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EuGH gegen Formstrenge bei Eignungsleihe (EuGH, Urt. v. 14.1.2016 – Rs. C-234/14 – ‘Ostas Celtnieks’)

Entscheidung EUBieter, die sich zum Nachweis ihrer Eignung auf die Kapazitäten anderer Unternehmen stützen (Eignungsleihe), müssen vor dem Zuschlag z.B. weder einen Kooperationsvertrag mit diesen Unternehmen abschließen noch eine gemeinsame Gesellschaft gründen. Solche einschränkenden (Form-)Vorgaben in den Vergabeunterlagen zum Nachweis bei der Eignungsleihe verstoßen gegen europäisches Vergaberecht, so der EuGH.

Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 3 RL 2004/18/EG (bzw. Art. 63 Abs. 1 RL 2014/24/EU); § 6 EG Abs. 8 VOB/A (bzw. § 6d EU Abs. 1 VOB/A 2016)

Leitsatz

„Die Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 2 der RL 2004/18/EG sind dahin auszulegen, dass es ihnen zuwiderläuft, wenn ein öffentlicher Auftraggeber im Rahmen der Vergabeunterlagen […] einen Bieter, der sich auf die Kapazitäten anderer Unternehmen stützt, dazu verpflichten kann, vor der Erteilung des Zuschlags mit diesen Unternehmen einen Kooperationsvertrag abzuschließen oder eine Personengesellschaft zu gründen.“ (Rdnr. 35)

Sachverhalt

Das lettische Vorabentscheidungsersuchen betraf ein Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Bauauftrages. In den Vergabeunterlagen war u.a. geregelt:

Für den Fall, dass sich ein Bieter auf Kapazitäten anderer Unternehmen stützt, muss er angeben, um welche Unternehmen es sich handelt, und den Nachweis erbringen, dass er über die erforderlichen Mittel verfügt. Falls dieser Bieter den Zuschlag erhalten soll, müssen er und die genannten Unternehmen vor der Erteilung des Zuschlags einen Kooperationsvertrag abschließen und diesen dem öffentlichen Auftraggeber übermitteln. Dieser Vertrag muss Folgendes enthalten:

  1. Eine Klausel, nach der jeder einzeln und gesamtschuldnerisch für die Ausführung des fraglichen Auftrags haftet;
  2. die Angabe des Hauptverantwortlichen, der berechtigt ist, den Vergabevertrag zu unterzeichnen und die Ausführung des Auftrags zu leiten;
  3. eine Beschreibung des Teils der Arbeiten, die die Beteiligten jeweils auszuführen haben;
  4. die Angabe des Umfangs der Arbeiten, die die Beteiligten jeweils auszuführen haben in Prozent.

Der Abschluss eines Kooperationsvertrages kann durch die Gründung einer Personengesellschaft ersetzt werden.“ (Rdnr. 11)

Ein Bauunternehmer (Ostas Celtnieks) hielt die vorstehenden Vorgaben für vergaberechtswidrig. Die von ihm angerufenen Nachprüfungsbehörden wiesen sein Vorbringen zurück, weil der öffentliche Auftraggeber mit den vorstehenden Regelungen nur klargestellt habe, auf welche Art und Weise der Bieter nachzuweisen habe, dass er über die für die erfolgreiche Ausführung des fraglichen Auftrages erforderlichen Mittel verfüge. Außerdem seien die Vorgaben notwendig, um das Risiko einer Nichterfüllung des fraglichen Auftrages zu verringern. Der zuletzt befasste richterliche Spruchkörper legte den Rechtsstreit schließlich dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

Die Entscheidung

Der EuGH macht deutlich, dass das Vergaberecht einen möglichst umfassenden Wettbewerb bezweckt. Hierzu zählt es auch, die Teilnahme kleiner und mittlerer Unternehmen zu erleichtern (Rdnr. 24). Deshalb erlaubt das Vergaberecht, dass sich ein Bieter zum Nachweis der Leistungsfähigkeit auf die Kapazitäten anderer Unternehmen berufen kann.

Ist dies der Fall, so hat der Bieter nachzuweisen, dass er tatsächlich über die diesen Unternehmen zustehenden Mittel verfügt, die er nicht selbst hat und die zur Ausführung des Auftrages erforderlich sind (Rdnr. 25).

Das Vergaberecht erlaubt es aber nicht bestimmte Nachweis- bzw. Beweismittel von vornherein auszuschließen (Rdnr. 27). Folglich kann ein Bieter (1.) den rechtlichen Charakter der Verbindung zwischen ihm und den in Anspruch genommenen Unternehmen, und (2.) die Art und Weise des Nachweises des Bestehens dieser Verbindung frei wählen (Rdnr. 28).

Dementsprechend ist die Vorlage einer Zusage anderer Unternehmen, dem Bieter die für die Auftragsausführung erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen, nur ein Beispiel für einen annehmbaren Nachweis, dass er tatsächlich über diese Mittel verfügen wird. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass der Bieter das Bestehen seiner Verbindungen zu den anderen Unternehmen, auf deren Kapazitäten er sich für die Auftragsausführung stützt, auf andere Weise dartut (Rdnr. 29).

Aus diesen Gründen war der auf zwei Möglichkeiten (Kooperationsvertrag und Gesellschaftsgründung) beschränkte Nachweis in den Ausschreibungsunterlagen vergaberechtswidrig, weil den Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 2 der RL 2004/18/EG jede praktische Wirksamkeit genommen wird (Rdnr. 33).

Ihre rechtliche Würdigung

Der Art. 63 Abs. 1 RL 2014/24/EU und der noch nicht in Kraft getretene § 6d EU Abs. 1 VOB/A 2016 (bzw. § 47 Abs. 1 VgV-E) treffen zur Eignungsleihe detailreichere Vorgaben als Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 2 der RL 2004/18/EG. Die Entscheidung des EuGH ist vor dem geltenden und künftigen Regelungshintergrund aber in gleicher Weise nachvollziehbar und sinnvoll. Sie ist plausibel, weil bei der Eignungsleihe kein vernünftiger Sachgrund ersichtlich ist, den Nachweis der tatsächlichen Verfügbarkeit des zwecks Eignung beanspruchten Unternehmens auf bestimmte Formen einzuschränken, wie bspw. den Abschluss eines Kooperationsvertrages oder eine Gesellschaftsgründung. Entscheidend ist, dass dem Bieter das in Bezug genommene Unternehmen tatsächlich zur Verfügung steht, nicht aber auf welche Weise. Sinnvoll ist die Entscheidung, weil sie den Vergabewettbewerb nicht einschränkt und die unternehmerische Freiheit der Unternehmen respektiert. Die Interessen der öffentlichen Auftraggeber bleiben gewahrt, weil das Vergaberecht nicht per se vermutet, dass eine tatsächliche (Nicht-)Verfügbarkeit infolge der (Nicht-)Vorlage von Leistungsfähigkeitsnachweisen besteht, sondern ohnehin eine aktive Prüfung der Vergabestellen verlangt.

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Praxistipp

Die Möglichkeit der Eignungsleihe besteht nur hinsichtlich der erforderlichen wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit sowie der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit. Die Eignungsleihe ist zudem von der Nachunternehmer-Vergabe zu unterscheiden. Bei der Vergabe von Unteraufträgen wird ein Teil des öffentlichen Auftrages durch den Bieter auf dritte Personen übertragen, die dann diesen Auftragsteil ausführen. Bei der Eignungsleihe hingegen stützt sich der Bieter für die Eignungsprüfung auf die Kapazitäten eines Dritten, ohne dass er diesen zwingend mit der Ausführung eines Auftragsteils beauftragen muss. Die Ausleihe von Leistungsfähigkeiten muss folglich nicht in einer teilweisen Übernahme des Auftrages bestehen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.6.2014 VII-Verg 38/13).

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Über Holger Schröder [2]

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner [3] in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Herr Schröder ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ständiges Mitglied im gemeinsamen Prüfungsausschuss "Fachanwalt für Vergaberecht" der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg.

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