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Zu den Folgen eines Kalkulationsirrtums (OLG Brandenburg, Urt. v. 25.11.2015 – 4 U 7/14)

EntscheidungZu den Voraussetzungen eines Ersatzanspruchs des Bieters aus § 241 Abs. 2 BGB wegen Verstoßes des Auftraggebers gegen Rücksichtnahmepflichten durch Zuschlag bei rechtlich erheblichem Kalkulationsirrtum im Angebot des Bieters.

Aus dem Inhalt:

§ 241 BGB

Sachverhalt

Die Klägerin hatte in einem Vergabeverfahren über Abbrucharbeiten den Zuschlag auf ihr Angebot erhalten und verfolgte mit ihrer Klage u.a. weitergehende Vergütungsansprüche wegen eines von ihr behaupteten Kalkulationsirrtums in ihrem Angebot. Dieser bezog sich auf zwei Einzelpositionen, die sie preislich jeweils deutlich (unter 50 %) unter dem betreffenden zweitgünstigsten angebotenen Einheitspreis angeboten hatte. Der Gesamtbetrag des Angebots der Klägerin lag ca. 10 % unter dem Gesamtbetrag des zweitgünstigsten Angebots und knapp 6 % unter der Kostenschätzung der Beklagten. Die Beklagte hatte die Klägerin zu einem Gespräch zur Aufklärung des Angebotsinhalts gemäß § 24 VOB/A zur Ausräumung von Zweifeln über die Angemessenheit von Preisen eingeladen betreffend die Titel, in denen die betreffenden Positionen enthalten waren. Zwar bestätigte die Klägerin zunächst diesen Termin, nahm davon aber dann Abstand und bat um Ausschluss aus dem Vergabeverfahren unter Hinweis auf ihr niedriges Angebot, insbesondere unter Bezugnahme u.a. auf die betreffenden Einzelpositionen. Die Beklagte erteilte dann der Klägerin den Zuschlag, woraufhin diese mit den Arbeiten begann.

Die Entscheidung

Das OLG verneinte einen Nachzahlungsanspruch der Klägerin unter Berufung auf die Rechtsprechung des BGH. Ein Bieter könne wegen eines Kalkulationsirrtums vom Auftraggeber nicht verlangen, dass er den Preis anpasse, sondern nur, dass er von der Zuschlagserteilung auf das Angebot insgesamt absehe. Vorliegend sah es jedoch in der Zuschlagserteilung keinen Verstoß des Auftraggebers, der zu einem Schadenersatzanspruch führen würde.

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Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung stützt sich auf die Rechtsprechung des BGH zu den Voraussetzungen einer Schadensersatzpflicht des Auftraggebers durch Zuschlagserteilung im Falle eines Kalkulationsirrtums des Bieters:

1. Keine Schutzwirkung des § 25 Nr. 3 VOB/A 2002 (entspricht § 16 Abs. 6 Nr. 1 VOB/A EG 2012) zugunsten des Bieters

Das OLG Brandenburg hat in seiner Entscheidung nochmals klargestellt, dass nach der ständigen Rechtsprechung des BGH § 25 Nr. 3 VOB/A 2002, wonach auf ein Angebot mit einem unangemessen hohen oder niedrigen Preis der Zuschlag nicht erteilt werden darf, keine Schutzwirkung zu Gunsten des Bieters entfalte und deshalb ein Anspruch des Bieters aus § 241 Absatz 2 BGB i.V.m. § 25 Nr. 3 VOB/A 2002 nicht bestehe, wenn der öffentliche Auftraggeber den Zuschlag auf ein Angebot des Bieters mit einem unangemessen niedrigen Preis erteile.

2. Ersatzanspruch aus § 241 Absatz 2 BGB i.V.m. einem Verstoß des Auftraggebers gegen die allgemeine Rücksichtnahmepflicht

Entsprechende Ansprüche des Bieters könnten sich allenfalls aus § 241 Absatz 2 BGB i.V.m. einem Verstoß des Auftraggebers gegen die allgemeine Rücksichtnahmepflicht gegenüber der Klägerin als einem potenziellen bzw. sodann beauftragten Vertragspartner ergeben. Ein solcher Verstoß liege aber nur vor, wenn zwischen dem Wert der für den Auftraggeber erbrachten Leistung und dessen Gegenleistung eine unbillige Diskrepanz herrsche, indem der Auftraggeber den irrig kalkulierten Preis billigerweise nicht mehr als auch nur im Ansatz äquivalentes Entgelt für die erbrachte Leistung auffassen könne. Hierzu verweist das OLG Brandenburg auf BGH – Urteil vom 11. November 2014 – X ZR 32/14. Dabei komme es vor allem auf den Gesamtpreis des Angebots und nicht auf Einzelpositionen an. Ein entsprechender Verstoß liege nicht erst dann vor, wenn durch den Zuschlag die wirtschaftliche Existenz des Bieters gefährdet sei. Ausreichend sei gemäß BGH – Urteil vom 07. Juli 1998 – X ZR 17/97, wenn der Bieter durch die Vertragsdurchführung in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten geriete. Unter Verweis auf die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 11. November 2014 – X ZR 32/14) führt das OLG Brandenburg weiter aus, dass das gesamte vorvertragliche Verhalten unter Berücksichtigung  aller erheblichen Umstände des Einzelfalls bewertet werden müsse. Als Anknüpfungspunkte kämen dabei die Massivität des Irrtums, das Auftragsvolumen, die drohenden Nachteile und die Gewinnspanne in Betracht.

Vorliegend sah das OLG Brandenburg einen entsprechenden Verstoß als nicht gegeben an. Dies begründete es damit, dass die Abweichung des Gesamtpreises des Angebots zum Gesamtpreis des nächstgünstigsten Angebots bei 10% und die Abweichung von der Kostenschätzung des Auftraggebers sogar unter 10 % liege. Weiter argumentierte das OLG Brandenburg im entschiedenen Fall, das Auftragsvolumen sei  im Vergleich zu entsprechenden Losen bei anderen öffentlich ausgeschriebenen Bauvorhaben nach der Erfahrung des Senates nicht groß und der mögliche Verlust der Klägerin bleibe, auch in absoluten Zahlen betrachtet, für einen Gewerbebetrieb relativ überschaubar. Auftragsbedingte wirtschaftliche Schwierigkeiten seien nicht vorgetragen. Weiter berücksichtigte das OLG Brandenburg auch, dass die Auftragnehmerin die Auftragsausführung nicht ablehnte.

3. Kein Anspruch auf Anpassung des Preises

Das OLG stellt in seiner Entscheidung klar, dass der Bieter vom Auftraggeber keinen „in Teilen anderen Zuschlag“ verlangen könne, also keine Anpassung des Preises, sondern allenfalls ein Absehen von der Zuschlagserteilung.

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Praxistipp

Die Entscheidung stellt prägnant die Rechtsprechung zu den Folgen eines beiderseitigen Kalkulationsirrtums in Vergabeverfahren dar. Richtigerweise führt das OLG in seiner Subsumtion aus, dass für die Beurteilung der Angemessenheit von Preisen jeweils auf den Gesamtpreis und nicht auf Einzelpositionen abzustellen ist.

Die Entscheidung kann in der Entscheidungsdatenbank Berlin-Brandenburg abgerufen werden (OLG Brandenburg, Urteil vom 25.11.2015, 4 U 7/14 [3]).

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Über Anette Prasser [4]

Anette Prasser ist Rechtsanwältin in der Kanzlei Jakoby Rechtsanwälte [5] und schwerpunktmäßig im Vergaberecht tätig. Sie berät seit vielen Jahren Vergabestellen und Bieter, insbesondere im Bereich Dienstleistungen und IT. Ein weiterer Tätigkeitsbereich von Anette Prasser ist das Arbeitsrecht, wo sie auch die öffentliche Hand berät und vertritt.

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