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Polen: Stützt sich der Bieter auf Kapazitäten anderer Unternehmen, so darf der Auftraggeber auch deren Eignung prüfen (Urteil des Bezirksgerichts Warschau vom 9. April 2014 – Az. V Ca 3618/13)

EntscheidungMit dem Gesetz vom 12. Oktober 2012 zur Änderung des polnischen Gesetzes über das Rechts des öffentlichen Vergabewesens (weiter: Vergabegesetz) und des Gesetzes über die Konzessionen für Bauarbeiten oder Dienstleistungen, wurde der neue Artikel 22 Abs. 5 in das polnische Vergabegesetz vom 29. Januar 2004 eingeführt. Mit diesem Artikel hatte sich nun das Bezirksgerichts Warschau auseinanderzusetzen.

Nach Maßgabe der Regelung kann der Auftraggeber eines öffentlichen Dienstleistungs- und Bauauftrags sowie eines Lieferauftrags, der zusätzliche Arbeiten wie Verlegen und Anbringen umfasst, die Eignung eines Wirtschaftsteilnehmers zur ordnungsgemäßen Erfüllung des Auftrags insbesondere anhand seiner Zuverlässigkeit, Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Erfahrung beurteilen. Bei der Erstellung der wesentlichen Auftragsbedingungen sowie der Auftragsbekanntmachung stößt die Anwendung der fraglichen Regelung auf zahlreiche Bedenken seitens der Auftraggeber. Eine der gestellten Fragen ist, ob der Auftraggeber die Zuverlässigkeit, Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Erfahrung von Dritten, auf deren Kapazitäten sich der Bieter in seinem Angebot stützt, prüfen darf.

Landesberufungskammer teilt Argumente der Berufungsführerin (Urteil vom 16. Oktober 2013, Az.: KIO 2336/13)

Im betreffenden Verfahren legte der Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung sowie in den Auftragsbedingungen die Fachkunde und Erfahrung als eine der Teilnahmebedingungen fest. Im Rahmen dieser Bedingung sollte er die Eignung des Wirtschaftsteilnehmers zur ordnungsgemäßen Auftragserfüllung nach Maßgabe des Art. 22 Abs. 5 des Vergabegesetzes beurteilen. Wie der Auftraggeber vorbehalten hat, beträfe dies auch jeweilige Dritten, sofern sich der Wirtschaftsteilnehmer ihrer Fachkunde und Erfahrung eines Dritten gemäß Art. 26 Abs. 2b des Vergabegesetzes bedient.

Eine derart formulierte Anforderung wurde durch ein, an der Ausschreibung teilnehmendes Unternehmen im Wege der Berufung angefochten. Die Berufungskammer erkannte seine Argumentation an. Wie sie u.a. vorbrachte, hätte der Gesetzgeber die Möglichkeit der Prüfung von Dritten im Lichte des Art. 22 Abs. 5 des Vergabegesetzes angenommen, würde er dies direkt im Vergabegesetz zum Ausdruck bringen, und zwar in Hinsicht auf den besonderen Charakter der Kapazitäten von Dritten. Die angesprochene Vorschrift sieht nach Auffassung der Berufungskammer keine Möglichkeit vor, die Zuverlässigkeit, Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Erfahrung, weder hinsichtlich Dritter noch etwaiger Subunternehmer zu prüfen. Die Umstände aus Art. 22 Abs. 5 des Vergabegesetzes, die für die Beurteilung der allgemeinen Lage des Bieters und somit für die Sicherung der ordnungsgemäßen Auftragserfüllung wesentlich seien, bezögen sich nach Auffassung der Berufungskammer, und zwar nach Maßgabe des Vergabegesetzes, direkt auf den Bieter, der die Auftragserfüllung übernimmt, d.h. mit dem Auftraggeber als Auftragnehmer einen Vertrag über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags schließt. Wie die Berufungskammer im Übrigen betonte, finde solche Auslegung der Vorschrift in §3 Abs. 4, §1 Abs. 4 und §1 Abs. 6 der Verordnung des Ministerpräsidenten vom 19. Februar 2013 hinsichtlich der Dokumente, die öffentliche Auftraggeber verlangen können sowie der Formen, in welcher die Unterlagen vorgelegt werden, Bestätigung. Im Endeffekt gab die Berufungskammer der Berufung der Berufungsführerin statt und verpflichtete den Auftraggeber fragliche Bestimmungen in den Auftragsbedingungen und in der Bekanntmachung zu streichen.

 

Der Auftraggeber darf die Eignung eines Dritten doch prüfen (Urteil des Bezirksgerichts Warschau vom 9. April 2014, Az. V Ca 3618/13)

Mit der durch die Berufungskammer erfolgten Auslegung des Art. 22 Abs. 5 des Vergabegesetzes war das polnische Vergabeamt nicht einverstanden und focht somit das Urteil der Berufungskammer an. Wie es u.a. vorbrachte, beziehe sich die betreffende Vorschrift buchstäblich auf Art. 22 Abs. 1 des Vergabegesetzes, der Teilnahmebedingungen für die Ausschreibung festlegt. Auch Art. 26 Abs. 2b berufe sich auf die Regelung aus Art. 22 Abs. 1 Pkt. 2, 3, 4 des Vergabegesetzes. Nach Auffassung des Vergabeamtes führe die Gegenüberstellung dieser Regelungen zum Schluss, dass sofern sich Art. 26 Abs. 2 b Satz 1 auf Teilnahmebedingungen bezieht, deren Erfüllung der Bieter auch anhand von Kapazitäten Dritter nachweisen kann, und die Erfüllung der Teilnahmebedingungen dagegen unter dem Gesichtspunkt der Kriterien aus Art. 22 Abs. 5 beurteilt werden kann, dann kann der Auftraggeber somit auch die Eignung der Dritten, auf deren Kapazitäten sich der Bieter stützt, prüfen und beurteilen. Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union betonte das Vergabeamt dabei, dass die Beurteilung hinsichtlich der Eignung des Bieters zur ordnungsgemäßen Auftragserfüllung durchführbar sein und demnach auch die Prüfung des jeweilige Kapazitäten Dritter in Anspruch nehmenden Unternehmers umfassen solle.

Mit dem Urteil vom 9. April 2014 hat das Bezirksgericht Warschau der Beschwerde des Vorsitzenden des Vergabeamtes stattgegeben und die Entscheidung der Berufungskammer geändert, indem es zugleich die Berufung des betroffenen Bieters zurückgewiesen hat.

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Über Anna Specht-Schampera [1]

Anna Specht-Schampera ist Rechtsanwältin der Sozietät sdzlegal Schindhelm [2]in Breslau (Wroclaw) und Warschau (Warszawa), Polen. Sie berät in‐ und ausländische Unternehmen im Bereich des Vergabe- und Baurechts. Im Rahmen ihrer vergaberechtlichen Tätigkeit berät sie insbesondere Mandaten aus der Bau- und Eisenbahnindustrie sowie aus der Medizin‐ und Abfallwirtschaft. Sie vertritt Unternehmen bei der Realisierung der größten Infrastrukturprojekte in Polen. Einen weiteren Schwerpunkt bilden Verfahren vor der Nationalen Beschwerdekammer und vor den Berufungsgerichten. Sie ist Vorstandsmitglied des Vereins für Vergaberecht. Des Weiteren ist sie Mitglied des Gesamtpolnischen Vereins der Konsultanten des öffentlichen Vergabewesens und ständige Mitarbeiterin des Branchenmagazins „Przetargi Publiczne“ (“Öffentliche Ausschreibungen”). Anna Specht‐Schampera führt sowohl in polnischer als auch in deutscher Sprache regelmäßig Seminare für Unternehmen und an Universitäten durch.

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