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Unterschiedliche Fristberechnung: Nichtabhilfe der Rüge und Vorabinformation (VK Bund, Beschl. v. 30.01.2015 – VK2-115/14)

EntscheidungBei Vergabeverfahren gelten strenge Fristen: das ist nicht nur für die öffentliche Auftraggeber entscheidend, um eine effiziente Beschaffung zu ermöglichen, sondern auch für Bieter, wenn sie sich gegen einen Vergabeverstoß nach erfolgloser Rüge wehren wollen.

Wenn einer Rüge in der Angebotsphase nicht abgeholfen wird, muss sich der Bieter innerhalb von 15 Tagen entscheiden, das Nachprüfungsverfahren einzuleiten. Bei der Vorabinformation, also der Ankündigung nach der Angebotsprüfung bei EU-weiten Vergaben, dass er nicht den Zuschlag erhält, muss er noch schneller handeln:  10 Tage hat er nach dem Zugang (bei Zugang per Fax oder per Mail) Zeit, um den Zuschlag zu verhindern.

Wichtig für die Bieter ist: Die 15-Tage-Frist bei Nichtabhilfe der Rüge und die 10-tägige Frist bei der Vorabinformation berechnet sich unterschiedlich, wie die aktuelle Entscheidung der Vergabekammer anschaulich darstellt.

§ 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB, § 101a Abs. 1 S 3 GWB

Sachverhalt

Ein Bieter rügt im Rahmen eines Eu weiten offenen Verfahrens zur Beschaffung von Kontrastmitteln für Radiologie-Praxen mehrere Vergaberechtsverstöße. Am 28. November 2014 – einem Freitag – teilte die Vergabestelle dem Bieter mit, dass sie seiner Rüge nicht abhelfe. Dies geschah per Telefax, Zugang beim Bieter um 16:31 Uhr.

Am Montag, den 15. Dezember 2014, stellt der Bieter einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer. Er führte unter anderem aus, der Ablauf der 15-Tage-Frist nach § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB sei auf einen Samstag (nämlich den 13. Dezember 2014) gefallen, so dass die Frist gemäß § 31 Abs. 3 VwVfG erst am nächsten Montag geendet habe. Die Vergabestelle meint hingegen, der Nachprüfungsantrag sei erst nach Fristablauf gestellt worden und daher unzulässig.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer gibt dem Bieter recht: Der Bieter hat die Frist eingehalten!

Gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, wenn mehr als 15 Kalendertage nach Eingang der Nichtabhilfemitteilung auf die Rüge des ergangen sind. Die Vergabekammer stellt auf die allgemeine zivilrechtliche Rechtsprechung zum Zugang von Willenserklärungen ab. Danach geht eine Willenserklärung zu, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (BGH, Urteil vom 26. November 1997, VIII ZR 22/97; BGH, Urteil vom 3. November 1976, VIII ZR 140/75).
Auch bei Einsatz von Fax-Schreiben ist somit maßgeblich, ob der Absender nach dem gewöhnlichen Geschäftsgang des Empfängers noch davon ausgehen kann, dass dieser das Fax am selben Tag zur Kenntnis nimmt. Ist dies nicht der Fall, liegt ein Zugang im Zweifel erst am nächsten Werktag vor. Die Vergabekammer entschied, dass von einer Kenntnisnahme am gleichen Tag bei Fax-Eingang um 16:31 Uhr an einem Freitag bei einem Pharma-Unternehmen nicht mehr ausgegangen werden könne. Der fristauslösende Zugang der Nichtabhilfeentscheidung erfolgte hier also erst am kommenden Montag, dem 01. Dezember 2014, so dass der am 15. Dezember 2015 gestellte Nachprüfungsantrag noch fristgemäß einging.

Rechtliche Würdigung

Letztlich wäre es jedoch darauf nicht angekommen, da – wie die Vergabekammer selbst anführt – für die Frist nach § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB § 31 Abs. 3 VwVfG bzw. § 193 BGB anwendbar sind. D.h. wenn das Fristende auf ein Wochenende oder eine Feiertag fällt, läuft die Frist erst am darauf folgenden Werktag ab. Somit hätte also, selbst wenn der Eingang der Nichtabhilfemitteilung noch am Freitag, dem 28. November 2014, erfolgt sein sollte, der Nachprüfungsantrag wegen des rechnerischen Ablaufs der Frist an einem Samstag auch noch am folgenden Werktag, also am Montag, fristgemäß gestellt werden können.

Anders stellt sich die Fristberechnung nach der Vorabinformation nach § 101 a GWB dar, wobei der Aspekt leider mangels Entscheidungserheblichkeit durch die Vergabekammer nur angerissen wird.

Die Frist nach § 101a Abs. 1 S. 3 GWB ist eine Wartefrist.
Ein Vertrag zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem obsiegenden Bieter darf erst nach Ablauf von 15 Tagen bzw. 10 Tagen bei elektronischer oder Fax-Kommunikation, also Mail, nach Absendung der Vorabinformationen nach § 101a Abs. 1 S 1 u. 2 GWB geschlossen werden. Den unterlegenen Bietern soll dadurch die Möglichkeit gegeben werden, vor dem Zuschlag ihre Rechtsschutzaussichten zu prüfen und sich ggf. zu wehren.

Die Frist nach § 101a Abs. 1 S. 5 GWB beginnt am Tag nach der Absendung der Vorabinformation an den letzten Bieter. Auf den Zugang der Vorabinformationen kommt es nach dem klaren Gesetzeswortlaut nicht an. Die Frist nach § 101a Abs. 1 S. 3 GWB beginnt also selbst dann am Folgetag, wenn das Informationsschreiben außerhalb der üblichen Geschäftszeiten an einem Freitag beim Bieter eingeht.

Und im Gegensatz zu der Frist nach § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB kann der Fristablauf auch an einem Wochenende erfolgen. § 31 Abs. 3 VwVfG bzw. § 193 BGB , d.h. dass die Frist erst am folgenden Werktag ausläuft, sind auf diese Frist nicht anwendbar. Diese Normen regeln den Fristablauf für Fälle, in denen eine Handlung innerhalb der Frist vorgenommen werden muss. § 101a Abs. 1 S. 3 GWB betrifft jedoch gerade den umgekehrten Fall. Hier darf eine Handlung (nämlich die Zuschlagserteilung) gerade erst nach Ablauf der (Warte-)Frist erfolgen. Für den § 101a GWB ähnlichen § 13 VgV a.F. hat das OLG Düsseldorf daher entschieden, dass eine direkte oder analoge Anwendung des § 193 BGB nicht in Frage kommt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.05.2008, VII-Verg 11/08).

DVNW_Mitglied [1]

Praxistipp

Eine wichtige Entscheidung für die Fristberechnung für Bieter, wenn sie sich gegen die Entscheidung der Vergabestelle vor der Vergabekammer wehren wollen: während es bei der Nichtabhilfe der Rüge auf den Zugang ankommt und somit auch bei Fristende am Wochenende oder Feiertag erst am nächsten Werktag endet, ist bei der Vorabinformation der reine Ablauf der Frist entscheidend, egal ob Wochenende, Feiertag oder Werktag.

Und noch ein wichtiger Unterschied: Die 15-Tage-Frist des § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB ist gemäß Anhang VII A Nr. 24 RL 2004/18/EG bzw. Anhang V Teil C Nr. 25 RL 2014/24/EU eine Rechtsbehelfsfrist, auf die in der Bekanntmachung zwingend hingewiesen werden muss. Fehlt dieser Hinweis, beginnt die Frist nicht zu laufen, ein Nachprüfungsantrag kann auch nach Ablauf von 15 Tagen zulässig gestellt werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.12.2009, Verg. 37/09; OLG Celle, Beschluss vom 04.03.2010, 13 Verg 1/10; OLG Brandenburg, Beschluss vom 13.09.2011, Verg W 10/11).

Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist dagegen bei der Vorabinformation nach § 101 a GWB nicht vorgesehen.

Da beide Fristenregelungen auch nach dem Referentenentwurf zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz weiter gelten werden (vgl. § 134 Abs .1 S. 3 GWB-E und § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB-E), wird sich wohl an der Fristberechnung auch nach der Vergaberechtsreform nichts ändern.

Kontribution

Der Beitrag wurde in Zusammenarbeit mit Herrn Tobias Kühn verfasst.

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Über Tobias Kühn [2]

Der Autor Tobias Kühn ist Rechtsreferendar im Bezirk des Kammergerichts Berlin. Im Rahmen seiner Wahlstation bei der Bitkom Servicegesellschaft mbH [3] unterstützt er mit der Bearbeitung vergaberechtlicher Fragestellungen den Bereich von Bitkom Consult-Vergaberecht.

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Über Monika Prell [5]

Monika Prell ist Fachanwältin für Vergaberecht und Partnerin bei der Kanzlei SammlerUsinger [6] in Berlin. Sie verfügt über umfangreiche Erfahrung im Vergaberecht und berät sowohl öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren als auch Bieterunternehmen umfassend bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen. Darüber hinaus vertritt Monika Prell ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen. Neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit ist sie als Kommentarautorin tätig, veröffentlicht regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.

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