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Regeln zum Angebotsausschluss gelten nicht für nachträglich geforderte Unterlagen (OLG Koblenz, Beschl. v. 19.01.2015 – Verg 6/14)

EntscheidungOb und in welchem Umfang eine Nachforderung oder Aufklärung im Einzelfall zulässig ist, gehört zu den praxisrelevantesten Fragen im Vergaberecht. Die Rechtsprechung setzt hier immer wieder neue Akzente so nun auch das OLG Koblenz in Bezug auf die Nachforderung von Unterlagen, die erst nach Angebotsabgabe vorzulegen sind.

§ 16 EG Abs. 1 VOB/A

Leitsatz (nicht amtliche)

  1. Der Senat ist der Auffassung, dass der Ausschlussgrund des § 16 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A nur auf Nachweise und Erklärungen anwendbar ist, die innerhalb der Angebotsfrist vorzulegen waren und dass schon mangels einer planwidrigen Regelungslücke eine analoge Anwendung auf Unterlagen, die erst im Nachhinein vom Auftraggeber erstmals gefordert werden, nicht in Betracht kommt.
  2. Dann fehlt aber im geltenden Recht für den Fall, dass Unterlagen, die erstmals nach Ablauf der Angebotsfrist angefordert worden waren, aber nicht oder nicht rechtzeitig vorgelegt wurden, eine Norm, die den Angebotsausschluss vorsieht.
  3. Jedenfalls dann, wenn wie hier die Preisblätter nicht bereits (vorsorglich) mit dem Angebot vorzulegen sind, darf der Auftraggeber diese nicht allein deshalb nachfordern, weil er sich dies vorbehalten hat (oder dies in einem Vergabehandbuch oder einer Dienstanweisung so geschrieben steht).

Sachverhalt

Bei einer europaweiten Bauvergabe enthielt die Aufforderung zur Angebotsabgabe den Hinweis, dass die Bieter auf Verlangen der Vergabestelle binnen sechs Kalendertagen verschiedene Formblätter nachreichen mussten, die Aufschluss über die Kalkulation gaben. Der Angebotspreis des später auch für den Zuschlag vorgesehenen Bieters war zwar völlig unauffällig, trotzdem forderte der Auftraggeber ihn wie angekündigt zur Vorlage dieser Formblätter auf. Die daraufhin fristgemäß eingereichten Formblätter enthielten in geringem Umfang Unzulänglichkeiten, insbesondere fehlte in Formblatt 222 die Erläuterung der Position sonstige Kosten. Diese Angaben erläuterte der Bieter innerhalb der gesetzten Nachfrist.

Die Vergabekammer sah keine Rechtsgrundlage für diese Erläuterung nach Ablauf der Sechs-Tages-Frist und untersagte unter anderem auch aus diesem Grund den Zuschlag auf das Angebot, das wegen Unvollständigkeit auszuschließen sei. Gegen diese Entscheidung legte der Bieter sofortige Beschwerde ein.

Die Entscheidung

Mit Erfolg! Das OLG Koblenz erklärte, dass die Unzulänglichkeiten der geforderten Formblätter im vorliegenden Fall nicht zum Ausschluss des Angebots führen durften, da es dafür keinen rechtlich normierten Ausschlussgrund gebe und die ursprüngliche Anforderung auch noch keine Ausschlussandrohung enthielt.

Ausschlusstatbestand des § 16 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A nicht analog anwendbar

Der Vergabesenat erläuterte, dass der Ausschlussgrund des § 16 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A bei nicht fristgemäß vorgelegten, nachgeforderten Nachweisen oder Erklärungen nur für solche Unterlagen gelte, die innerhalb der Angebotsabgabe vorzulegen waren. Da die betroffenen Formblätter aber erstmals nach Angebotsabgabe vorzulegen waren, hielt er diese Vorschrift nicht für anwendbar. Eine analoge Anwendung lehnte das Gericht mangels planwidriger Regelungslücke entgegen Entscheidungen des OLG Frankfurt (Beschluss vom 21.02.2012, Az.: 11 Verg 11/11) und des OLG Celle (Beschluss vom 16.06.2011, Az.: 13 Verg 3/11) ab.

Ohne explizite Androhung eines Angebotsausschlusses liegt es dem Senat zufolge nicht fern, dass der Auftraggeber eine Ermessensentscheidung unter Beachtung vergaberechtlicher Grundprinzipien treffen muss.

Vorbehalt der Nachforderung von Preisaufschlüsselungen unzulässig!

Letztlich aber ließ der Senat diese Frage offen, da er bereits das Aufklärungsverlangen in Bezug auf die lückenhaften Formblätter für unzulässig hielt. Er sah in der fehlenden Angabe keinen formalen Fehler, der zur Nachforderung gemäß § 16 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A berechtigt hätte. Auch eine Nachforderung als fehlende Preisangabe gemäß § 16 EG Abs. 1 Nr. 1 lit. c VOB/A war nicht zulässig, da es sich bei den Eintragungen in diesen Formblättern nicht um Preisangaben handelte. Es handelte sich nach Auffassung des OLG Koblenz vielmehr um Instrumente zur Preisprüfung im Kontext der Auskömmlichkeit. Da der Angebotspreis aber unauffällig war, fehle es für eine Preisaufklärung an einer Rechtsgrundlage. Jedenfalls dann, wenn sich der Auftraggeber die Preise nicht schon vorsorglich mit Angebotsabgabe aufschlüsseln lasse, dürfe er diese Angaben nicht allein deswegen später nachfordern, weil er sich dies vorbehalten habe.

Rechtliche Würdigung

Im konkreten Fall mag die Entscheidung zu einem guten Ergebnis kommen. Hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 16 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A auf nachträglich geforderte Unterlagen könnte man aber auch durchaus anderer Ansicht sein, und das sogar, ohne eine Analogie zu bemühen. Die Vorschrift bezieht sich auf geforderte Erklärungen und Nachweise, ohne dabei den Zeitpunkt der Forderung einzugrenzen. Sie verweist auch nicht auf allein solche Nachweise und Erklärungen, die gemäß § 13 EG Abs. 1 Nr. 4 VOB/A bei Angebotsabgabe vorzulegen sind. Angesichts des Wortlauts vermisst man daher eine überzeugende Begründung für die These, dass § 16 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A bei nach Angebotsabgabe geforderten Erklärungen nicht gelten soll.  Man kann auch nicht sagen, dass  es der VOB/A fremd wäre, Nachweise erst nach Angebotsabgabe zu fordern. Dies ist an verschiedenen Stellen vorgesehen (vgl. z.B. § 6 EG Abs. 3 Nr. 5 VOB/A, § 6 EG Abs. 8 VOB/A). Es ist nicht so recht plausibel, warum für die Nachforderung solcher Nachweise andere Regeln gelten sollten.

Wenig verständlich ist auch, weshalb sich ein öffentlicher Auftraggeber die spätere Forderung einer Preisaufschlüsselung nicht vorbehalten können soll, sondern sich eine Preisaufschlüsselung nur vorsorglich mit dem Angebot selbst vorlegen lassen darf.  Denn auch die vorsorgliche Forderung erfolgt ja, ohne dass der Auftraggeber den Eindruck eines unangemessenen Preises hat.

DVNW_Mitglied [1]

Praxistipp

Öffentliche Auftraggeber sollten sich genau überlegen, welche Unterlagen sie im Einzelfall zur Angebotsprüfung und -wertung benötigen. Wenn sie sich die Forderung von weiteren Unterlagen zu einem Zeitpunkt nach Angebotsabgabe vorbehalten und sie Bieter bei Nichtvorlage auf Nachforderung ausschließen wollen, empfiehlt es sich nach dieser Entscheidung, den Ausschluss gleichzeitig auch explizit anzudrohen. Bieter hingegen sollten wegen der uneinheitlichen Rechtsprechung zur analogen Anwendung des § 16 EG Abs.1 Nr. 3 VOB/A nachträglich geforderte, fehlende Unterlagen auch ohne eine solche explizite Androhung innerhalb der gesetzten Nachfrist (spätestens aber innerhalb von sechs Kalendertagen) nachreichen.

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Über Dr. Valeska Pfarr, MLE [2]

Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte [3], Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.

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