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VK Nordbayern: Nachforderung auch im Fall von fehlerhaften Erklärungen möglich (VK Nordbayern, Beschl. v. 25.06.2014 – 21.VK-3194-15/14)

EntscheidungDie Regeln zur Nachforderung fehlender Erklärungen und Nachweise werfen nach wie vor Fragen auf. Die VK Nordbayern hat sich nun u.a. mit der Frage beschäftigt, wann ausnahmsweise nicht nur bei fehlenden sondern sogar bei fehlerhaften Erklärungen nachgefordert werden kann.

Die Nachforderung von fehlenden Erklärungen und Nachweisen ist seit Dezember 2009 in den Vergabe- und Vertragsordnungen geregelt. Eine Nachforderung kommt dabei nur in Betracht, wenn die in den Ausschreibungsbedingungen geforderten Erklärungen oder Nachweise nicht vorgelegt wurden, also physisch nicht vorhanden oder unvollständig waren oder sonst nicht den formalen Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers entsprachen. Nicht erfasst ist dagegen die Nachbesserung des Angebots oder des Teilnahmeantrags. Die VK Nordbayern erstreckt die Nachforderung nun auch auf offensichtlich fehlerhafte Erklärungen.

§ 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A, § 16 EG Abs. 1 Nr. 2 VOB/A, § 16 Abs. 2 VOL/A, § 16 EG Abs. 2 VOL/A, § 11 Abs. 3 VOF

Leitsatz (Auszug)

  1. Zwar sind fehlerhafte Angaben nicht mit fehlenden Erklärungen gleich zu setzen. Sie können weder nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A ergänzt noch im Wege von Aufklärungsverhandlungen nachgefordert werden. Dies gilt jedoch nicht bei einer offensichtlichen Unrichtigkeit. Sinn des Vergabeverfahrens ist es nämlich auch, das wirtschaftlich günstigste Angebot zu wählen und ein solches nicht an formalistischen Gesichtspunkten scheitern zu lassen. Liegen demnach offensichtliche Denkfehler vor, die für den Auftraggeber erkennbar sind, dürfen solche Fehler korrigiert werden.
  2. Der Begriff der Erklärungen und Nachweise ist weit auszulegen. Er bezieht sich sowohl auf bieterbezogene Eigen- oder Fremderklärungen als auch auf leistungsbezogene Angaben und Unterlagen.

Sachverhalt

Im der Entscheidung der VK Nordbayern zugrunde liegenden Fall wurde ein öffentlicher Bauauftrag europaweit ausgeschrieben. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Im Angebot mussten an verschiedenen Positionen des Leistungsverzeichnisses die Fabrikate der einzusetzenden Produkte eingetragen werden. Ein Bieter hatte statt den Fabrikaten jedoch die Hersteller- bzw. Vermieterfirma benannt und wurde vom Auftraggeber wegen widersprüchlicher Angaben ausgeschlossen. Da er das günstigste Angebot abgegeben hatte, wollte er den Ausschluss nicht hinnehmen und hat nach erfolgloser Rüge ein Nachprüfungsverfahren initiiert.

Die Entscheidung

Die VK Nordbayern hat den Nachprüfungsantrag als begründet angesehen. Die entscheidungserhebliche Frage bestand darin, ob die Vergabestelle die Fabrikatsangaben hätte nachfordern müssen. Da es sich um einen Bauauftrag handelte, hätte jedenfalls kein Ermessen bestanden. Ungewöhnlich war der Fall jedoch deshalb, weil im betroffenen Angebot die Felder im Leistungsverzeichnis, in denen die Eintragungen vorzunehmen waren, schließlich nicht leer waren. Vielmehr waren Eintragungen vorhanden nur eben nicht die inhaltlich geforderten. Dementsprechend stellte die Vergabekammer auch zunächst fest, dass fehlerhafte Angaben nicht mit fehlenden Erklärungen gleichgesetzt werden könnte. Grundsätzlich können nur fehlende Erklärung nachgefordert, aber nicht fehlerhafte Erklärungen nachgebessert werden. Dies gelte aber, so die Vergabekammer weiter, nicht bei offensichtlichen Unrichtigkeiten. Sinn des Vergabeverfahrens sei es nämlich auch, das wirtschaftlich günstigste Angebot zu wählen und ein solches nicht an formalistischen Gesichtspunkten scheitern zu lassen. Dementsprechend stünden auch unvollständige, unleserliche oder ungültige Erklärungen den fehlenden Erklärungen gleich. Hier liege ein Fall der offensichtlichen Unrichtigkeit vor, schließlich habe auch die Vergabestelle erkannt, dass der Bieter nicht das Fabrikat, sondern die Herstellerfirma benannt habe. Die Vergabestelle wurde daher verurteilt, die fehlenden Angaben nachzufordern und sodann die Angebotswertung erneut vorzunehmen.

Rechtliche Würdigung

Im Ergebnis ist der Vergabekammer beizupflichten, dass der Angebotsausschluss vergaberechtswidrig war. Die Begründung überzeugt dagegen nur bedingt.

Die Nachforderung von fehlenden Erklärungen und Nachweisen ist seit Dezember 2009 in den Vergabe- und Vertragsordnungen geregelt. Bekanntlich ist die Nachforderung im Anwendungsbereich von VOF und VOL/A nach Ermessen des Auftraggebers möglich und im Anwendungsbereich der VOB/A gibt es eine Nachforderungspflicht. Die Nachforderung kommt dabei nur in Betracht, wenn die in den Ausschreibungsbedingungen geforderten Erklärungen oder Nachweise nicht vorgelegt wurden, also physisch nicht vorhanden oder unvollständig waren oder sonst nicht den formalen Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers entsprachen. Nicht erfasst ist dagegen die Nachbesserung des Angebots oder des Teilnahmeantrags. Hat ein Bieter beispielsweise Referenzen angegeben, die zur Bejahung der Eignung inhaltlich nicht ausreichen, darf er nicht zur Angabe zusätzlicher Referenzen aufgefordert werden. Darin läge eine unzulässige Verbesserung des Angebots (vgl. etwa VK Bund, Beschluss vom 06.12.2011, VK1153/11).

Die VK Nordbayern erstreckt die Nachforderung nun auch auf offensichtlich unrichtige Erklärungen. Das Kriterium der offensichtlichen Unrichtigkeit ist jedoch schwer zu fassen und birgt daher in der Rechtsanwendung Unsicherheit. Soll nun derjenige, der bei einer Leistungsposition ein offensichtlich völlig untaugliches Produkt anbietet, nachbessern dürfen, während derjenige, der mit seinem Produkt nur ganz knapp daneben lag, ausgeschlossen wird? Nach der VK Nordbayern wird der Bieter sein Angebot wohl nachbessern dürfen, wenn die Abweichungen ganz offensichtlich sind. Wann aber ist eine Unrichtigkeit ausreichend offensichtlich? Im Interesse der Rechtssicherheit wäre es eher sinnvoll, in einem solchen Fall grundsätzlich zu einem Angebotsausschluss zu kommen.

Nachvollziehbarer wäre es gewesen, wenn die Vergabekammer hier von einer unvollständigen und nicht von eine offensichtlich unrichtigen Erklärung ausgegangen wäre. Zur Erinnerung: Der Bieter hatte nicht den Produkttyp angegeben, sondern lediglich die Herstellerfirma. Bei genauem Hinsehen liegt darin schon keine Fabrikatsangabe. Die Annahme einer unvollständigen Erklärung wäre sicher vertretbar gewesen. Daher war es im Ergebnis auch richtig, den Angebotsausschluss rückgängig zu machen und das Angebot nach Vervollständigung durch den Bieter zur Wertung zuzulassen.

Praxistipp

Für die Auftraggeber wird es schwer sein, das Kriterium der offensichtlichen Unrichtigkeit in einer nachvollziehbaren und dem Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechenden Weise anzuwenden. Allerdings ermöglicht die Entscheidung der VK Nordbayern den Auftraggebern, auch derartige Angebote im Verfahren zu lassen und später in die Wertung zu nehmen. Das ist vor dem Hintergrund des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes durchaus positiv zu sehen. Den Auftraggebern ist jedoch zu empfehlen, von dieser Entscheidung der VK Nordbayern eher zurückhaltend und allenfalls dann, wenn ein ganz offensichtlicher Denkfehler des Bieters vorliegt, Gebrauch zu machen. Auch sollte primär geprüft werden, ob nicht vielleicht doch ein Fall der unvollständigen oder formal ungültigen Erklärung vorliegt.

Von einem Angebotsausschluss betroffene Bieter sollten künftig hinterfragen, ob ein Ausschluss tatsächlich notwendig war und nicht vielleicht doch eine Nachforderung möglich oder sogar zwingend gewesen wäre.

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Über Dr. Michael Sitsen [1]

Dr. Michael Sitsen ist Rechtsanwalt bei Orth Kluth Rechtsanwälte [2] in Düsseldorf und Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Er berät und begleitet seit vielen Jahren Auftraggeber und Bieter bei Ausschreibungen aller Art. Neben dem Vergaberecht gehört auch das Beihilfenrecht zu seinen Beratungsschwerpunkten. Er hält Schulungen zum Vergaberecht, u.a. für den Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME), und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen. Vor seiner anwaltlichen Tätigkeit war er mehrere Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter des bekannten Vergaberechtlers Prof. Dr. Jost Pietzcker in Bonn.

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