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Teilnahmeverbot für öffentliche Unternehmen? (EuGH, Urt. v. 6.10.2015 – Rs. C-203/14 – Consorci Sanitari del Maresme)

Entscheidung EUDie Große Kammer des EuGH hatte im Rahmen eines spanischen Vorabentscheidungsersuchens u.a. über die Teilnahme öffentlicher Stellen an Vergabeverfahren zu entscheiden. Rechtlicher Anknüpfungspunkt war vor allem Art. 1 Abs. 8 UAbs. 1 und 2 RL 2004/18/EG (ähnlich: Art. 2 Nr. 10 RL 2014/24/EU). Danach sind Unternehmer, Lieferanten und Dienstleistungserbringer, sprich Wirtschaftsteilnehmer, als natürliche oder juristische Personen, öffentliche Einrichtungen oder Gruppen dieser Personen und/oder Einrichtungen gekennzeichnet, die auf dem Markt die Ausführung von Bauleistungen, die Errichtung von Bauwerken, die Lieferung von Waren bzw. die Erbringung von Dienstleistungen anbieten.

Art. 1 Abs. 8 RL 2004/18/EG

Leitsatz

Art. 1 Abs. 8 der Richtlinie 2004/18/EG […] ist dahin auszulegen, dass der Begriff Wirtschaftsteilnehmer […] auch öffentliche Stellen erfasst, die sich somit an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen können, wenn und soweit sie berechtigt sind, auf einem Markt Leistungen gegen Entgelt anzubieten.

Sachverhalt

Ein Gesundheitskonsortium des spanischen Distriktes Maresme nahm an einer Ausschreibung für die Vergabe von Leistungen der Kernspintomografie in öffentlichen Behandlungszentren teil. Das Gesundheitskonsortium wurde wegen fehlender Nachweise vom Vergabeverfahren ausgeschlossen. Hiergegen ersuchte das Gesundheitskonsortium um Rechtsschutz. Die angerufene Nachprüfungseinrichtung legte deshalb dem EuGH u.a. die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob öffentliche Stellen als Wirtschaftsteilnehmer anzusehen sind und deshalb an öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen dürfen.

Die Entscheidung

Der EuGH weist zur Beantwortung der Vorlagefrage auf den vierten Erwägungsgrund der RL 2004/18/EG hin, in dem ausdrücklich die Möglichkeit erwähnt wird, dass eine Einrichtung des öffentlichen Rechts als Bieter an einem Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge teilnimmt. Zudem erinnert die Große Kammer daran, dass Art. 1 Abs. 8 RL 2004/18/EG öffentliche Einrichtungen ausdrücklich als Wirtschaftsteilnehmer einordnet, weshalb die RL 2004/18/EG öffentliche Stellen nicht von der Teilnahme an Vergabeverfahren ausschließt (Rdnr. 33).

Überdies ergibt sich aus der Rechtsprechung des EuGH, dass jede Person oder Einrichtung als Bieter oder Bewerber auftreten darf, die in Anbetracht der in einer Ausschreibung festgelegten Bedingungen meint, den betreffenden Auftrag selbst oder unter Einsatz von Subunternehmer ausführen zu können, unabhängig von ihrem privat- oder öffentlich-rechtlichen Status und der Frage, ob sie auf dem Markt systematisch tätig ist oder nur gelegentlich auftritt oder sie aus öffentlichen Mitteln subventioniert wird oder nicht (Rdnr. 34).

Wenn und soweit bestimmte Einrichtungen berechtigt sind, Leistungen auf dem Markt gegen Entgelt sei es auch nur gelegentlich anzubieten, können ihnen die Mitgliedstaaten nicht untersagen, an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge teilzunehmen, welche die Erbringung eben dieser Leistungen betreffen (Rdnr. 35).

Dementsprechend erfasst der Begriff Wirtschaftsteilnehmer auch öffentliche Stellen, die sich somit an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen können, wenn und soweit sie berechtigt sind, auf einem Markt Leistungen gegen Entgelt anzubieten (Rdnr. 36).

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung der Großen Kammer führt die bisherige Spruchpraxis des EuGH zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Wettbewerbsteilnahme öffentlicher Einrichtungen konsequent fort. Danach ist es Einrichtungen gestattet, die nicht in erster Linie Gewinnerzielung anstreben, nicht über die Organisationsstruktur eines Unternehmens verfügen und nicht ständig auf dem Markt tätig sind (z.B. Forschungsinstitute, Universitäten), an Vergabeverfahren teilzunehmen (EuGH, Urt. v. 23.12.2009, C-305/08 CoNISMa). Die Mitgliedstaaten können aber auch die Tätigkeiten von Einrichtungen regeln und es ihnen z.B. verwehren, auf dem Markt tätig zu sein (EuGH, Urt. v. 18.12.2014, C-568/13 Data Medical Service). Wenn und soweit diese Einrichtungen jedoch berechtigt sind, bestimmte Leistungen auf dem Markt gegen Entgelt dauernd oder zeitweise anzubieten, so dürfen sie auch an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge teilnehmen.

DVNW_Mitglied [1]

Praxistipp

Öffentliche Unternehmen können regelmäßig an Vergabeverfahren teilnehmen, ganz gleich, ob sie die Leistungen vollständig selbst oder ggf. nur mit Hilfe von Nachunternehmern erbringen können. In der Praxis können insoweit bspw. Fragen der zulässigen (kommunal-)wirtschaftlichen Betätigung des jeweiligen Unternehmens virulent werden. Eine gegen das Vergaberecht verstoßende Wettbewerbsverfälschung und -verzerrung stellt es dar, wenn ein Unternehmen der öffentlichen Hand kraft eines gesetzlichen Verbotes (z.B. § 107 GO NRW) eine für den Wettbewerb relevante Tätigkeit auf einem bestimmten Markt gar nicht aufnehmen darf, dies aber dennoch unternimmt und darin vom öffentlichen Auftraggeber durch die Auftragsvergabe auch noch unterstützt wird (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.8.2008, VII-Verg 43/07).

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Über Holger Schröder [2]

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner [3] in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Herr Schröder ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ständiges Mitglied im gemeinsamen Prüfungsausschuss "Fachanwalt für Vergaberecht" der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg.

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