Vergabeblog

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Leistungen im Angebot müssen auch ohne ausdrücklich geforderte Mindestvorgaben (!) objektiv ausreichend für die ordnungsgemäße Leistungserbringung sein (OLG Dresden, Beschl. v. 23.09.2016 – Az. Verg 3/16)

Bieter müssen ihr Angebot so kalkulieren und entsprechende Angaben machen, dass der Auftraggeber nachvollziehen kann, ob mit der angebotenen Leistung die nachgefragten Leistungen objektiv ausreichend erbracht werden kann. Gibt ein Bieter zum Beispiel keine (nach Auffassung des Auftraggebers!) ausreichende Anzahl an Servicekräften für eine nachgefragte Leistung an, ist sein Angebot wegen Änderungen oder Ergänzungen der Vergabeunterlagen auszuschließen.

§§ 53 Abs. 7 Satz 1, 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV 2016 (früher §§ 16 EG Abs. 4 Satz 1, 19 EG Abs. 3 VOL/A 2009)

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb das Management von Speisenversorgungsleistungen an mehreren Klinikstandorten aus. Nach dem Inhalt der Vergabeunterlagen sollten die Bieter in ihren Angeboten diverse Angaben zu dem von ihnen beabsichtigten Personaleinsatz und die dadurch entstehenden Kosten machen. Hierfür war den Vergabeunterlagen unter anderem eine Anlage beigefügt, die die Kosten für das fachliche Management der Speisenversorgung, das Vollzeitkräftevolumen und das Personenvolumen abfragte. Zu den vom Auftragnehmer am Standort W. einzusetzenden Servicekräften enthielten die Vergabeunterlagen keine Mindestvorgaben. Der Antragsteller (ASt) trug daraufhin in die vorgegebene Tabelle die Ziffer 4,0 ein, in der Zeile Administrationskraft; Auftragnehmer“ nahm der ASt die Eintragung 0,66 vor.

Der Auftraggeber informierte den ASt, dass dessen Angebot auszuschließen ist, weil es in unzulässiger Weise von den Vergabeunterlagen abweicht. Im Hinblick auf die Angabe der Servicekräfte zur Versorgung des Standorts führte der Auftraggeber unter anderem aus, dass die Angabe von nur vier Servicekräften für die Versorgung der acht Stationen am Standort W. nicht auskömmlich sei. Der ASt rügte die beabsichtigte Auftragsvergabe und beantragte bei der Vergabekammer, sein Angebot wieder zuzulassen und die Angebotswertung erneut durchzuführen. Die Vergabekammer lehnte dieses Ansinnen ab und bestätigte den Angebotsausschluss. Hiergegen wandte sich der ASt mit seiner sofortigen Beschwerde.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg! Der ASt hat nach Ansicht (des Auftraggebers und) des Senats beim Standort W. keine ausreichende Anzahl von Servicekräften vorgesehen, so dass der Senat darin ein Abweichen von den Vertragsunterlagen mit der Folge erblickte und deshalb der Ausschluss des Angebots unumgänglich war.

Der Senat betont, dass das Fehlen von ausdrücklichen Mindestvorgaben nicht bedeutet, dass die Bieter Ihren Angaben völlig frei gewesen wären. Vielmehr liege es auf der Hand, dass die Angebotsunterlagen die Angabe jedenfalls so vieler Servicekräfte erwarten ließen, wie zur ordnungsgemäßen Erbringung der Leistung mindestens notwendig sind. Der Senat schließt sich dabei der Erklärung des Auftraggebers an, wonach mit nur vier Servicekräften der Arbeitsanfall nicht zu bewältigen sei. Zum einen geht der Senat davon aus, dass die von der Antragstellerin für den Standort W. eingeplanten Einsatzkräfte zu der Anzahl der Vollzeitkräfte an anderen Standorten offenkundig und in nicht nachvollziehbarer Art und Weise abweichen. So sehe das Angebot der Antragstellerin für einen anderen Standort beispielsweise 1,28 Vollzeitkräfte pro Station vor, für den Standort W. dagegen nur 0,57 Vollzeitkräfte pro Station. Daran ändert sich nach Ansicht des Senats auch dann nichts, wenn man bei einer Gegenüberstellung der Anzahl der Servicekräfte an den beiden Standorten die Frage berücksichtigt, wie viele Patienten von einer Vollzeitkraft bedient werden (müssen). Nach dem Vortrag des ASt soll an den übrigen Standorten eine Vollzeitkraft durchschnittlich 17,5 Patienten betreuen, am Standort W. soll dagegen eine Vollzeitkraft für durchschnittlich 20,6 Patienten zuständig sein. Das sind in Anbetracht der erfahrungsgemäß knapp gehaltenen Kalkulationen in der Anzahl von in einem Krankenhaus tätigen Kräfte im nichtärztlichen Dienst nach Ansicht des Senats nicht unerhebliche Differenzen, die einen Ausschluss des Angebots erforderlich machen.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung überzeugt nicht.

Auch wenn dem Senat zuzugestehen ist, dass Bieter so viele Servicekräfte anzubieten haben, wie zur ordnungsgemäßen Erbringung der Leistung (mindestens) notwendig sind, ist vorliegend fraglich, ob in einer nach Auffassung des Auftraggebers zu niedrigen Zahl ein Ausschluss wegen Änderungen oder Ergänzungen der Vergabeunterlagen erachtet werden kann. Da jeder Bieter nur das anbieten darf, was der öffentliche Auftraggeber tatsächlich nachgefragt hat, und sich keinen Wettbewerbsvorteil verschaffen darf, indem er von den Vorgaben abweicht, ist gewährleistet, dass nur solche Angebote gewertet werden, die in jeder aus den Vergabeunterlagen ergebenden Hinsicht miteinander vergleichbar sind. Unzulässige Änderungen an den Vergabeunterlagen liegen immer dann vor, wenn das Angebot von den genannten Vorgaben (eindeutig) abweicht, also immer dann, wenn ein Bieter etwas Anderes anbietet als vom öffentlichen Auftraggeber nachgefragt, sodass sich Angebot und Nachfrage nicht decken. Um festzustellen, ob ein Bieter die Vergabeunterlagen unzulässig geändert hat, ist also sein Angebot mit den in den Vergabeunterlagen genannten Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers an die zu erbringende Leistung zu vergleichen (vgl. zum Ganzen exemplarisch Dittmann in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, 2017, § 57 Rn. 47 ff. mit weiteren Nachweisen). Vor diesem Hintergrund ist zweifelhaft, ob in den Angaben des ASt im Angebot bereits eine Änderung der Vergabeunterlagen erblickt werden kann. Der Ausschlussgrund war für den ASt vorliegend jedenfalls nicht (ohne weiteres) ersichtlich und daher (zu) unbestimmt.

In Anbetracht der weitreichenden Rechtsprechung des OLG Düsseldorf zur Nachforderungen von Erklärungen und Nachweisen und der Pflicht zur Angebotsaufklärung vor Angebotsausschluss wäre der Auftraggeber vorliegend, die Entscheidung erging noch auf Grundlage des bis zum April 2016 geltenden, alten Rechts, gut beraten gewesen, hier im Vorfeld des etwaigen Ausschlusses eine belastbarere Rechtsgrundlage zu schaffen. Denn der Begriff der Erklärungen oder Nachweise sowie der Begriff der Angaben, Nachweise und Erklärungen ist – gleichviel, ob er auftragsbezogene oder unternehmensbezogene Angaben, Willenserklärungen oder Wissensmitteilungen betrifft nach dem Zweck der Norm denkbar weit zu verstehen. Gemäß der Intention, Angebotsausschlüsse aus lediglich formalen Gründen nach Möglichkeit zu vermeiden, darf der Auftraggeber Angebote, die bei Vorliegen formaler Mängel wegen widersprüchlicher Angaben (Erklärungen oder Nachweise) an sich ausschlusswürdig sind, im Übrigen nach Auffassung des OLG Düsseldorf nicht ohne Weiteres von der Wertung ausnehmen, ohne das von einem Ausschluss bedrohte Bieterunternehmen zuvor zu einer Aufklärung über den Inhalt des Angebots aufgefordert und ihm Gelegenheit gegeben zu haben, den Tatbestand der Widersprüchlichkeit nachvollziehbar auszuräumen (anschaulich z.B. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.10.2015 Az. VII-Verg 35/15). Zwar hat der zuständige Vergabesenat das Vorgehen des Auftraggebers (noch) gebilligt, die Entscheidung hätte aber durchaus auch anders ausfallen können.

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Praxistipp

Der Streitfall hätte vorliegend vermieden werden können, wenn der Auftraggeber seine Hausaufgaben in Gestalt einer eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung im Sinne des § 121 Abs. 1 GWB bei der Verfahrensvorbereitung gemacht hätte. Auftraggebern ist daher grundsätzlich zu empfehlen, immer dann Vorgaben bzw. Mindestanforderungen festzulegen, wenn sie ein bestimmtes Leistungsniveau, vorliegend eine bestimmte Mindestanzahl von Servicekräften, erwarten. Unterlassen sie dahingehend eindeutige Vorgaben bzw. verzichten sie auf Mindestanforderungen laufen sie Gefahr, dass die Bieter Leistungen anbieten und/oder entsprechende Angaben machen, die Zweifel an der Auskömmlichkeit der angebotenen Leistungen begründen.

Bietern auf der anderen Seite ist zu raten, rechtzeitig eindeutige Fragen zum erforderlichen Umfang von Leistungen zu stellen, wenn sie Zweifel haben. Nur dadurch (und entsprechend eindeutige Antworten des Auftraggebers) haben sie eine verlässliche Grundlage, auf der sie ihr Angebot hinreichend sicher kalkulieren und etwaiger Angebotsausschlüsse vermeiden können. Erkennen Auftraggeber aufgrund von Bieterfragen (erst) während der Verfahrensdurchführung, dass es Unklarheiten über den Mindestleistungsumfang gibt, ist ihnen zu empfehlen, diese durch Konkretisierung der Vergabeunterlagen allen Bietern gegenüber rechtzeitig auszuräumen. Dadurch hätte dieses Vergabenachprüfungsverfahren voraussichtlich vermieden werden können.

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Über Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG

Der Autor Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG, ist Fachanwalt für Vergaberecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der Wirtschaftskanzlei LEXTON Rechtsanwälte in Berlin. Er berät seit über 20 Jahren öffentliche Auftraggeber und Bieterunternehmen umfassend bei allen vergabe-, zuwendungs-, haushalts- und preisrechtlichen Fragestellungen. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.

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