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Hessisches Vergabegesetz – alle Jahre wieder

Das erst seit knapp über einem Jahr bestehende Hessische Vergabegesetz (in Kraft getreten am 01.07.2013) steht bereits vor seiner ersten grundlegenden Überarbeitung. Sowohl die schwarz-grüne hessische Landesregierung, als auch die in der Opposition befindliche SPD sowie DIE LINKE haben hierzu jeweils eigenständige Gesetzesentwürfe erarbeitet.

Am 13. September 2014 fand im Hessischen Landtag eine öffentliche Anhörung zu allen drei Entwürfen statt. Die nachfolgenden Ausführungen konzentrieren sich auf die wichtigsten Neuerungen, die der Regierungsentwurf für ein Hessisches Vergabe- und Tariftreuegesetz (HVTG) vom 13.05.2014 gegenüber dem derzeitigen Hessischen Vergabegesetz vorsieht. Bereits die Anhörung im Hessischen Landtag hat gezeigt, dass einige der darin vorgesehenen Änderungen ein nicht unerhebliches Konfliktpotential aufweisen und dass die Neuerungen sowohl öffentliche Auftraggeber als auch Bieter künftig vor diverse Probleme stellen werden. Darüber hinaus wird im Rahmen dieses Beitrags untersucht, inwieweit sich das kürzlich ergangene EuGH-Urteil zur Frage der Europarechtskonformität der Mindestentgeltregelung des Tarif- und Vergabegesetzes NRW (Urteil v. 18.09.2014, Rs. C-549/13) auf die Rechtmäßigkeit der im hessischen Regierungsentwurf vorgesehenen Mindestlohnregelung auswirkt.

Regierungsentwurf für ein Hessisches Vergabe- und Tariftreuegesetz (HVTG) vom 13.05.2014 – Was wird sich ändern?

Wie bereits ein Blick auf die neue Gesetzesbezeichnung vermuten lässt, war es der hessischen Regierung bei der Neuregelung des HVgG ein Hauptanliegen, dem Thema der Tariftreue einen neuen Schwerpunkt zu widmen. Daneben wurden gegenüber dem aktuellen Hessischen Vergabegesetz jedoch auch zahlreiche weitere Änderungen vorgenommen, die es in Zukunft für Auftraggeber und Bieter zu beachten gilt.

Geltungsbereich HVTG

Nach den Regelungen des bisherigen Hessischen Vergabegesetzes (HVgG) gelten seine Bestimmungen bei EU-weiten Vergaben nur, soweit keine höherrangigen Vorschriften entgegenstehen (z.B. GWB). Im neuen HVTG erfolgt nun die explizite Festlegung, dass ab Erreichung der EU-Schwellenwerte die §§ 10 Abs. 1-6 HVTG (Vergabearten), 11 HVTG (Bekanntmachung, Wettbewerb), 15 HVTG (Vergabefreigrenzen) und 20 HVTG (Nachprüfungsstellen) keine Anwendung finden und ansonsten das HVTG anwendbar ist (vgl. § 1 Abs. 5 S. 3 HVTG). Diese vorgesehene Neuregelung des Geltungsbereichs bei EU-weiten Vergaben hätte u.a. zur Folge, dass EU-Bekanntmachungen künftig nicht mehr in der HDA bekannt gemacht werden müssten.

Als weitere Neuerung sieht der Regierungsentwurf vor, dass der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) nun explizit ins Vergaberecht als öffentlicher AG einbezogen wird (vgl. § 1 Abs. 1-3 HVTG).

Interessenbekundungsverfahren (IBV)

Die Vergabegrenze für die Durchführung eines Interessenbekundungsverfahrens wird bei Dienstleistungen von 80.000 Euro auf 50.000 Euro je Auftrag heruntergesetzt (vgl. § 10 Abs. 5 HVTG). Neu ist außerdem die Verpflichtung, dass auch ohne Durchführung eines IBV bei Beschränkter Ausschreibung und Freihändiger Vergabe mindestens fünf anstatt (vorher) drei Angebote einzuholen sind (vgl. § 11 Abs. 3 S. 2 HVTG). In der Praxis würde dies einen erheblichen Mehraufwand gerade für kleinere Aufträge bedeuten.

Berücksichtigung nachhaltiger Entwicklung

Der Regierungsentwurf zum HVTG sieht nun eine eigene Regelung zur Berücksichtigung des Merkmals der nachhaltigen Entwicklung im Rahmen der Auftragsvergabe vor (§ 2 Abs. 2 HVTG). Dabei wird zwischen Beschaffungen des Landes und Beschaffungen der Gemeinden unterschieden. Während bei Ersteren „Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung in Bezug auf den Beschaffungsgegenstand […] [grundsätzlich] zu berücksichtigen sind“, wird dies bei Beschaffungen der Gemeinden vollständig in deren Ermessen gelegt. Die Gemeinden „können eine nachhaltige Entwicklung bei ihren Beschaffungsmaßnahmen und die dazu erlassenen Richtlinien berücksichtigen“.

Forderung „strategischer Ziele“

Die neu eingefügte Regelung des § 3 HVTG konkretisiert die aktuell in § 2 Abs. 2 vorgesehene Möglichkeit, bei der Auftragsvergabe auch soziale, ökologische, umweltbezogene und innovative Anforderungen (sog. strategische Ziele) zu berücksichtigen. Hierzu zählt § 3 Abs. 2 HVTG einen (wohl abschließenden) Katalog auf, der es dem Auftraggeber u.a. ermöglicht, Anforderungen wie die Berücksichtigung der Erstausbildung, die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen, die besondere Förderung von Frauen, die Verwendung von fair gehandelten Produkten, sowie die Merkmale ökologisch nachhaltige Produkte oder innovativ orientierte Produkte und Dienstleistungen von den Bietern zu fordern.

Die Forderung dieser Aspekte ist für den Auftraggeber weiterhin nicht verpflichtend – § 3 Abs. 2 HVTG stellt eine „kann“-Regelung dar. Entschließt sich der Auftraggeber jedoch hierzu, müssen die Anforderungen zwingend mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen oder Aspekte des Produktionsprozesses betreffen (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 HVTG). Außerdem sind alle Zuschlagskriterien und deren Gewichtung sowohl in der Bekanntmachung, als auch in den Vergabeunterlagen bekannt zu geben (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 HVTG).

Praktische Probleme sind im Zusammenhang mit dieser Neuregelung vor allem bei der Nachweisbarkeit sozialer Anforderungen zu erwarten. Insbesondere enthält die gesetzliche Regelung keine Angaben dazu, wie und ab welcher Quote der Auftraggeber die jeweilige Anforderung (z.B. die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen) als gegeben erachten kann. Ein entsprechender Nachweis wird hier weiterhin über Eigenerklärungen erfolgen müssen. Fraglich wird außerdem sein, wie eine entsprechende Überprüfung und Kontrolle der Anforderungen durch den Auftraggeber erfolgen kann bzw. zu erfolgen hat. Auch werden Auftraggeber künftig vor dem Problem stehen, ob und wie sie den jeweils zwingend erforderlichen Auftragsbezug begründen können. Es ist außerdem zu erwarten, dass insbesondere KMU´s vor der Schwierigkeit stehen werden, die besonderen Anforderungen des § 3 HVTG zu erfüllen.

Gütezeichen

Nach der Regelung des § 3 Abs. 3-6 HVTG soll es dem Auftraggeber künftig möglich sein, als Nachweis für die Einhaltung der Umwelteigenschaften Verwendung von fair gehandelten Produkten (§ 3 Abs. 2 Nr. 7 HVTG) oder ökologisch nachhaltige Produkte (§ 3 Abs. 2 Nr. 8 HVTG) bestimmte Gütezeichen zu fordern. Die Anforderungen, die an solche Umweltgütezeichen zu stellen sind, legt § 3 Abs. 4 HVTG fest. Diese Regelung wurde sinngemäß aus der neuen EU-Vergaberichtlinie 2014/24/EU übernommen (vgl. Art. 43 EU-VRL)

Tariftreuepflicht oder Mindestlohn

Hauptschwerpunkt der Neuregelung des Hessischen Vergabegesetzes war sicherlich die Ausweitung der Regelungen zur Tariftreuepflicht und zum Mindestlohn (§§ 4 – 6 HVTG).

Während die Bestimmung des § 4 Abs. 1 HVTG noch sinngemäß mit der „alten“ Regelung des § 3 Abs. 1 HVgG übereinstimmt, indem Unternehmen hiernach verpflichtet sind, die für sie geltenden gesetzlichen, aufgrund eines Gesetzes festgesetzten und unmittelbar geltenden tarifvertraglichen Leistungen zu gewähren, benennt der neue Regierungsentwurf darüber hinaus weitere Leistungen, die vom Bieter tarifvertraglich zu entlohnen sind:

Die gesamte Tariftreuepflicht des § 4 HVTG soll sich dabei auch auf Nachunternehmen und Verleihunternehmen des Bieters erstrecken (vgl. 8 Abs. 2 HVTG).

Darüber hinaus existiert im Regierungsentwurf nunmehr eine Regelung zum Mindestentgelt (§ 6 HVTG). Darin werden Bewerber oder Bieter verpflichtet, den bundesgesetzlichen Mindestlohn als Mindeststandard bei der Bewerbung und im Angebot in Textform besonders zu erklären (§ 6 S. 1 HVTG). Eine solche Erklärung ist dabei auch von Nach- und Verleihunternehmen in Textform zu erbringen (§ 6 S. 3 HVTG). Die Erklärung kann entfallen, soweit sie im Präqualifikationsregister hinterlegt ist (§ 6 S. 2 HVTG). Die Mindestlohnerklärung ist insgesamt nicht erforderlich, wenn bereits Tariftreue nach § 4 HVTG gefordert werden kann und die danach maßgebliche tarifliche Regelung für die Beschäftigen günstiger ist, als der bundesgesetzlich vorgesehene Mindestlohn. Insoweit besteht damit ein Alternativverhältnis zwischen Tariftreue und Mindestlohn.

An dieser Stelle sei auf die Gesetzesentwürfe von SPD und DIE LINKE hingewiesen, die – anders als der Regierungsentwurf – nicht auf einen bundesgesetzlichen Mindestlohn verweisen, sondern einen vergabespezifischen Mindestlohn festlegen (SPD: 8,50 € pro Stunde; DIE LINKE: 10 € pro Stunde). Die Frage, ob eine solche Regelung insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten Rechtsprechung des EuGH europarechtskonform ist, wird – neben weiteren Fragen – noch am Ende dieses Beitrags untersucht.

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Tariftreue- und Mindestlohnerklärungen

Der neu eingefügte § 7 HVTG enthält Bestimmungen zur Abgabe von Tariftreue- und sonstigen Verpflichtungserklärungen. Der öffentliche Auftraggeber unterliegt hier umfangreichen Hinweispflichten (vgl. § 7 Abs. 1 HVTG). So hat er in der Bekanntmachung und den Vergabeunterlagen darauf hinzuweisen, „dass die Bieter sowie deren Nachunternehmen und Verleihunternehmen, soweit diese bereits bei Angebotsabgabe bekannt sind,“ folgende Erklärungen abzugeben haben:

Letztere Erklärung umfasst die Verpflichtung des Bieters bei Nachunternehmereinsatz, die Erfüllung der §§ 4 und 6 HVTG durch die Nachunternehmer sicherzustellen und dem Auftraggeber die Tariftreueverpflichtungen und Mindestentgelterklärungen der Nachunternehmer nach Auftragserteilung, spätestens aber vor Beginn der Ausführung der Leistung durch den Nachunternehmer vorzulegen.

Kommt der Bieter, der Nachunternehmer, oder der Verleihunternehmer der Vorlage einer dieser nach § 7 Abs. 1 HVTG erforderlichen Erklärungen bei Angebotsabgabe nicht nach und wird die Erklärung nach Aufforderung des AG auch nicht innerhalb einer von diesem zu bestimmenden angemessenen Frist vorgelegt, ist das betroffene Angebot von der weiteren Wertung auszuschließen (vgl. § 7 Abs. 3 HVTG).

Dabei scheint sich der Gesetzestext des Regierungsentwurfs, was den Zeitpunkt der Vorlage der Tariftreue- oder Mindestentgelterklärungen durch Nachunternehmer anbelangt, offensichtlich zu widersprechen. So ist einerseits § 7 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 HVTG dahingehend zu verstehen, dass die Tariftreue- oder Mindestentgelterklärungen der Nachunternehmer – soweit diese bereits bei Angebotsabgabe bekannt sind – bereits bei Angebotsabgabe vorliegen müssen. Auf der anderen Seite spricht § 8 Abs. 2 HVTG wiederum davon, dass Bieter u.a. verpflichtet sind, die Tariftreue- oder Mindestentgelterklärungen der Nachunternehmer (erst) nach Auftragserteilung, spätestens vor Beginn der Ausführung der Leistung durch den Nachunternehmer vorzulegen. Insoweit existiert an dieser Stelle sicherlich noch Klarstellungsbedarf durch den Gesetzgeber.

Dokumentationspflichten und Kontrollrechte

Der Regierungsentwurf legt dem beauftragten Bieter sowie dessen Nachunternehmen und Verleihunternehmen mit der Regelung des § 9 HVTG außerdem auf, die entsprechenden Unterlagen zur Tariftreue und zum Mindestlohn vollständig und prüffähig bereitzuhalten und dem Auftraggeber auf dessen Verlangen jederzeit vorzulegen. Diesbezüglich wird dem Auftraggeber ein umfangreiches Einsichtsrecht in Entgeltabrechnungen und andere Geschäftsunterlagen des Auftragnehmers und dessen Nachunternehmen eingeräumt. Dieses anlassbezogene Einsichtsrecht steht im Ermessen des Auftraggebers und kann im erforderlichen Umfang sowohl angekündigt als auch unangekündigt erfolgen.

In der Praxis werden hierfür umfassende Kontrollen durch den Auftraggeber nötig sein, sodass sich die Frage stellt, wer in Zukunft diese Aufgaben übernehmen wird. Der Regierungsentwurf liefert hierzu zumindest keine Hinweise. Eine Aufgabenwahrnehmung durch den Zoll, der ohnehin schon für den Bereich des Mindestlohns zuständig ist, erscheint daher denkbar. Die Gesetzesentwürfe von SPD und DIE LINKE sehen hierzu wiederum eigenständige Prüfbehörden vor.

Öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP)

Auch im Rahmen der Regelung zu öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP) sind Änderungen vorgenommen worden. So wurde z.B. die Regelung zur Zulässigkeit von Vergaben in ÖPP um den Zusatz „nur bei einem nachgewiesenen Wirtschaftlichkeitsvorteil für das Land“ ergänzt (vgl. § 14 Abs. 1 HVTG).

Zwar nicht neu, aber dennoch problematisch ist die Regelung des § 14 Abs. 6 HVTG (vormals § 8 Abs. 6 HVgG). Danach ist bei der Wertung der Angebote „als weiteres Bewertungskriterium die regionale Wertschöpfung durch die Beteiligung mittelständischer Unternehmen in den Vergabeunterlagen abzufragen und bei der Wertung angemessen zu gewichten“. Insbesondere mit Blick auf die örtliche Komponente dieses Zuschlagskriteriums, d.h. der „regionalen Wertschöpfung“, ist fraglich, wie sich dies mit dem vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgebot vereinbaren lässt. Denn hiernach würden all diejenigen Unternehmen (auch mittelständische Unternehmen), die sich nicht in regionaler Nähe des Auftragsorts befinden, im Rahmen der Zuschlagswertung weniger Punkte erhalten, als solche, die regional verwurzelt sind.

Auch wenn sich die nationalen Gerichte und auch der EuGH zum Zuschlagskriterium der „regionalen Wertschöpfung durch die Beteiligung mittelständischer Unternehmen“ noch nicht explizit geäußert haben, lässt sich innerhalb der Rechtsprechung zumindest mit Blick auf solch Zuschlagskriterien wie „Ortsnähe“ oder „Standortnähe“ die Tendenz erkennen, dass diese Kriterien von den Gerichten i.d.R. als nicht vergaberechtskonform angesehen werden. So hat die VK Baden-Württemberg erst kürzlich in seiner Entscheidung vom 14.11.2013 (Az.: 1 VK 37/13) ausgeführt, dass es vom Grundsatz her unzulässig sei, die Ortsansässigkeit als Vergabekriterium zu verwenden. Politische Opportunität – z.B. das Argument, Steuergelder an die örtliche Wirtschaft zurückzuführen oder die örtliche Wirtschaft fördern zu wollen – dürften bei der Auftragsvergabe keine Rolle spielen. Dies stelle, so die Vergabekammer, vielmehr eine Diskriminierung der übrigen Bieter dar. Allenfalls die örtliche Präsenz eines Bieters könne gefordert werden, und dies nur, sofern die Anwesenheit des Ausführenden vor Ort für die Ausführung eines Auftrags erforderlich sei.

Der EuGH äußert sich hinsichtlich des Zuschlagskriteriums „Ortsnähe“ bisher nur in der Weise, dass ein Bewertungskriterium den Grundsatz der nichtdiskriminierenden Anwendung immer dann verletze, wenn es in der Praxis von Wirtschaftsteilnehmern des Staates A leichter erfüllt werden könne, als von in einem anderen Mitgliedstaat B ansässigen Wirtschaftsteilnehmern. Zwar könne grundsätzlich die Versorgungssicherheit zu den Kriterien gehören, die bei der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots im Fall von Dienstleistungen, die das Leben und die Gesundheit von Personen schützen sollen, zu berücksichtigen sind, indem sie eine diversifizierte eigene Produktion nahe am Verbrauchsort vorsehen (z.B. bei häuslichen Atemtherapiediensten). Diese Kriterien dürften jedoch mit Blick auf das angestrebte Ziel nicht unangemessen sein (vgl. EuGH, Urteil v. 27.10.2005 – C-234/03). Im Ergebnis lässt der EuGH ein solches Zuschlagskriterium nur in absoluten Ausnahmefällen zu.

Ob die Regelung des § 14 Abs. 6 HVTG einer europarechtlichen Prüfung standhalten würde, bleibt daher anzuzweifeln.

Nachprüfungsstellen

Nachprüfungsstellen für den Unterschwellenbereich sind bereits im derzeit noch gültigen HVgG vorgesehen. Der Regierungsentwurf ändert die entsprechende Regelung jedoch nun dahingehend, dass zum einen die Auftragsberatungsstelle Hessen nicht mehr explizit als VOL-Stelle genannt wird (vgl. § 20 Abs. 1 HVTG). Außerdem ist die vormals in § 14 Abs. 7 HVgG gesetzlich geregelte Gebührenfreiheit der Nachprüfungsverfahren entfallen. Die wichtigste Änderung erfolgt jedoch anhand § 20 Abs. 5 S. 2 HVTG. Ist es nach dem derzeitigen HVgG für die Beteiligten nicht möglich, Rechtsbehelfe gegen Feststellungen der Nachprüfungsstellen einzulegen, kann der Auftraggeber nun jederzeit von den Feststellungen der Nachprüfungsstelle abweichen. Hierzu muss er den Beteiligten und der Nachprüfungsstelle die Abweichung lediglich mitteilen und begründen (vgl. § 20 Abs. 5 S. 2 HVTG).

EuGH-Urteil vom 18.09.2014 (Rs. C-549/13) – Auswirkungen auf die Mindestlohnregelung des § 6 HVTG

In seinem Urteil vom 18.09.2014 hatte der EuGH auf Vorlage des VK Arnsberg (Beschl. v. 22.10.2013 – VK 18/13) darüber zu entscheiden, ob das Tariftreuegesetz NRW (TVgG-NRW) europarechtswidrig ist, weil es den öffentlichen Auftraggeber dazu berechtige, auch von eingesetzten Nachunternehmern, die in einem anderen EU-Mitgliedsstaat ansässig sind, die Zahlung eines vergabespezifischen Mindestlohns (8,62 Euro brutto pro Stunde) zu verlangen. In dem zugrunde liegenden Fall wollte ein Bieter den Auftrag (Aktendigitalisierung und Konvertierung von Dateien der Stadt Dortmund) ausschließlich durch Arbeitnehmer seines in Polen ansässigen Subunternehmers ausführen lassen.

Der EuGH stellt in seinem Urteil zunächst klar, dass ein solcher vergabespezifischer Mindestlohn an sich bereits ist nicht vereinbar mit der europäischen Dienstleistungsfreiheit sei. Hierzu verweist er sinngemäß auf die sog. Rüffert-Entscheidung des EuGH (Urteil vom 3.4.2008, C-346/06). Die Rechtfertigung einer Mindestlohnvorgabe durch das Ziel des Arbeitnehmerschutzes sei nur möglich, wenn der Mindestlohn den Beschäftigten auf dem privaten und öffentlichen Markt gleichermaßen zugutekomme. Ein vergabespezifischer Mindestlohn wie im vorliegenden Fall entfalte jedoch – anders als ein allgemeinverbindlicher Mindestlohn – nur Geltung für Arbeitnehmer, die im Rahmen von öffentlichen Aufträgen tätig werden. Das die Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigende Ziel des Arbeitnehmerschutzes könne daher durch Vorgabe eines vergabespezifischen Mindestlohns nicht erreicht werden.

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Unabhängig davon sei die Mindestlohnregelung des TVgG-NRW auch unverhältnismäßig, soweit sich ihr Geltungsbereich auf eine Situation wie die vorliegende erstrecke, in der die ausgeschriebene Leistung ausschließlich im EU-Ausland durch die Arbeitnehmer eines Subunternehmers des Bieters ausgeführt werden soll und die Mindestlohnsätze in diesem EU-Mitgliedstaat (Polen) niedriger sind. Das dort herrschende Lohnniveau sei gerade ein Wettbewerbsvorteil der Unternehmen und dieser Vorteil dürfe ihnen durch eine solche Regelung nicht genommen werden. Da der vergabespezifische Mindestlohn in Deutschland jedoch keinen Bezug habe zu den Lebenshaltungskosten in anderen Mitgliedstaaten, werde den in Polen tätigen Nachunternehmen damit gerade die Möglichkeit genommen, diesen sich aus den unterschiedlichen Lohnniveaus ergebenden Wettbewerbsvorteil zu ziehen.

Es stellt sich nun die Frage, inwieweit sich diese EuGH-Entscheidung auf die Europarechtskonformität der im Regierungsentwurf zum Hessischen Vergabe- und Tariftreuegesetz neu verankerten Mindestentgeltregelung des § 6 HVTG auswirkt.

§ 6 S. 1 HVTG verpflichtet den Bieter, „die Einhaltung der nach Bundesrecht oder aufgrund von Bundesrecht für sie geltenden Regelungen von besonders festgesetzten Mindestentgelten (Mindestlohn) als Mindeststandard […] im Angebot in Textform besonders zu erklären“. Damit verpflichtet die Regelung den Bieter im Rahmen der Auftragsausführung zur Einhaltung eines bundesgesetzlich festgesetzten und damit allgemeinverbindlichen Mindestlohns. Das am 16.08.2014 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (MiLoG) stellt eine solche bundesgesetzliche Mindestlohnregelung i.S.d. § 6 S. 1 HVTG dar. § 6 S. 3 HVTG erweitert die Verpflichtung aus Satz 1 darüber hinaus auch auf Nach- und Verleihunternehmen des Bieters.

Überträgt man diese Regelung nun auf den Sachverhalt, der dem EuGH in seinem Urteil zugrunde lag, so wird man ihre Europarechtskonformität für solche Konstellationen bejahen müssen. Zum einen legt die Regelung – anders als die Regelungsentwürfe von SPD und DIE LINKE – keinen vergabespezifischen Mindestlohn fest und verstößt schon aus diesem Grund nicht gegen Europarecht. Zum anderen sind nach dem MiLoG, auf dessen Regelungen der § 6 HVTG verweist, Arbeitgeber mit Sitz im Ausland NUR in Hinblick auf die im Inland tätigen Arbeitnehmer zur Zahlung des Mindestlohnes verpflichtet (§ 20 MiLoG). Die vom EuGH entschiedene Konstellation ist vom MiLoG – richtigerweise wie nun der EuGH bestätigt hat – gerade nicht erfasst.

Autoren: Rechtsanwältin Aline Fritz, Tobias Sdunzig, WMA, beide FPS Rechtsanwälte und Notare, Berlin /Frankfurt

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Über Aline Fritz und Tobias Sdunzig [3]

Rechtsanwältin Aline Fritz ist seit 2000 im Bereich des Vergaberechts tätig und seit 2002 bei FPS [4] tätig. Sie berät sowohl die öffentliche Hand bei der Erstellung von Ausschreibungen als auch Bieter in allen Phasen des Vergabeverfahrens. Vor ihrer Tätigkeit bei FPS [4] war Frau Fritz Leiterin der Geschäftsstelle des forum vergabe e.V. beim BDI in Berlin. Frau Fritz hält regelmäßig Vorträge und Schulungen zum Vergaberecht und hat zahlreiche vergaberechtliche Fachbeiträge veröffentlicht. Tobias Sdunzig ist bei FPS [4] promotionsbegleitend als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Praxisgruppe Vergaberecht tätig.

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