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OLG Saarbrücken zum Zeitpunkt der Rügeverpflichtung und zur Bildung von Bietergemeinschaften (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 27.06.2016 – 1 Verg 2/16)

EntscheidungEs gibt keine gesetzliche Vermutung dahingehend, dass die Bildung von Bietergemeinschaften gegen § 1 GWB verstößt. Eine Verfahrensrüge muss regelmäßig vor Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens erhoben werden. Kartellrechtliche Fragen der Zulässigkeit von Bietergemeinschaften sind im Nachprüfungsverfahren inzident zu prüfen, sofern eine vergaberechtliche Anknüpfungsnorm einschlägig ist und der Sachverhalt leicht ermittelt werden kann.

§§ 97 Abs. 1, 101a, 107 GWB aF, § 19 Abs. 1 EG VOL/A

Sachverhalt

Die Vergabestelle und spätere Antragsgegnerin schrieb Leistungen zur Abfallsammlung in fünf Regionallosen aus. Die Vergabe war jeweils auf das Angebot mit dem günstigsten Angebotspreis vorgesehen.

Nach Auswertung der Angebote ergab sich, dass für die Vergabe der Lose 1, 2 und 4 eine Bietergemeinschaft aus drei Unternehmen vorzusehen war. Die spätere Antragstellerin belegte für das Los 1 den dritten Wertungsrang und bei den Losen 2 und 4 jeweils den zweiten Wertungsrang.

Am 26.01.2016 erteilte die Vergabestelle die Vorabinformation gem. § 101a GWB aF.

Am 03.02.2016 reichte die Antragstellerin durch ihre Verfahrensbevollmächtigten einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer ein und wandte sich mit diesem vor allem gegen die Bildung einer Bietergemeinschaft durch die Beilgeladene, die ihrer Auffassung nach gegen § 1 GWB verstoße. Am 04.02.2016 erhob sie noch eine entsprechende Rüge gegenüber der Antragsgegnerin. Am 05.02.2016 erteilte die Vergabekammer einen rechtlichen Hinweis, wonach sie den Nachprüfungsantrag mangels einer vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens erhobenen Rüge für unzulässig halte.

Am 11.02.2016 erlangte die Vergabekammer dann Kenntnis von der am Tag nach dem Antrag auf Einleitung des Nachprüfungsverfahrens erhobenen Rüge. Sie leitete daraufhin ein Nachprüfungsverfahren ein, verhandelte mündlich und wies den Nachprüfungsantrag schließlich durch Beschluss vom 15.04.2016 zurück. Die Vergabekammer hielt den Nachprüfungsantrag für unzulässig, da die Rügeobliegenheit verletzt worden sei. Im Hinblick auf Los 1 fehle der Antragstellerin im Übrigen die Antragsbefugnis. Außerdem sei der Nachprüfungsantrag auch unbegründet, da die Antragstellerin nicht in subjektiven Bieterrechten verletzt sei.

Die Entscheidung

Die gegen die Entscheidung der Vergabekammer eingelegte sofortige Beschwerde blieb ohne Erfolg.

Das OLG Saarbücken folgt der Vergabekammer zunächst darin, dass vorliegend der Nachprüfungsantrag bereits deswegen unzulässig ist, weil vor dessen Einleitung keine Rüge erhoben worden ist. Der Auffassung der Antragstellerin, wonach es genüge, dass die Rüge innerhalb der 10- Tages-Frist des § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB aF und vor Zustellung des Nachprüfungsantrags erhoben werde, teilt das OLG nicht. Der Sinn der Rügeobliegenheit läge ja gerade darin, unnötige Nachprüfungsverfahren zu verhindern, indem der jeweiligen Vergabestelle Gelegenheit gegeben werden soll, einer entsprechenden Rüge abzuhelfen.

Im Übrigen hätte die Antragstellerin nach Auffassung des OLG nach dem rechtlichen Hinweis der Vergabekammer vom 05.02.2016 ihren Antrag zurücknehmen und sogleich (weil dann nach Rügeerhebung) wieder einreichen können.

Auch sei eine vorherige Rüge auch nicht ausnahmsweise entbehrlich gewesen. Denn ein effektiver Rechtsschutz sei auch bei Einhaltung der Rügeobliegenheit gewährleistet gewesen.

Das OLG Saarbücken teilt auch die Auffassung der Vergabekammer, dass der Antragstellerin für das Los 1 keine Antragsbefugnis zusteht. Insoweit habe die Antragstellerin nicht hinreichend dargelegt, warum der zweitplatzierte Bieter nicht für den Zuschlag in Betracht kommen soll. Damit könne sie im Ergebnis nur erreichen, dass die für den Zuschlag vorgesehene Bietergemeinschaft ausgeschlossen werden muss, was aber ihre eigene Rechtsposition nicht verbessere. Dies sei aber für die Antragsbefugnis stets erforderlich.

Trotz der Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags nimmt das OLG noch Stellung zu den aufgeworfenen Fragen der Zulässigkeit der Bildung der für den Zuschlag vorgesehenen Bietergemeinschaft.

Hier stellt das OLG zunächst klar, das Verstöße gegen das Kartellrecht im Nachprüfungsverfahren inzident zur prüfen seien, sofern eine vergaberechtliche Anknüpfungsnorm existiert und der Sachverhalt überschaubar ist. Beides bejaht das OLG und sieht in § 97 Abs. 1 GWB und § 19 Abs. 3 lit. f) EG VOL/A die maßgeblichen Anknüpfungsnormen.

Sodann führt das OLG aus, dass § 1 GWB keine Vermutung enthalte, dass die Bildung von Bietergemeinschaften gegen § 1 GWB verstößt. Deshalb seien Bietergemeinschaften als Bieter auch nicht verpflichtet, bereit mit Angebotsabgabe dazulegen, dass ihre Bildung kartellrechtsmäßig sei. Eine solche Darlegung sei erst nach Aufforderung durch die Vergabestelle notwendig.

Die daraufhin von der Beigeladenen dargelegten kaufmännischen und wirtschaftlichen Erwägungen hält das OLG dann für nachvollziehbar. Dabei stünde den Unternehmen eine Einschätzungsprärogative zu, die von den Nachprüfungsinstanzen nur auf Vertretbarkeit hin überprüfbar sei. Ob dann vorliegend bei dem Hindernis eines nicht vorhandenen Fahrzeugs die Bildung einer Bietergemeinschaft oder eine Nachrüstung gewählt wird, liege innerhalb der unternehmerischen Einschätzungsprärogative.

Hinsichtlich weiterer, streitiger Umstände, lehnt das OLG mit dem Hinweis auf den damit verbundenen Aufwand, insbesondere dann notwendige Beweisaufnahmen, ab.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidungen von Vergabekammer und OLG überzeugen im Ergebnis, in der Begründung aber nicht immer.

Zunächst kann es keinen vernünftigen Zweifeln unterliegen, dass der Nachprüfungsantrag mangels vor Einleitung erhobener Rüge unzulässig war. Alles andere wäre mit Sinn und Zweck der Rügeobliegenheit nicht vereinbar. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Hinweise des OLG Saarbücken, dass die Verletzung der Rügeobliegenheit durchaus heilbar gewesen wäre. Der Nachprüfungsantrag hätte nämlich zurückgenommen und nach Erhebung der Rüge wieder gestellt werden können und wäre dann zulässig gewesen. Vielleicht hat das OLG Saarbrücken deshalb noch recht ausführlich zur Begründetheit Stellung genommen, um die Durchführung des Verfahrens nicht an einem Fehler in der Verfahrensführung scheitern zu lassen.

Die Ausführungen des OLG zur Begründetheit geben dann auch Anlass zur Kritik: Mir scheint es nicht so klar, dass Verstöße gegen Kartellrecht inzident zu prüfen sind, wenn eine vergaberechtliche Anknüpfungsnorm besteht. Immerhin stellt sich die Frage, ob diese These nicht deshalb ins Leere läuft, weil wohl immer eine Anknüpfungsnorm gefunden werden kann. Es scheint mir daher eher zutreffend, dass wettbewerbliche Unterlassungsansprüche keine sonstigen Ansprüche im Sinne des § 97 Abs. 6 GWB sind. Denn mit der vom OLG Saarbrücken vorgenommenen Inzidentprüfung wird immerhin in die zivilgerichtliche Zuständigkeit in Wettbewerbssachen eingegriffen. Es sollte daher einem vielleicht erkennbarem Trend entgegengewirkt werden, in Nachprüfungsverfahren die gesamte Rechtsordnung zur Überprüfung zu stellen. Die Nachprüfungsinstanzen sollten sich drauf beschränken, die Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren zu überwachen. Diese Aufgabe ist schon groß genug.

Man muss dann auch keine Einschränkungen hinsichtlich des Untersuchungsumfangs machen, die wiederum fragwürdig sind: Warum etwa sollen nur Sachverhalte überprüfbar seien, die leicht zu ermitteln sind? Und was zeichnet eine vergaberechtliche Anknüpfungsnorm aus?

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Praxistipp

Vergabestellen, die es mit Bietergemeinschaften zu tun haben, bleiben nach der Auffassung des OLG Saarbrücken gehalten, deren wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit zu überprüfen. Leider kein leichtes Unterfangen, aber (noch) eine Notwendigkeit. Immerhin sind die Bietergemeinschaften verpflichtet, auf Anforderung der Vergabestellen zur Zulässigkeit vorzutragen. Dieser Vortrag ist dann (nur) auf Vertretbarkeit zu überprüfen. Entsprechende Sorgfalt in der Vergabedokumentation vorausgesetzt, ist dies auf der anderen Seite aber durchaus leistbar.

Die verfahrenstechnischen Fehler auf Seiten der Antragstellerin zeigen wiederholt, dass manchmal auch in der Kürze der in Nachprüfungsverfahren zur Verfügung stehenden Zeit mehr Sorgfalt in die rechtliche Prüfung gelegt werden sollte.

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Über Martin Adams, Mag. rer. publ.

Herr Martin Adams, Mag. rer. publ. ist Rechtsanwalt und Inhaber der Kanzlei _teamiur_Rechtsanwälte, Mannheim. Herr Adams berät bundesweit öffentliche Auftraggeber bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren, insbesondere im Bereich der Abfallwirtschaft. Darüber hinaus veröffentlicht er regelmäßig Beiträge in entsprechenden Fachmedien und tritt als Referent in Fachseminaren auf.

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