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VK Bund: Zur Rügepräklusion in der Angebotsphase (VK Bund, Beschl. v. 12.12.2013 – VK1-101/13)

EntscheidungDie 1. Vergabekammer des Bundes (VK Bund) hat in ihrer Entscheidung vom 12. Dezember 2013, Az. VK 1 101/13, klargestellt, wann nach erfolgtem Teilnahmewettbewerb in der Angebotsphase eine Rügepflicht der Bieter für erkennbare Vergaberechtsverstöße besteht und wann nicht.

Die Entscheidung betrifft Verhandlungsverfahren, nichtoffene Verfahren und wettbewerbliche Dialoge. In diesen Verfahren gibt es für die Bieter in der Angebotsphase eine Pflicht zur vergaberechtlichen Rüge zunächst nur in Bezug auf solche Vergaberechtsverstöße, die der Bieter positiv erkannt hat. Wird eine solche Rüge unterlassen, führt das dazu, dass der Bieter jedenfalls wegen des erkannten Vergabefehlers kein Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer einleiten kann (sog. Rügepräklusion).

Wenn ein Bieter einen lediglich erkennbaren Verstoß in der Angebotsphase nicht erkannt und dementsprechend nicht gerügt hat, führt das nach der Entscheidung der VK Bund nur dann zum Ausschluss eines Nachprüfungsverfahrens, wenn die Angebotsfrist bereits in der Bekanntmachung (des Teilnahmewettbewerbs) benannt war. War die Angebotsfrist lediglich in den Vergabeunterlagen benannt, wie üblicherweise in den genannten Verfahren, reicht das nicht aus.

§ 107 Abs. 3 GWB

Sachverhalt

Die vergaberechtliche Rüge dient den Bietern zum einen als Instrument, um dem Auftraggeber Mängel im Vergabeverfahren aufzuzeigen, damit der sie abstellen kann. Zum anderen ist die rechtzeitige Erhebung einer vergaberechtlichen Rüge zwingende Voraussetzung dafür, dass ein vom Bieter initiiertes Vergabenachprüfungsverfahren zulässig ist. Konkret regelt § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB, dass ein Nachprüfungsantrag nur zulässig ist, soweit der Bieter den betreffenden Verstoß gegen Vergabevorschriften im Vergabeverfahren positiv erkannt und sodann unverzüglich gerügt hat. Hinsichtlich erkennbarer Verstöße finden sich in § 107 Abs. 3 Nr. 2 bis Nr. 3 GWB weitere Ausschlussfristen. Ein Nachprüfungsantrag ist danach auch unzulässig, wenn Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aufgrund der Bekanntmachung erkennbar sind, nicht spätestens bis Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe oder zur Bewerbung gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden (Nr. 2) oder wenn Verstöße gegen Vergabevorschriften, die erst in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe oder zur Bewerbung gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden (Nr. 3).

Beide Ausschlussfristen knüpfen an die in der Bekanntmachung genannte Frist zur Angebotsabgabe oder zur Bewerbung an.

Dem Fall der VK Bund lag ein Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb zugrunde. In diesem Verfahren wird üblicherweise in der Bekanntmachung nur eine Frist zur Bewerbung benannt. Die Frist zur Angebotsabgabe findet sich dann erst in den Vergabeunterlagen, die denjenigen Bewerbern zugesendet werden, die zur Angebotsphase zugelassen wurden. So war der Sachverhalt auch im vorliegenden Fall. Kurz nachdem der Auftraggeber die nicht berücksichtigten Bieter gemäß § 101a Abs. 1 GWB über die beabsichtigte Zuschlagserteilung informiert hat, hat ein unterlegener Bieter bei der VK Bund die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens beantragt. Er hat dabei u.a. vorgetragen, dass die Leistungsbeschreibung intransparent und außerdem die Wertungsentscheidung fehlerhaft sei, weil der Auftraggeber den Bietern die Bewertungsmethode nicht vorher mitgeteilt habe.

Der Auftraggeber meinte hingegen, der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig, da die Verstöße aus den Vergabeunterlagen erkennbar gewesen seien. Der Bieter hätte diese bis zum Ablauf der Angebotsfrist rügen müssen, was nicht geschehen sei.

Die Entscheidung

Die VK Bund hat den Nachprüfungsantrag als zulässig qualifiziert. Das Gesetz knüpfe die Rügepräklusion für in den Vergabeunterlagen erkennbare Verstöße in § 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB vom Wortlaut her daran, dass die Angebots- oder Bewerbungsfrist in der Bekanntmachung benannt ist. Erfolge, wie im Verhandlungsverfahren und im nichtoffenen Verfahren üblich, die Angabe der Angebotsfrist erst in den Vergabeunterlagen, so entstehe in der Angebotsphase keine Rügepräklusion für nicht erkannte aber erkennbare Verstöße. Eine analoge Anwendung von § 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB komme nicht in Betracht, da das Gesetz dem Wortlaut nach eindeutig ist. Außerdem begrenze die Regelung den Rechtsschutz der Bieter und sei schon deshalb eng auszulegen.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung der VK Bund ist nachvollziehbar und nach Überzeugung des Verfassers angesichts des klaren Gesetzeswortlauts auch zutreffend.

Wenn ein Auftraggeber sich künftig darauf berufen will, dass ein Bieter einen Vergabefehler nicht rechtzeitig gerügt hat, so muss er die Entscheidung der VK Bund beachten. Danach ist der Ort der Benennung der Angebotsfrist von Belang. Der Auftraggeber muss somit die Frist zur Angebotsabgabe künftig auch in Verfahren, in denen ein Teilnahmewettbewerb vorangeschaltet ist, schon in der Bekanntmachung benennen (etwa im Feld Sonstige Informationen im Standardformular). Ansonsten greift die Rügepräklusion in der Angebotsphase nicht. Weitere negative Konsequenzen hat die fehlende Nennung in der Bekanntmachung indes in den genannten Verfahren nicht. Tatsächlich ist die Nennung der Angebotsfrist in der Bekanntmachung einzig im offenen Verfahren als rechtlich zwingend vorgesehen.

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Praxistipp

Dabei ist zu bedenken, dass nicht in jedem Verfahren die Angebotsfrist schon zu Beginn des Teilnahmewettbewerbs feststeht. Häufig werden die Vergabeunterlagen für die Angebotsphase aus verfahrensökonomischen Gründen erst während des laufenden Teilnahmewettbewerbs finalisiert. Die Angebotsfrist wird sogar regelmäßig erst nach Abschluss der Bewerberauswahl festgelegt. Das bietet sich auch an, da im Verlaufe eines Teilnahmewettbewerbs verschiedenste Umstände auftreten können, die das Verfahren verzögern (etwa Unklarheiten in den Bewerbungsunterlagen, fehlende Erklärungen und Nachweise etc.). Will ein Auftraggeber gleichwohl nicht auf die Rügepräklusion in der Angebotsphase verzichten, sollte er also eine großzügige Angebotsfrist wählen. In Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Teilnahmewettbewerb gibt es für Auftraggeber mangels Bekanntmachung keine Möglichkeit, die Rügepräklusion auf erkennbare Fehler zu erstrecken. Unterhalb der Schwellenwerte spielt die Rügepräklusion ebenfalls keine Rolle.

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Über Dr. Michael Sitsen [2]

Dr. Michael Sitsen ist Rechtsanwalt bei Orth Kluth Rechtsanwälte [3] in Düsseldorf und Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Er berät und begleitet seit vielen Jahren Auftraggeber und Bieter bei Ausschreibungen aller Art. Neben dem Vergaberecht gehört auch das Beihilfenrecht zu seinen Beratungsschwerpunkten. Er hält Schulungen zum Vergaberecht, u.a. für den Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME), und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen. Vor seiner anwaltlichen Tätigkeit war er mehrere Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter des bekannten Vergaberechtlers Prof. Dr. Jost Pietzcker in Bonn.

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