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Die elektronische Bereitstellung von Vergabeunterlagen – vier Fragen (Teil 2)

Seit dem 18. April 2016 müssen Auftraggeber grundsätzlich schon zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung die Vergabeunterlagen vollständig elektronisch zum Abruf bereitstellen. Ausnahmeregelungen, die insbesondere technische Hindernisse betreffen, dürften für die breite Masse der Vergabeverfahren nicht relevant sein. Doch was bedeutet diese Pflicht im Einzelnen und wie weit reicht sie tatsächlich? Müssen in jedem Fall eine vollständige Leistungsbeschreibung, der Vertrag oder die Bewertungsmatrix für die Angebotsauswertung online gestellt werden? Ein Beitrag in drei Teilen.

In dem ersten Teil [1] wurden die Fragen untersucht, was genau die vollständige elektronische Verfügbarkeit erfordert und etwaige Ausnahmen untersucht.

3. Was gilt im Übrigen im Anwendungsbereich der VOB/A und der VgV, insbesondere in zweistufigen Verfahren? Wie weit reicht die Pflicht zur Bereitstellung: muss zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung immer schon der Vertrag und die vollständige Leistungsbeschreibung bereitgestellt werden?

Die Frage, wann Vergabeunterlagen zum Download bereit gestellt werden müssen und mit welchem Inhalt, ist bei genauerer Betrachtung im Übrigen weitaus weniger eindeutig geregelt, als man vermuten sollte. Festzustellen ist insbesondere, dass die Frage des Zeitpunkts und des Inhalts der Vergabeunterlagen in zweistufigen Verfahren allem Anschein nach voneinander zu trennen sind – wobei die Bestimmungen der VOB/A, der VgV und der SektVO in diesem Punkt leider unterschiedlich ausgestaltet sind.

a. Regelungen des zweiten Abschnitts der VOB/A

Liest man § 12a EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A, scheint die Welt noch klar: die Vergabeunterlagen müssen zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung zum Download bereit gestellt werden. Die Vorschrift verweist dabei auf Bekanntmachungen gemäß § 12 EU Abs. 3 VOB/A, der die grundsätzliche Pflicht zur Auftragsbekanntmachung für „alle Arten der Vergabe“ statuiert, ohne hier zwischen ein – oder zweistufigen Verfahren zu unterscheiden.

Doch § 12a EU Abs.1 Nr. 3 Satz 2 VOB/A regelt speziell für zweistufige Verfahren, dass die ausgewählten Bewerber in der Aufforderung zur Angebotsabgabe einen Verweis auf die elektronische Adresse erhalten, über die die Vergabeunterlagen zur Verfügung gestellt werden. Demnach sieht die Vorschrift nicht nur bei einer Vorinformation zum Wettbewerb die Mitteilung der Internetadresse an einen begrenzten Kreis von Wettbewerbern vor, sondern auch bei zweistufigen Verfahren. Diese Regelung entspricht Art. 54 Abs. 1, 2 Richtlinie 2014/24/EU. Es scheint wenig überzeugend, dass man den Auftraggeber hier dazu verpflichten wollte, den ausgewählten Bewerbern dieselben Vergabeunterlagen, die sie bereits aus dem Teilnahmewettbewerb kennen, noch einmal zum Abruf bereit zu stellen.

Sinnvoll erscheinen daher nur zwei Auslegungsmöglichkeiten des § 12a EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A:

„Vergabeunterlagen“ nur bei Aufforderung zur Abgabe eines Angebots?

Die erste Möglichkeit wäre, § 12a EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A so auszulegen, dass diese Norm für zweistufige Verfahren eine vorrangige Spezialvorschrift sein soll und die Vergabeunterlagen in diesen Verfahren daher noch nicht bereits zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung bereit gestellt werden müssen. Vergabeunterlagen wären demnach nur solche Unterlagen, welche die Anforderungen an die Angebotsabgabe betreffen, nicht aber die Vorgaben an den vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb. Zu dieser Auslegung würde die Definition des Begriffs der „Vergabeunterlagen“ in § 8 EU VOB/A passen. Es heisst dort ins Absatz 1:

Die Vergabeunterlagen bestehen aus

1. dem Anschreiben (Aufforderung zur Angebotsabgabe), gegebenenfalls Teilnahmebedingungen (Absatz 2) und

2. den Vertragsunterlagen (§ 8a EU und §§ 7 EU bis 7c EU).“

Anders als § 29 Abs.1 VgV benennt die Vorschrift als Inhalt des Anschreibens lediglich die Aufforderung zur Angebotsabgabe, nicht aber die Aufforderung zur Abgabe eines Teilnahmeantrags. Auch im weiteren Text bezieht sich § 8 EU VOB/A lediglich auf „Bieter“, nicht auf „Bewerber“.

Allerdings würde man bei einer so weit reichenden Ausnahme von dem eindeutig formulierten Grundsatz eine entsprechende Erläuterung oder zumindest Erwähnung in den Erwägungsgründen der zugrunde liegenden Vergaberichtlinie erwarten – daran fehlt es aber. Ein solches Verständnis scheitert überdies auch aus rein praktischen Gründen: die Standardformulare für Auftragsbekanntmachungen sehen unter Ziffer I.3 zwingend die Angabe einer Internetadresse, unter der die Vergabeunterlagen abgerufen werden können, vor, ohne zwischen verschiedenen Verfahrensarten zu unterscheiden. Die erste, denkbare Auslegungsmöglichkeit wäre daher schon praktisch nicht umsetzbar.

Vergabeunterlagen mit unterschiedlichen Inhalten?

Die zweite Möglichkeit wäre, von unterschiedlichen Inhalten der Vergabeunterlagen im Teilnahmewettbewerb einerseits und zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe andererseits auszugehen. In diesem Fall wäre § 8 EU Abs. 1 VOB/A allein als Konkretisierung derjenigen Vergabeunterlagen zu verstehen, die zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe bereitgestellt werden müssen. Offen bliebe dabei allerdings die Frage, in welchem Umfang sich die Vergabeunterlagen zum Zeitpunkt des Teilnahmewettbewerbs von diesen unterscheiden dürfen.

b. Zwischenfazit

Die Vorschriften im Rahmen der VOB/A legen eine Auslegung nahe, derzufolge sich bei zweistufigen Verfahren der Inhalt der Vergabeunterlagen zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung einerseits und zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe andererseits unterscheiden kann. Welchen genauen Inhalt diese Unterlagen jedoch – diese Auslegung unterstellt – zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung mindestens haben müssen, ergibt sich aus diesen Vorschriften nicht.

Vor dem Hintergrund, dass der zweite Abschnitt der VOB/A und die VgV dieselbe Vergaberichtlinie umsetzen, liegt es nahe, die dortigen Regelungen vergleichend heranzuziehen.

c. Regelungen der VgV

Die VgV differenziert in § 41 Abs. 1 nicht zwischen verschiedenen Verfahrensarten, sondern ordnet ohne jede Einschränkung die Bereitstellung der Vergabeunterlagen zum Download zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung an.

Keine differenzierte Bereitstellungspflicht

Zwar regelt auch § 52 VgV die Anforderungen einer Aufforderung zur Angebotsabgabe in zweistufigen Verfahren separat und benennt in Absatz 2 die Mindestinhalte dieser Aufforderung. Anders als § 12 aEU Abs. 1 Nr.3 VOB/A und Art. 54 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU fordert die Vorschrift dabei jedoch nicht ausdrücklich die Angabe einer Internetadresse, unter der die Vergabeunterlagen zum Download bereit gestellt werden. Dies ergibt sich lediglich mittelbar aus der Aufzählung in § 52 Abs. 2 VgV, der in Nr. 1 einen Hinweis auf die veröffentlichte Auftragsbekanntmachung fordert – welche ja die entsprechende Internetadresse bereits enthalten muss. Die Internetadresse, unter der die Vergabeunterlagen abrufbar sind, ist damit zwar im Teilnahmewettbewerb und bei Aufforderung zur Angebotsabgabe dieselbe. Daraus folgt aber noch nicht, dass auch die unter dieser Adresse abrufbaren Vergabeunterlagen in beiden Stadien des Vergabeverfahrens zwangsläufig denselben Inhalt haben müssen.

Gegen identische Unterlagen spricht schon die in § 29 Abs. 1 VgV vorgesehene Definition der „Vergabeunterlagen“. Sie beinhaltet sowohl die Aufforderung zur Abgabe eines Teilnahmeantrags als auch die Aufforderung zur Angebotsabgabe – die ja nicht gleichzeitig ausgesprochen werden. Der Vorschrift zufolge umfassen die Vergabeunterlagen

„alle Angaben, die erforderlich sind, um dem Bewerber oder Bieter eine Entscheidung zur Teilnahme am Vergabeverfahren zu ermöglichen. Sie bestehen in der Regel aus

1. dem Anschreiben, insbesondere der Aufforderung zur Abgabe von Teilnahmeanträgen oder Angeboten oder Begleitschreiben für die Abgabe der angeforderten Unterlagen,

2. der Beschreibung der Einzelheiten der Durchführung des Verfahrens (Bewerbungsbedingungen), einschließlich der Angabe der Eignungs- und Zuschlagskriterien, sofern nicht bereits in der Auftragsbekanntmachung genannt, und

3. den Vertragsunterlagen, die aus der Leistungsbeschreibung und den Ver-tragsbedingungen bestehen“.

Diese Definition liest sich zunächst einmal so, als ob sich in zweistufigen Verfahren der Inhalt der Vergabeunterlagen im Teilnahmewettbewerb und zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe unterscheiden kann, jedoch nur in Bezug auf Nr.1, nämlich das Anschreiben, welches zunächst die Aufforderung zur Abgabe eines Teilnahmeantrags und später dann zur Abgabe eines Angebots enthalten muss. Nur diese Unterlagen werden als Alternativen genannt, die übrigen Unterlagen in Nr. 2 und Nr. 3 werden kumulativ genannt.

Regelbeispiel nur für Regelverfahren?

Allerdings ist die Aufzählung in Satz 2 der Vorschrift ausdrücklich nur im Sinne eines Regelbeispiels zu verstehen und impliziert damit, dass sie sich gerade nicht auf sämtliche Verfahren bezieht. Nachdem die zweistufigen Verfahren – mit Ausnahme des nicht offenen Verfahrens – jedoch keine Regelverfahren sind, sondern nur in konkret geregelten Ausnahmefällen zulässig sind, dürfte diese Aufzählung wohl nicht ohne Weiteres als Vorgabe auch für diese, nur ausnahmsweise überhaupt zulässigen Verfahren gelten.

Das wäre auch sachgerecht: denn nur im offenen oder im nicht offenen Verfahren stehen die Einzelheiten der zu erbringenden Leistung sowie die Vertragsbedingungen bereits von Anfang an fest. Der Wirtschaftsteilnehmer wird diese – wenn auch ggf. erst in einem späteren Verfahrensstadium – zwingend akzeptieren müssen. Es ist insoweit nachvollziehbar, dass er bereits bei der Entscheidung über die Teilnahme an dem Verfahren prüfen können muss, ob diese Vorgaben (von denen er später nicht abweichen darf) akzeptabel sind. Es wird ihm so erspart, unnötig eigene Ressourcen oder Partner für eine aussichtslose Bewerbung zu binden. Letztlich muss aber auch hier gelten: die Bekanntmachungspflicht dient der Verfahrenstransparenz. Art und Umfang der bereit zu stellenden Unterlagen richten sich nach dem Umfang des Erforderlichen im Einzelfall.

Erfordernisse bei sonstigen zweistufigen Verfahren

Außerhalb dieser Regelverfahren bestehen jedoch im Hinblick auf die Modalitäten der Leistung und die Vertragsbedingungen Spielräume, mehr noch: der wettbewerbliche Dialog und die Innovationspartnerschaft zeichnen sich dadurch aus, dass es eine Leistungsbeschreibung i.e.S. noch gar nicht gibt. Soweit in diesen Verfahren also Spielräume bestehen, wäre es nur sachgerecht, den Umfang der bereit zu stellenden Vergabeunterlagen zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung daran zu orientieren. Bei Verhandlungsverfahren, dem wettbewerblichen Dialog und der Innovationspartnerschaft dürfte es eher der Regelfall sein, dass eine komplette Leistungsbeschreibung, insbesondere mit sämtlichen (in komplexen Verfahren oft umfangreichen) Anlagen und Vertragsentwürfen nicht erforderlich sind, um über eine Teilnahme am Verfahren zu entscheiden, da diese sich im Laufe des Verfahrens noch ändern können. Bekannt zu geben wären jedoch zumindest die Mindestanforderungen und die wesentlichen Modalitäten, die den Kern der Leistung ausmachen im Sinne einer groben Beschreibung, um dem Bewerber zu ermöglichen, eine eigene Teilnahme zu planen, dies beispielsweise in zeitlicher Hinsicht oder im Hinblick auf die benötigten Kapazitäten und/oder Ausstattung bzw. eine erforderliche Einbindung von weiteren Unternehmen als Nachunternehmer oder als Bietergemeinschaft. Darüber hinaus sind natürlich auch die Verfahrensbedingungen bekannt zu geben, soweit sie nicht schon in der Auftragsbekanntmachung genannt sind, wie insbesondere die Eignungs- und Zuschlagskriterien.

d. Fazit

Die VgV regelt deutlicher als die VOB/A, dass in zweistufigen Verfahren Vergabeunterlagen ebenso schon bereits im Teilnahmewettbewerb zum Abruf bereit gestellt werden müssen. Die Definition der Vergabeunterlagen in § 29 Abs. 1 VgV lässt sich so verstehen, dass nicht nur im offenen Verfahren, sondern auch im nicht offenen Verfahren als alternatives zulässiges Regelverfahren, regelmäßig sämtliche für die Angebotsabgabe erforderlichen Informationen, also insbesondere die Leistungsbeschreibung und der Vertrag bereits zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung zum Abruf bereit gestellt werden müssen. Der einzige Unterschied der im Teilnahmewettbewerb und in der Angebotsphase bereit gestellten Vergabeunterlagen besteht bei dieser Auslegung in dem jeweiligen Anschreiben, das einmal zur Abgabe eines Teilnahmeantrags und einmal zur Abgabe eines Angebots auffordert.

Für andere zweistufige Verfahren, die lediglich bei Vorliegen bestimmter Ausnahmetatbestände zulässig sind, dürfte dieser Umfang jedoch oft nicht ohne weiteres erforderlich sein, um über eine Teilnahme an dem Verfahren entscheiden zu können. Der Umfang der bereit zu stellenden Unterlagen dürfte mit dem Umfang der Spielräume im Hinblick auf die Leistungserbringung korrespondieren. Bereits im Teilnahmewettbewerb bekannt zu geben dürften damit nicht verhandelbare Mindestanforderungen sein sowie die Verfahrensbedingungen. Im Übrigen dürfte es ausreichend sein, die wesentlichen Rahmenbedingungen, die den Kern der Leistung ausmachen, zu beschreiben, insbesondere um eine Planung im Hinblick auf die benötigten Kapazitäten und/oder Ausstattung bzw. eine erforderliche Einbindung von weiteren Unternehmen als Nachunternehmer oder als Bietergemeinschaft zu ermöglichen. Vor dem Hintergrund der in den Standardformularen nunmehr vorgesehenen Zeichenbegrenzung kann diese Beschreibung weitere hilfreiche Informationen liefern, ohne jedoch schon eine vollständige Leistungsbeschreibung zu enthalten oder ggf. entwurfsweise vorgeschlagene Vertragsmodalitäten zu übermitteln.

Vor dem Hintergrund, dass VgV und VOB/A dieselbe EU-Richtlinie umsetzen, dürfte dies im Anwendungsbereich des zweiten Abschnitts der VOB/A entsprechend gelten.

Anmerkung der Redaktion
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Über Dr. Valeska Pfarr, MLE [3]

Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte [4], Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.

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