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VK Rheinland Pfalz zum Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers und zu Bemessung der Rüstzeit (VK Rheinland, Beschl. v. 29.02.2016 – VK 2 – 36/15)

Entscheidung3,5 Monate Rüstzeit sind für einen Abfallsammelauftrag ausreichend. Die öffentliche Hand kann in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit den Beschaffungsgegenstand frei bestimmen. Sie ist nicht verpflichtet, legal erworbene Wettbewerbsvorteile zu egalisieren oder für gleiche Ausgangsbedingungen für alle Bieter zu sorgen.

Sachverhalt

Ein Landkreis schrieb die Sammlung, Beförderung und Umladung von Bioabfällen aus. Vorgabe war unter anderem, dass der Bieter eine Umladestelle zu benennen hatte, die maximal 30 km von der nächstgelegenen Landkreisgrenze liegen durfte.

Hinsichtlich der einzusetzenden Fahrzeuge forderte der Landkreis die Einhaltung der Abgasnorm EURO 5. Außerdem mussten die Fahrzeuge mit einem Identifikationssystem zur Behälteridentifikation und einem GPS-System ausgestattet sein. Weitere Vorgaben an die Fahrzeugtechnik enthielt die Ausschreibung nicht.

Leistungsbeginn sollte der 01.07.2016 sein. Die Bindefrist war bis zum 15.03.2016 bemessen.

Die Antragstellerin rügte, dass die Rüstzeit von 3,5 Monaten nicht ausreiche, da in dieser Zeit keine neuen Fahrzeuge zu beschaffen seien und auch ein Mietmarkt für solche Fahrzeuge nicht bestehe. Sie sei daher gehindert, ein Angebot abzugeben. Für die Beschaffung der von der Antragstellerin geplanten Seitenladertechnik mit Wechselbehältersystem seien mindestens sechs Monate Rüstzeit notwendig.

Weiterhin rügte die Antragstellerin, dass nur eine einzige Umladestelle für den Umschlag der Bioabfälle zugelassen war. Es sei in der zur Verfügung stehenden Rüstzeit nicht möglich, eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zu erlangen. Wenn mehrere Umladestellen zugelassen würden, sei es ihr hingegen möglich, entsprechende baurechtliche Genehmigungen zu erlangen. Bei einem Splitting der Mengen auf mehrere Umladestellen würden nämlich die Mengengrenzen für eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung nicht erreicht.

Zudem rügte die Antragstellerin, dass durch die vorliegende Konzeption der Ausschreibung der bisherige Auftragnehmer bevorzugt werde. Die Ausschreibung sei auf ihn zugeschnitten und daher rechtswidrig.

Die für den Zuschlag vorgesehene Beigeladene ist die bisherige Auftragsinhaberin und verfügt über eine Umladestelle im Kreisgebiet.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurück. Nach Auffassung der Vergabekammer war die Rüstzeit ausreichend bemessen. Auch sei der Antragsgegner nicht verpflichtet gewesen, mehr als eine Umladestelle für den Umschlag der Bioabfälle zuzulassen.

Die Vergabekammer stellt bezüglich der Rüstzeit zunächst klar, dass diese keine vergaberechtliche Fristvorgabe im Sinne des § 12 Abs. 1 VOL/A-EG ist. Die Angemessenheit der Rüstzeit sei dennoch einer vergaberechtlichen Nachprüfung zugänglich, da eine zu kurz bemessene Rüstzeit geeignet sein könne, den Wettbewerb zu verengen oder dem Bieter ohne Sachgrund dazu zwingen könnte, Vorbereitungsmaßnahmen schon vor dem Zuschlag zu treffen. Diese wären dann im Falle des Unterliegens vertan. Zwar regele das Vergaberecht nicht, was und wann ein öffentlicher Auftraggeber beschaffen will. Vielmehr regele das Vergaberecht nur die Art und Weise der Beschaffung. Dabei sei dann aber wieder das vergaberechtliche Regelwerk zu beachten.

In der Sache selbst hält die Vergabekammer die Rüstzeit von 3,5 Monaten für ausreichend bemessen. Die Angemessenheit der Rüstzeit sei dabei in jedem Einzelfall nach den Besonderheiten des konkreten Beschaffungsgegenstands zu prüfen. Sodann stellt die Vergabekammer unter Verweis auf OLG Koblenz (Beschl. v. 13.01.2016, Verg 1/16) klar, dass der Antragsgegner nicht verpflichtet war, legal erworbene Wettbewerbsvorteile des bisherigen Auftragnehmers zu egalisieren. Die Schaffung gleicher Auftragsbedingungen fordere das Vergaberecht nicht. Dabei sei auch zu beachten, dass es bei der Vergabe öffentlicher Aufträge primär um die Erfüllung öffentlicher Aufgaben gehe und der Beschaffungsvorgang daher insoweit nur eine dienende Funktion hat.

Die Antragstellerin hat insbesondere in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, sie könne den Auftrag sinnvoll nur mit Seitenladern mit Wechselbehältern ausführen. Dies – so die Vergabekammer – habe der Antragsgegner aber nicht gefordert. Zulässig waren auch konventionelle Hecklader oder Gebrauchtfahrzeuge. Aufgrund einer eigenen Recherche der Vergabekammer ist diese zu dem Ergebnis gelangt, dass es einen nennenswerten Mietmarkt für Heckladefahrzeuge mit Identtechnik gibt, der innerhalb von ca. zwei Wochen Abfallsammelfahrzeuge für eine Kurz- oder Langzeitmiete zur Verfügung stellen kann. Damit könnten nur noch die unternehmerische Entscheidung der Antragstellerin, Seitenlader einzusetzen, die Rüge der Rüstzeit rechtfertigen. Unter Verweis auf das OLG Düsseldorf (Beschl. v 25.06.2014) stellte die Vergabekammer jedoch klar, dass derartige Interna der Antragstellerin vergaberechtlich keine Rolle spielen dürfen.

Auch die Vorgabe einer einzigen Umladestelle für den Umschlag der Bioabfälle hält die Vergabekammer für gerechtfertigt. Die mit der Vorgabe einer einzigen Umladestelle verbundene Wettbewerbseinschränkung sei hinzunehmen, wenn sie verhältnismäßig ist. Das sei der Fall, wenn die Entscheidung für eine einzige Umladestelle sachlich begründet ist, für die Erreichung des Sachziels geeignet und die damit verbundene Ungleichbehandlung auf das notwendige Maß beschränkt ist.

Das sei vorliegend der Fall, da es für die zeitgleich in einem anderen Los ausgeschrieben Sammelleistungen einer eindeutigen Schnittstelle bedurfte und auch im Übrigen Gründe der Disposition die Festlegung einer einzigen Umladestelle erforderten. Zudem verfüge die Antragstellerin selbst über eine Umladestelle in dem vorgegebenen Radius, die zwar weiter entfernt liege als die der Beigeladenen; dies sei aber vergaberechtlich hinzunehmen. Darüber hinaus ergebe sich die Genehmigungspflicht nach dem BImSchG aus der Menge der Bioabfälle. Diese bestimmten aber gerade den Beschaffungsgegenstand, den der Antragsgegner insoweit gar nicht beeinflussen könne. Schließlich sei es rechtlich nicht unmöglich, innerhalb der Rüstzeit eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zu erlangen. Nach § 10 Abs. 6a BImSchG sei die Genehmigungsbehörde verpflichtet, innerhalb von drei Monaten über einen vollständigen Genehmigungsantrag zu entscheiden. Nach § 8a BImSchG könnten zudem auch vorläufige Maßnahmen zugelassen werden.

Die Vergabekammer kommt daher insgesamt zu dem Ergebnis, dass die Rüstzeit angemessen war und die Ausschreibung den Wettbewerb nicht unzulässig verengt hat und die Ausschreibung daher insbesondere nicht auf die Beigeladene zugeschnitten war.

IT_VT [1]

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung gibt wertvolle Hinweise auf das Leistungsbestimmungsrecht der öffentlichen Auftraggeber und ist ein weiterer wertvoller Beitrag für den zu erkennenden Trend, den öffentlichen Auftraggebern bei der Festlegung des Beschaffungsgegenstandes mehr Spielraum zu geben.

Erfreulich ist auch, dass die Vergabekammer klarstellt, dass das Vergaberecht kein Selbstzweck ist und nur dienende Funktion hat. Aufgabe der Vergabestellen ist eine optimale Beschaffung. Was jeweils das optimale ist, kann nur sie selbst beurteilen. Daher ist die öffentliche Hand bei der Beschaffung nicht verpflichtet, für maximalen Wettbewerb zu sorgen oder legal erworbene Wettbewerbsvorteile auszugleichen.

Die Ausführungen zur Rüstzeit müssen hingegen sorgfältig gewogen werden und sollten insbesondere nicht dazu verleiten, „auf den letzten Drücker“ auszuschreiben. Denn die Vergabekammer betont, dass die Frage der Angemessenheit der Rüstzeit immer nur im konkreten Einzelfall beantwortet werden kann. Entscheidend war zudem, dass die Antragstellerin ihre Rüge auf den Einsatz einer bestimmten Sammeltechnik begründet hat. Mit diesem Vortrag wurde sie zu Recht nicht gehört. Es kann aber nicht der allgemeine Schluss gezogen werden, für die Ausschreibung von Abfallsammelleistungen seine 3,5 Monate immer ausreichend.

Im Übrigen gilt der alte Grundsatz, dass der größte Feind der Projektarbeit nicht die Schwierigkeit und Komplexität ist, sondern die Zeitknappheit. Daher bringt eine rechtzeitige Ausschreibung nur Vorteile. Denn eines ist auch klar: Je mehr Zeit den Bietern zur Vorbereitung zur Verfügung steht, desto günstiger können sie kalkulieren. Wenig Zeit kostet nun einmal mehr Geld.

Anmerkung des Autors
Der Autor hat in diesem Nachprüfungsverfahren den Antragsgegner vertreten.
Interessierten stellen wir die Entscheidung der Vergabekammer auf Anfrage gerne zur Verfügung.

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Über Martin Adams, Mag. rer. publ. [2]

Herr Martin Adams, Mag. rer. publ. ist Rechtsanwalt und Inhaber der Kanzlei _teamiur_Rechtsanwälte [3], Mannheim. Herr Adams berät bundesweit öffentliche Auftraggeber bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren, insbesondere im Bereich der Abfallwirtschaft. Darüber hinaus veröffentlicht er regelmäßig Beiträge in entsprechenden Fachmedien und tritt als Referent in Fachseminaren auf.

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