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Die verschiedenen Facetten der Angebotsprüfung und -wertung in einem Fall (VK Bund, Beschl. v. 07.06.2016 – VK 2-37/16)

EntscheidungZur Wiederholung der Angebotswertung im Nachprüfungsverfahren sowie zu der Frage, wann ein Unterkostenangebot vorliegt. Die Wiederholung einer als fehlerhaft erkannten Angebotswertung ist im Nachprüfungsverfahren noch möglich und ein Unterkostenangebot liegt bei weniger als 10% Preisabstand nicht vor.

§ 19 EG Abs. 6 Satz 2 VOL/A 2009

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb europaweit einen Auftrag für die Belieferung von Mehrfamilienhäusern mit Nutzwärme durch Errichtung und Betrieb eines Wärmeverbundnetzes für die Dauer von 20 Jahren aus. D.h. der erfolgreiche Auftragnehmer sollte letztlich ein Blockheizkraftwerk errichten und betreiben und dafür monatlich einen bestimmten Wärmepreis erhalten. Zuschlagskriterien waren der Preis (80%) und die Qualität der Nutzwärme (20%). Der Preis setzte sich aus verschiedenen einzelnen Kostenpositionen zusammen. Die Qualität der Wärme bemaß sich nach der Rechenformel eines Energieeffizienzverbands. Zugleich war aber auch eine bestimmte Mindestqualität vorgeschrieben.

Ein übergangener Bieter klagte gegen die beabsichtigte Vergabe. Er hatte zwar das qualitativ beste Angebot abgegeben. In preislicher Hinsicht lag sein Angebot jedoch nur auf Platz 3, so dass er insgesamt nicht der Bestplatzierte war. Er trug u.a. vor, dass die Preisberechnung fehlerhaft sei. Der Auftraggeber wiederholte daraufhin – diesmal fehlerfrei – während des Nachprüfungsverfahrens die Wertung in Bezug auf das Preiskriterium. Die Rangfolge der Bieter änderte sich dadurch nicht. Der klagende Bieter trug sodann weiter vor, das Angebot des bestplatzierten Bieters sei ein Unterkostenangebot und könne die behauptete Qualitätsstufe praktisch gar nicht erreichen.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag abgelehnt. Es sei vergaberechtlich zulässig gewesen, dass die Vergabestelle die eigene Wertungsentscheidung auch im Stadium des Nachprüfungsverfahrens noch überprüft und korrigiert hat. Das müsse allein schon aus Gründen der Verfahrensökonomie möglich sein. Insoweit habe die Vergabestelle also in vergaberechtskonformer Weise der Rüge abgeholfen. Der Nachprüfungsantrag könne in dieser Hinsicht also keinen Erfolg mehr haben.

Zu dem Vorwurf des Unterkostenangebots hat die Vergabekammer erklärt, dass insoweit schon keine bieterschützende Vorschrift verletzt sei. Nur in Ausnahmefällen, in denen ein Unterkostenangebot etwa in Marktverdrängungsabsicht abgegeben würde, könnten dadurch Rechte der anderen Bieter verletzt sein. Für eine Marktverdrängungsabsicht bestünden aber keine Anhaltspunkte. Darüber hinaus liege auch tatbestandlich schon kein ungewöhnlich niedriges Angebot vor, da der Preisabstand zum nächstplatzierten Angebot unter 10% liege. Allgemein seien 10% insoweit als Interventionsschwelle anzusehen.

Hinsichtlich der Frage, ob die vom bestplatzierten Bieter angebotene Qualität technisch erreichbar ist, hatte der Auftraggeber einen Sachverständigen beauftragt, dessen Ausführungen die Vergabekammer in der mündlichen Verhandlung Glauben schenkte, insbesondere auch deshalb, weil der klagende Bieter dem Sachverständigen nicht substantiiert zu widersprechen vermochte.

Rechtliche Würdigung

Die Vergabekammer hat zutreffend eine Korrektur der fehlerhaften Wertung zugelassen. Dass diese am Ergebnis nichts geändert hat, war hier wohl Zufall – ist letztlich aber auch mathematisch nachvollziehbar.

Interessant sind die Aussagen der Vergabekammer zu dem seit einiger Zeit immer wieder heiß diskutierten Thema der Aufklärung ungewöhnlich niedriger Angebote. Die Rechtsprechung entscheidet noch uneinheitlich, wo die sogenannte Aufgreifschwelle liegt, ab der der Angebotspreis aufzuklären ist. Die Aufgreifschwelle wird teilweise schon bei 10%, teilweise erst bei 20% Preisabstand zum nächstliegenden Angebot verortet. Einige Vergabekammern möchten stattdessen den Einzelfall betrachten oder lassen es sogar zu, dass der Auftraggeber die Aufgreifschwelle selbst festlegt. Eine höchstrichterliche Klärung wäre hier sicher wünschenswert, zumal es auch gerichtliche Entscheidungen gibt, die eine Aufklärung des Angebotspreises gar für unzulässig halten, wenn die Aufgreifschwelle nicht erreicht ist. Da hier noch nicht einmal 10% Preisabstand gegeben waren, dürfte die Vergabekammer aber in jedem Fall richtig gelegen haben.

Die Einschaltung von externen Sachverständigen ist bei technisch komplexen Fragen häufig unumgänglich und hat sich auch hier ausgezahlt. Mehr kann man von einer Vergabestelle auch nicht ernsthaft verlangen, so dass die Entscheidung auch insoweit überzeugt.

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Praxistipp

Der Umgang mit ungewöhnlich niedrigen Angeboten ist weder für Auftraggeber noch für Bieter einfach. Öffentliche Auftraggeber sollten klären, welche Aufgreifschwelle die für sie zuständige Vergabekammer vertritt, um möglichst nachprüfungsfest zu agieren. Bieter, die in eine Prüfung wegen ungewöhnlich niedrigem Angebot geraten (häufig auch Auskömmlichkeitsprüfung genannt), sollten dies ernst nehmen. Sie trifft eine Mitwirkungsobliegenheit. Beantworten sie die Aufklärungsfragen des Auftraggebers nicht oder nur unzureichend, führt bereits das zum Ausschluss.

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Über Dr. Michael Sitsen

Dr. Michael Sitsen ist Rechtsanwalt bei Orth Kluth Rechtsanwälte in Düsseldorf und Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Er berät und begleitet seit vielen Jahren Auftraggeber und Bieter bei Ausschreibungen aller Art. Neben dem Vergaberecht gehört auch das Beihilfenrecht zu seinen Beratungsschwerpunkten. Er hält Schulungen zum Vergaberecht, u.a. für den Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME), und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen. Vor seiner anwaltlichen Tätigkeit war er mehrere Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter des bekannten Vergaberechtlers Prof. Dr. Jost Pietzcker in Bonn.

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