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Sind Bietergemeinschaften in der Regel unzulässig und nur ausnahmsweise zulässig, oder umgekehrt? (VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 04.06.2014 – 1 VK 15/14)

EntscheidungDas KG Berlin hatte Ende 2013 seine Rechtsprechung bekräftigt, dass das Eingehen einer Bietergemeinschaft ohne weiteres den Tatbestand einer Abrede bzw. Vereinbarung im Sinne von § 1 GWB erfüllt. Auch sei die naturgemäße Folge des Eingehens einer Bietergemeinschaft, dass sich die Mitglieder der Gemeinschaft jedenfalls in Bezug auf den ausgeschriebenen Auftrag nicht wettbewerblich untereinander verhalten. Die Voraussetzungen des § 1 GWB seien damit im Regelfall erfüllt (vgl. KG Berlin, Beschl. v. 24.10.2013, Verg 11/13; Beschl. v. 21.12.2009 – 2 Verg 11/09). Seitdem sehen sich Bietergemeinschaften einem umfassenden Begründungsaufwand ausgesetzt, um nicht wegen eines angeblichen Wettbewerbsverstoßes von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen zu werden. Nun hatte die VK Baden-Württemberg über die kartellrechtliche Zulässigkeit von Bietergemeinschaften zu entscheiden. Dabei wandte sie sich ausdrücklich gegen die Beschlüsse des KG Berlin.

§ 1 GWB, § 19 EG Abs. 3 lit. f) VOL/A

Leitsatz (nicht amtlich)

  1. Bietergemeinschaften sind in der Regel zulässig und nur ausnahmsweise unzulässig. […]

Sachverhalt

Im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens mit öffentlichem Teilnahmewettbewerb schreibt eine Vergabestelle die Lieferung und Pflege eines Web-Content Management-Systems (WEB CMS) sowie Projektunterstützungsleistungen aus. Der Zuschlag soll einer Bietergemeinschaft erteilt werden. Hiergegen wendet sich ein unterlegener Bieter und macht unter anderem geltend, dass die Bietergemeinschaft gem. § 19 EG Abs. 3 lit. f) VOL/A wegen des Eingehens einer wettbewerbswidrigen Absprache von dem Verfahren auszuschließen sei.

Die Entscheidung

§ 19 EG Abs. 3 lit. f) VOL/A formuliert einen zwingenden Ausschlussgrund für Angebote von Bietern, die in Bezug auf die Vergabe eine unzulässige, wettbewerbsbeschränkende Abrede getroffen haben. Die Vergabekammer Baden-Württemberg prüft, ob die Eingehung einer Bietergemeinschaft eine solche unzulässige, wettbewerbsbeschränkende Abrede darstellt. Dabei zieht sie zunächst den vom KG Berlin zu dieser Vorschrift entwickelten Prüfungsmaßstab heran. Danach sind Bietergemeinschaften allenfalls dann zulässig, wenn die Mitglieder der Bietergemeinschaft zusammen einen nur unerheblichen Marktanteil haben oder wenn sie erst durch das Eingehen der Gemeinschaft in die Lage versetzt werden, ein Angebot abzugeben und somit am Wettbewerb teilzunehmen. Diese Anforderung sieht die Vergabekammer aus verschiedenen nachvollziehbaren Gründen, die hier nicht weiter behandelt werden sollen, als gegeben an.

Bei dieser rechtlichen Würdigung hätte es die Vergabekammer bereits bewenden lassen können. Sie sah sich durch die Entscheidung des KG Berlin aber offensichtlich dazu veranlasst, in einem weiteren Schritt zu der Rechtsprechung Stellung zu nehmen, wonach Bietergemeinschaften in der Regel unzulässig seien. Die Vergabekammer hält die Entscheidung des KG Berlin für „angreifbar“ und beruft sich dabei auf die Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 08.01.2010 (15 Verg 1/10). Nach dieser Entscheidung sei die Bildung von Bietergemeinschaften in den Vergabevorschriften explizit vorgesehen. Das Angebot einer Bietergemeinschaft könne somit allenfalls dann nicht zuzulassen sein, wenn die Mitglieder der Bietergemeinschaft sich durch den Zusammenschluss einen unzulässigen Wettbewerbsvorteil verschaffen wollten. Auf der Grundlage dieser Erwägungen schließt die Vergabekammer: „Bietergemeinschaften sind in der Regel zulässig und nur ausnahmsweise unzulässig, nicht umgekehrt.“

Rechtliche Würdigung

Die Bedeutung der Entscheidung der VK Baden-Württemberg liegt in ihrem Beitrag zu der Diskussion über die kartellrechtliche Bewertung von Bietergemeinschaften. Diese wird derzeit – auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung – uneinheitlich geführt. Rechtlicher Ausgangspunkt dieser Diskussion ist § 1 GWB (bzw. Art. 101 AEUV, in dessen Lichte § 1 GWB auszulegen ist). Danach sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, verboten. Hierunter kann auch die Vereinbarung fallen, eine Bietergemeinschaft zu gründen. Im Übrigen existieren im GWB aber keine konkreten gesetzlichen Bestimmungen zu Bietergemeinschaften. Lediglich innerhalb der europäischen Vergaberichtlinien wie auch innerhalb der dem GWB untergeordneten Vergabeordnungen finden sich ausdrückliche Regelungen zu Bewerber- bzw. Bietergemeinschaften. Danach sind Bietergemeinschaften wie Einzelbieter zu behandeln; weitere Regelungen betreffen z. B. die Anforderungen an Bietergemeinschaftserklärungen. Das macht deutlich, dass die vergaberechtlichen Verfahrensvorschriften von der Zulässigkeit von Bietergemeinschaften ausgehen. Ihr Regelungsgehalt bleibt allerdings durch die vom AEUV bzw. GWB gesetzten Rahmen und Wertungen begrenzt. Das heißt konkret, dass die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit von Bietergemeinschaften – an die auch § 19 EG Abs. 3 lit. f) anknüpft – an den kartellrechtlichen Vorschriften des AEUV bzw. GWB zu messen ist.

Der BGH hat in der so genannten „Bauvorhaben Schramberg“-Entscheidung vom 13.12.1983 (Az. KRB 3/83) entschieden, dass „eine Vereinbarung verschiedener [gleichartiger] Unternehmen, sich mit einer Bieter- und Arbeitsgemeinschaft an der Ausschreibung für ein bestimmtes Bauvorhaben zu beteiligen, […] gemäß § 1 GWB nur verboten [ist], wenn die Vereinbarung geeignet ist, die Marktverhältnisse durch Beschränkung des Wettbewerbs spürbar zu beeinflussen.“ Das gelte auch für Beteiligungen von Großunternehmen, deren Kapazitäten, technische Einrichtungen und fachliche Kenntnisse ausreichen würden, den Auftrag selbständig auszuführen. Es reiche aus, wenn die Entscheidung, eine Bietergemeinschaft zu gründen, in der Erkenntnis getroffen werde, dass eine selbstständige Teilnahme an einer Ausschreibung wirtschaftlich nicht zweckmäßig und kaufmännisch nicht vernünftig wäre.

Diese Entscheidung des BGH wurde bis vor einiger Zeit wohl überwiegend dahingehend verstanden, dass eine Bietergemeinschaft grundsätzlich kartellrechtlich zulässig ist und nur in bestimmten Fällen gegen § 1 GWB verstößt. Das Eingehen einer Bietergemeinschaft könne den Wettbewerb fördern, da ein zusätzliches Angebot abgegeben werde, das sonst ausgeblieben wäre. Das KG Berlin hat sich von dieser Herangehensweise bei der kartellrechtlichen Bewertung von Bietergemeinschaft offenbar gelöst. Stattdessen hat es die Regel aufgestellt, dass Bietergemeinschaften den Tatbestand des § 1 GWB in der Regel erfüllen. Durch diese Rechtsprechung wird gewissermaßen ein automatisierter Ausschluss von Bietergemeinschaften ausgelöst. Denn liegt in der Regel eine wettbewerbsbeschränkende Abrede vor, dann müssen die an dieser Abrede beteiligten Mitglieder einer Bietergemeinschaft gem. § 19 EG Abs. 3 lit. f) VOL/A auch in der Regel ausgeschlossen werden. Nur wenn ausnahmsweise das Eingehen einer Bietergemeinschaft den Wettbewerb fördert – so ist zu schlussfolgern – muss diese Bietergemeinschaft nicht vom Verfahren ausgeschlossen werden. Die Brisanz dieser Rechtsprechung ist im Übrigen insofern umso größer, als das KG Berlin in diesem Zusammenhang offengelassen hat, inwieweit es (subjektive) kaufmännische und wirtschaftliche Erwägungen für ausreichend erachtet, um eine Bewerbergemeinschaft kartellrechtlich zu rechtfertigen.

Die Frage, ob Bietergemeinschaften in der Regel die Anforderungen des § 1 GWB erfüllen und nur ausnahmsweise nicht erfüllen oder ob vielmehr das Gegenteil gilt, wirkt sich auf den Umfang der Angebotsprüfung durch die Vergabestelle und die Anforderungen an die Darlegung der Zulässigkeit des Eingehens einer Bietergemeinschaft durch deren Mitglieder aus. Denn wenn die Abrede einer Bietergemeinschaft grundsätzlich wettbewerbswidrig sein sollte, dann müsste die Vergabestelle stets innerhalb der Angebotsprüfung zu dem Ergebnis kommen, dass diese im konkreten Fall ausnahmsweise zulässig ist. Der Aufwand wäre demgegenüber geringer, sollte das Eingehen einer Bietergemeinschaft stets zulässig sein. Die kartellrechtliche Überprüfung der Bietergemeinschaft wäre nur dann im Detail notwendig, wenn Anzeichen dafür bestehen, dass die Vereinbarung geeignet ist, die Marktverhältnisse durch Beschränkung des Wettbewerbs spürbar zu beeinflussen. In letztere Richtung scheint auch die grundlegende Entscheidung des BGH zu weisen. So verstanden ist auch die ungewöhnlich scharf formulierte Abgrenzung der VK Baden-Württemberg von der Rechtsprechung des KG Berlin nachzuvollziehen.

DVNW_Mitglied [1]

Praxistipp

Ob die VK Baden-Württemberg mit ihrem energischen Auftreten allerdings die gegenteiligen Tendenzen in der Rechtsprechung zurückdrängen kann, ist zu bezweifeln. Hierfür hätte es im Übrigen auch einer differenzierteren Auseinandersetzung bedurft. Für Interessenten an einem öffentlichen Auftrag hat die uneinheitliche Rechtsprechung zur Konsequenz, dass sie vor Eingehen einer Bietergemeinschaft umfassend prüfen sollten, ob diese kartellrechtlich unbedenklich ist, und dabei den strengeren Maßstab anwenden sollten. Hierfür sind zum einen objektive Gründe und zum anderen die kaufmännischen und wirtschaftlichen Erwägungen der Mitglieder der Bewerbergemeinschaft heranzuziehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass zumindest das KG Berlin objektive Kriterien offenbar für schwerer wiegend erachtet; allein die Hebung von Synergieeffekten hält es ausdrücklich nicht für ausreichend.

Darüber hinaus kann es sich im Einzelfall anbieten, bereits mit der Abgabe des Angebots die Gründe für das Eingehen einer Bietergemeinschaft darzulegen. Auftraggeber wiederum können bereits mit der Angebotsabgabe entsprechende Erklärungen einfordern. Zudem ist ihnen anzuraten, die kartellrechtliche Prüfung in der Vergabedokumentation zu vermerken. Nach dem Beschluss des OLG Düsseldorf vom 11.11.2011 (VII-Verg 92/11) gilt dabei, dass vertikale Bietergemeinschaften – also solche zwischen ungleichartigen Unternehmen – kartellrechtlich eher unbedenklich sind, als horizontale Bietergemeinschaften.

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Über Dr. Georg Queisner [2]

Der Autor, Herr Dr. Georg Queisner, ist als Rechtsanwalt in der internationalen Kanzlei PWC Legal [3] in Berlin tätig. Er berät bundesweit öffentliche Auftraggeber und Unternehmen bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren. Darüber hinaus publiziert Herr Queisner regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Er ist Mitglied der Regionalgruppe Berlin/Brandenburg des DVNW.

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