ist argumentativ nicht verallgemeinerungsfähig. Die Begründung des OLG Düsseldorf, dass die Wertungskriterien in ein angemessenes Verhältnis zueinander zu bringen (Rdnr. 49) seien, übersieht die besondere und hervorgehobene Bedeutung des Preises im Rahmen des öffentlichen Beschaffungswesens. Die zur Gewichtung des Preises bekannte Rechtsprechung kann deshalb nicht ohne weiteres auf alle weiteren Zuschlagskriterien Anwendung finden.

Bedenklich erscheint die Entscheidung auch deshalb, weil der nordrhein-westfälische Vergabesenat quasi ex post argumentiert: Die Angebotswertung habe ergeben, dass die Bieter im Zuschlagskriterium Terminplanung gleich zu beurteilen gewesen waren, weshalb sich die Vergabeentscheidung faktisch allein nach dem Angebotspreis (Rdnr. 42) gerichtet habe. Die vom OLG Düsseldorf festgestellte Alibifunktion (Rdnr. 42) des gewichteten Kriteriums Terminplanung wird also mit dem tatsächlichen Wertungsergebnis im Nachhinein gerechtfertigt. Genau so gut wäre es aber vorstellbar gewesen, dass die Bieter preislich eng beieinander liegende, aber unterschiedliche und wertungsentscheidende Angebote im Hinblick auf die Terminplanung unterbreitet hätten. Das tatsächliche Wettbewerbsergebnis kann von einer Vergabestelle aber nicht vorhergesehen werden. Ihr kann es deshalb auch nicht zum Nachteil gereichen, wenn ein vorher mit 5% gewichtetes, nichtpreisliches Zuschlagskriterium die sich durch den Preis ergebende Rangfolge später nicht mehr entscheidend verändern kann. Einem solchen Zuschlagskriterium alleine deshalb eine Alibifunktion zu attestieren bzw. den öffentlichen Auftraggebern eine Nahezu-Niedrigstpreisvergabe (Rdnr. 38) zu unterstellen, ist zumindest nicht verallgemeinerungsfähig. Die Gewichtung eines nichtpreislichen Zuschlagskriteriums mit 5% ist im Grundsatz und im Vorhinein weder marginal noch unangemessen.

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Über Holger Schröder [2]

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner [3] in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Herr Schröder ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ständiges Mitglied im gemeinsamen Prüfungsausschuss "Fachanwalt für Vergaberecht" der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg.

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