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„Das Vergaberecht einfach mal Vergaberecht sein lassen“ – Interview mit Anja Theurer, DVNW-Beiratsmitglied

theurer [1]Anja Theurer ist Geschäftsführerin der Auftragsberatungsstelle Brandenburg e.V. und als Rechtsanwältin seit über 15 Jahren auf das Vergaberecht spezialisiert. Sie ist Beisitzerin bei der VK des Bundes beim Bundeskartellamt sowie bei der VK des Landes Brandenburg beim Ministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi). Als Sprecherin des Zusammenschlusses der deutschen Auftragsberatungsstellen, der Ständigen Konferenz der Auftragsberatungsstellen (Stka), ist AnjaTheurer Mitglied im Deutschen Vergabe- und Vertragsausschuss für Lieferungen und Dienstleistungen beim BMWi. Und sie ist Mitglied im Beirat des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW). In einer kleinen Serie möchten wir Ihnen unsere Beiratsmitglieder vorstellen:

Liebe Frau Theurer, wie sind Sie eigentlich zum Vergaberecht bzw. öffentlichen Auftragswesen gekommen?

Anja Theurer: Ich hatte nach dem ersten Staatsexamen in Bayern keine Lust, direkt ins Referendariat einzusteigen und habe mich dann relativ wahllos für einen Job bei einigen Berliner Kanzleien beworben. Auf diese Weise bin ich an einen Anwalt geraten, der gerade eines der ersten Bücher zum damals brandneuen Vergaberecht schrieb. Daran habe ich einige Monate lang mitgewirkt. Seitdem bin ich mit mancherlei Umwegen immer wieder beim Vergaberecht gelandet.

… und wollten Sie je wieder davon weg? Was macht das Thema für Sie so spannend?

Anja Theurer: Sag niemals nie! Aber Scherz beiseite: seit ich Geschäftsführerin der Auftragsberatungsstelle Brandenburg bin, hat ein Projekt das nächste gejagt, mal war es die Mitwirkung an neuen Vergabegesetzen, mal ein Gutachtenauftrag zur Mittelstandsklausel im Vergaberecht für das Bundeswirtschaftsministerium, mal die Implementierung eines neuen PQ-Systems. Das Thema lautet zwar stets „Vergaberecht“ – die konkrete Tätigkeit aber ist immer wieder eine andere. Abgesehen davon, dass Beratungen und Schulungen der Vergabebeteiligten natürlich umso mehr Spaß machen, je besser man im Stoff steckt.

Sie sind Mitglied im Beirat des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW). Aus welchem Grund engagieren Sie sich ehrenamtlich für das Netzwerk?

Anja Theurer: Die Auftragsberatungsstellen haben den Auftrag, als Mittler zwischen Unternehmen und öffentlichen Auftraggebern im Bereich der öffentlichen Beschaffung zu wirken. U. a. setzen wir uns für rechtskonforme Vergabeverfahren und eine möglichst effiziente Umsetzung der Vergabevorschriften ein. Vor diesem Hintergrund nutze ich als Sprecherin des Zusammenschlusses der Auftragsberatungsstellen natürlich jede gute Gelegenheit, die dargestellte „Mission“ voranzutreiben und überall dort „mitzumischen“, wo Vergabepraxis gestaltet wird. So bin ich dann auch im Beirat des DVNW angelandet.

Was glauben Sie, ist der größte Nutzen des DVNW für seine Mitglieder?

Anja Theurer: Ins Vergaberecht werden viele Beteiligte „hineingestoßen“, die sich u. a. mit der juristischen Dimension, welche das Thema zwischenzeitlich erlangt hat, schwertun. Umso wichtiger ist ein möglichst breit angelegter Austausch zwischen den Vergabebeteiligten, um Sicherheit im Umgang mit der Materie zu erlangen. Das DVNW bietet hierfür eine exzellente Plattform mit niedriger Hemmschwelle. Im Austausch mit anderen können neu auftretende Fragen erörtert oder aber „Best Practice“-Beispiele für eigene anstehende Projekte ermittelt werden.

Das neue Vergaberecht für den Oberschwellenbereich ist jetzt seit dem 18. April 2016 in Kraft. Ihr vorläufiges Zwischenfazit?

Anja Theurer: Die Welt ist nicht untergegangen. Insbesondere ist die erwartete Schwemme nicht offener Verfahren – und die damit verbundene regelmäßige Wettbewerbsverkürzung – dankenswerter Weise ausgeblieben. Nach unserer Erfahrung tun sich die Vergabebeteiligten weniger mit den neuen Regelungsinhalten, als vielmehr in erster Linie mit der neuen (Un-)Systematik der Vorschriften schwer. Besser, man ist Jurist, wenn man hier noch durchsteigen will!

Wo besteht aus Ihrer Sicht der größte Reformbedarf im Vergaberecht?

Anja Theurer: Vielleicht sollte man das Vergaberecht einfach mal Vergaberecht sein lassen. Stete gesetzgeberische Aktivität ist ja nicht per se eine gute Sache. Wenn man aber ernsthaft ans Bestehende ran wollte: Abschaffung der zahlreichen divergierenden Ländervergabegesetze mit ihrer für die Unternehmensseite zwischenzeitlich kaum mehr orchestrierbaren Kakophonie von Anforderungen und ein vernünftiger Unterschwellenrechtsschutz – das wären aus meiner Sicht DIE Themen. Ein frommer Wunsch natürlich, das weiß ich wohl.

Vielen Dank für das Interview!

Alle Mitglieder des DVNW Beirats finden Sie hier [2].

Über das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW):

Das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW) vereint Experten und Entscheider im Vergaberecht und Public Sector. Dazu zählen öffentliche Einkäufer aus Bund, Ländern und Kommunen, überregional tätige Organisationen und NGOs, ebenso wie global aufgestellte Unternehmen und leistungsstarke Mittelständler. Das DVNW repräsentiert damit wie kein zweites Netzwerk den Public Sector in Deutschland. Das DVNW ermöglicht und fördert als unabhängige Plattform den Wissens- und Erfahrungsaustausch seiner Mitglieder und ist u. a. Veranstalter des Deutschen Vergabetages. Der ehrenamtliche Beirat des DVNW berät und unterstützt das DVNW in fachlicher Hinsicht.

Sie sind noch kein Mitglied im DVNW? Stellen Sie Ihren Mitgliedschaftsantrag hier [3].

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