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„Es besteht aktuell kein Anlass, sich um die Zukunft der VOB Sorgen zu machen“ – Rückblick auf den 1. Bau-Vergabetag 2017

Der 1. Bau-Vergabetag des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) am 16. Februar in Berlin begann früh am Morgen zunächst mit einer Hiobsbotschaft. Das Bodenpersonal der Berliner Flughäfen streikte mal wieder. Kurzfristige Absagen von Teilnehmern und – noch schlimmer – Referenten drohten.

Doch als um 9.00 Uhr Prof. Dr. Shervin Haghsheno den 1. Bau-Vergabetag in der altehrwürdigen Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften am Berliner Gendarmenmarkt eröffnete, waren die Reihen vollbesetzt. Alle waren zum Event des Jahres zur Vergabe von Bau- und Planungsleistungen des Deutschen Vergabenetzwerkes (DVNW) in Berlin gekommen: öffentliche Auftraggeber, Architekten, Ingenieure, Fachplaner, Projektsteuerer, Generalunternehmer, Rechtsanwälte und Berater. Auch wenn teilweise Rückreisepläne geändert, Flüge storniert oder umgebucht oder auf die Bahn ausgewichen werden mussten. Hierfür herzlichen Dank.

Sicher hat es auch am attraktiven Tagungsprogramm gelegen. Die Fachkonferenz zur Vergabe von Bau- und Planungsleistungen spannte in zahlreichen Fachvorträgen, Podiumsdiskussionen und interaktiven Workshops den Themen-Bogen von „Klassikern“ wie der Erstellung der Leistungsbeschreibung oder der Wertung von Preis- und Nichtpreiskriterien [1] über die neue Einheitliche Europäische Eigenerklärung (EEE) bis hin zur Ausschreibung von Planungs- und Ingenieurleistungen sowie zur effizienten Beschaffung von Planungsleistungen durch Rahmenverträge [2].

Im ersten Teil der Veranstaltung gab Referent Timm Nolze, LL.M. vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) einen Abriss über Bauvergaben nach dem neuen Vergaberecht und der VOB/A 2016. Im Anschluss erläuterten Herr MR Dipl.-Ing. Architekt Hans Bock, Leiter Vergabe- und Vertragswesen im Bayerischen Staatsministerium des Innern, sehr anschaulich und mitunter höchst unterhaltsam, wie man Freiberufliche Dienstleistungen klug einkauft. Die Vergabe von Architektenleistungen nebst einem entsprechenden Leitfaden zur neuen Vergabeverordnung (abrufbar hier [3]) stellte Dipl.-Ing. Architekt Hubertus Eilers, Mitglied im Bundespräsidium des Bundes Deutscher Architekten BDA, zum Abschluss des ersten Fachpanels vor.

Eine lebhafte und mitunter kontroverse (Podiums-)Diskussion entspann sich danach zum neuen Bauvergaberecht im Allgemeinen und zur neuen VOB/A im Besonderen. Bereits die titelgebende, leicht provokante Frage „Schneller und besser bauen mit dem neuen Bauvergaberecht?“ versprach einen lebhaften Austausch der Diskutanten und der Hörer im Publikum. Mit rund 36 Mrd. Euro pro Jahr ist die wirtschaftliche Bedeutung von öffentlichen Bau- und Planungsvergaben in Deutschland unverändert groß. Ein vergaberechtkonformes, wirtschaftliches und nicht zuletzt fristgerecht abgeschlossenes Bauprojekt bleibt auch nach der Vergaberechtsreform die große Herausforderung für öffentliche Auftraggeber.

Prof. Dr. Ralf Leinemann, Fachanwalt für Vergaberecht und für Bau- und Architektenrecht, sprach sich nachdrücklich für eine Beibehaltung des bisherigen Regelwerks für Bauaufträge – die VOB/A – aus. Diese sei bei den beteiligten Kreisen eingeführt und habe sich in der Bauvergabepraxis über die Jahre als anwenderfreundlich bewährt. „Eine versierte Bauvergabe erfordert baufachliche Kompetenz und eine Vergaberechtsberatung mit Bau-Erfahrung. Es ist unerlässlich, die VOB/A dafür als Grundlage zu behalten.“, so Leinemann.

Als vom Podium aus in diesem Zusammenhang die Frage nach der Sinnhaftigkeit der jüngsten Reform der VOB/A aufgeworfen wurde, lies es sich der im Publikum anwesende BMWi-Vertreter, Andreas Rüger, seines Zeichens Regierungsdirektor im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, nicht nehmen, hierzu Stellung zu beziehen und den Standpunkt des Ministeriums zu erläutern. Ursprünglich gar nicht als Teilnehmer der Podiumsdiskussion vorgesehen, stellte das Deutsche Vergabenetzwerk als Veranstalter Herrn Rüger spontan und kurzfristig einen Podiumsplatz und damit ein angemessenes Forum zur Erwiderung zur Verfügung.

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Reinhard Janssen, Referatsleiter für Bauwesen und Öffentliches Auftragswesen im BMUB und Vorsitzender des Hauptausschusses Allgemeines im DVA zog das Fazit der Diskussion: „Der 1. Bau-Vergabetag des DVNW hat eindrucksvoll gezeigt, dass die VOB nach wie vor viele Anhänger hat.“ Es bestehe aktuell kein Anlass, sich um die Zukunft der VOB Sorgen zu machen.

Die kontroverse Diskussion um die Neufassung der VOB/A 2016 belegt im Grunde die Bedeutung einer solchen Fachtagung als Forum des fachlichen und Meinungsaustauschs, aber auch der kontroversen inhaltlichen Auseinandersetzung über Teilbereiche des Vergaberechts und bestätigt die Einschätzung, dass es sich beim Vergaberecht, insbesondere der Bauvergabe, um ein sehr lebensnahes und lebendiges Rechtsgebiet handelt.

Der Nachmittag und zweite Teil des 1. Bau-Vergabetags wurde durch verschiedene Praxisworkshops eingeleitet, für die ausnahmslos erfahrene Referenten aus der vergaberechtlichen Praxis gewonnen werden konnten. Hier hat sich der auch bei anderen DVNW-Kongressen erfolgreiche Usus bewährt, jeweils einen Praktiker – Auftraggeber, Entscheider oder Vertreter aus Behörden und Verbänden – auf der einen und einen anwaltlichen Spezialisten für Vergaberecht auf der anderen Seite im Duo auftreten zu lassen.

Christopher Schmidt, Matthias Steck, Michael Werner (v.l.)

Höhepunkt des Nachmittags waren aber sicherlich die Fachvorträge von Marc Christopher Schmidt (Europäische Kommission), der die EEE (Einheitliche Europäische Eigenerklärung) aus Sicht der Europäischen Kommission vorstellte und von Matthias Steck (Vorsitzender der Vergabekammer Südbayern und DVNW Beiratsmitglied), der die bisher ergangene Rechtsprechung zum neuen Vergaberecht referierte und entsprechende Tendenzen aufzeigte. Den Abschluss des 2. Fachpanels bestritt schließlich Michael Werner (DEGES), der  Vor- und Nachteile der (Einzel-)Losvergabe auf der einen und der Gesamt bzw. GU-Vergabe auf der anderen Seite gegenüberstellte.

Insgesamt bot somit der 1. Bau-Vergabetag dank der vielen, fachkompetenten Referenten aus allen möglichen Schaltstellen des Bauvergaberechts ein umfassendes Gesamtbild der Beschaffung von Bau- und Planungsleistungen.

Ausblick: Die große Resonanz und das durchweg positive Feedback der Teilnehmer werden dem veranstaltenden Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) gleichzeitig Anlass und Ansporn sein, die Fachtagung zur Vergabe von Bau- und Planungsleistungen zu wiederholen und mit dem 2. Bau-Vergabetag 2018 hoffentlich an den Erfolg der Premierenveranstaltung anzuknüpfen. Bis dahin haben alle Interessierten die Möglichkeit, den Austausch und die Diskussion online im Mitgliederbereich des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) weiterzuführen. Noch kein Mitglied? Zur Mitgliedschaft geht es hier [4].

Bildnachweis: Alle Bilder von André Wagenzik, AW Fotografie, www.wagenzik.de.

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