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Insourcing von Leistungen und In-House-Vergabe: Neues zum Kontroll- und Wesentlichkeitskriterium (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02.11.2016 – VII-Verg 23/16)

Das OLG Düsseldorf äußerte sich in seiner Entscheidung zu den Voraussetzungen einer vergaberechtsfreien In-House-Vergabe beim Insourcing von Leistungen. Für das erforderliche Maß an Kontrolle und Beherrschung des Auftragnehmers durch den Auftraggeber ist es nicht erforderlich, dass der Auftraggeber in der Geschäftsführung des Auftragnehmers beteiligt ist. Eine wesentliche Tätigkeit des Auftragnehmers für den ihn kontrollierenden und beherrschenden Auftraggebers ist dann anzunehmen, wenn lediglich bis zu 20 % der Tätigkeiten für Dritte erbracht werden. Dies sind in der nur solche Tätigkeiten, die für private Dritte erbracht werden.

§ 98 GWB a.F.; Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU ; § 108 GWB n.F.

Leitsätze

  1. Ein Verfassungsorgan (hier: der Deutsche Bundestag) ist kein öffentlicher Auftraggeber. Auftraggeber – und damit Antragsgegner im Vergabenachprüfungsverfahren – ist bei der Vergabe eines öffentlichen Auftrags durch ein Verfassungsorgan des Bundes die Bundesrepublik Deutschland.
  2. Die Vergabe von Aufträgen an Tochtergesellschaften des öffentlichen Auftraggebers ist nicht als vergabepflichtig anzusehen, wenn der Auftraggeber über den Auftragnehmer eine Kontrolle ausübt wie über eine eigene Dienststelle (Kontroll- oder Beherrschungskriterium) und der Auftragnehmer seine Tätigkeit im Wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber verrichtet (Wesentlichkeitskriterium). Eine Beteiligung an der Geschäftsführung ist nicht erforderlich.
  3. Das Wesentlichkeitskriterium ist nach dem bis zum 18.04.2016 geltenden „alten“ Vergaberecht erfüllt, wenn das zu beauftragende Unternehmen 90% seiner Tätigkeit für die Körperschaften und öffentlichen Einrichtungen verrichtet, die ihre Anteile innehaben.
  4. Art. 12 der Richtlinie 2014/24/EU, der es ausreichen lässt, wenn mehr als 80% der Tätigkeiten der kontrollierten juristischen Person der Ausführung der Aufgaben dienen, mit denen sie von dem die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggeber oder von anderen vom diesem kontrollierten juristischen Personen betraut wurden, entfaltet keine Vorwirkung dergestalt, dass das bis zum 18.04.2016 anwendbare Recht mit Blick auf die neue Regelung richtlinienkonform auszulegen wäre.
  5. „In-House-schädliche“ Fremdgeschäfte des Auftragnehmers sind nur solche Tätigkeiten, die nicht für den Auftraggeber oder ihm zuzurechnende Stellen, sondern für private Dritte erbracht werden.

Sachverhalt

Das OLG Düsseldorf war mit der Frage befasst, inwiefern Chauffeurdienstleistungen für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages (sog. Mandatsfahrten) zukünftig von einer bundeseigenen Gesellschaft erbracht werden können, ohne dass die Leistungen vorher in einem förmlichen Vergabeverfahren von der Bundesrepublik Deutschland als Auftraggeberin ausgeschrieben werden müssen. Gehen dieses Vorgehen hatte sich ein Dienstleister zur Wehr gesetzt und einen Nachprüfungsantrag gestellt.

Während die Leistungen bislang von einem externen Dienstleister erbracht wurden, hat sich die Auftraggeberin dazu entschieden, diese in bundeseigener Verantwortung durch eine Zweckgesellschaft, deren Anteile ausschließlich von der Bundesrepublik Deutschland gehalten werden, in Eigenleistung erbringen zu lassen. Der satzungsgemäße Zweck dieser Gesellschaft ist die Entwicklung eines übergreifenden Flottenmanagementsystems und die Übernahme von weiteren Aufgaben im Bereich Mobilität und Flottenmanagement für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Solche Leistungen dürfen nach der Gesellschaftssatzung auch für Dritte zu erbracht werden, soweit sichergestellt bleibt, dass die Gesellschaft im Wesentlichen für den Bund tätig wird.

Nach Auffassung der Antragstellerin sind die Voraussetzungen einer In-House-Vergabe nicht erfüllt. Zum einen übe der Deutsche Bundestag der als Auftraggeber anzusehen sei nicht die erforderliche Kontrolle über die Beigeladene aus, insbesondere auch deshalb, da keine Beteiligung an der Geschäftsführung gegeben sei. Auch das Wesentlichkeitskriterium sei nicht erfüllt, da die Umsätze der weiteren Gesellschaften aus der sog. Fuhrparkgruppe sowie die Umsätze einer weiteren Gesellschaft als Fremdgeschäft zuzurechnen seien. Im Übrigen sei die Beteiligung einer dieser weiteren Gesellschaften an der bundeseigenen Gesellschaft wie eine private Kapitalbeteiligung zu werten.

Die Entscheidung

Die Antragstellerin hatte keinen Erfolg. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin sieht der OLG Düsseldorf in der gegebenen Konstellation die Voraussetzungen für eine vergaberechtsfreie In-House-Vergabe als gegeben an.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf erging zwar zur alten Rechtslage. Gleichwohl sind die Ausführungen auch für die seit dem 18. April 2016 geltenden Bestimmungen des modernisierten Vergaberechts wesentlich und zur Auslegung der Neuregelung des § 108 GWB zur öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit heranzuziehen.

Erforderlich ist gemäß § 108 Abs. 2 GWB eine Kontrolle, die es dem öffentlichen Auftraggeber ermöglicht, auf die Entscheidungen der Gesellschaft, an die der Auftrag vergeben wird, einzuwirken. Dabei muss es möglich sein, sowohl auf strategische Ziele als auch auf die wichtigen Entscheidungen dieser Gesellschaft ausschlaggebenden Einfluss zu nehmen (vgl. § 108 Abs. 2 Satz 1 sowie z. B. EuGH, Urt. v. 13. Oktober 2005, Rs. C-458/03 – Parking Brixen und Urt. v. 13. November 2008, Rs. C-324/07 Coditel Brabant oder Urt. v. 10. September 2009, Rs. C-573/07 Sea). Der öffentliche Auftraggeber muss letztlich ohne Einschränkung in der Lage sein, strukturelle und funktionelle Kontrolle auszuüben (vgl. EuGH, Urt. v. 29. November 2012, verb. Rs. C-182/11 und C-183/11 Econord). Dafür ist nach der aktuellen Entscheidung des OLG Düsseldorf keine Beteiligung an der Geschäftsführung erforderlich (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02.11.2016, VII-Verg 23/16).

Ausreichend ist, dass die Kontrolle im vorgenannten Sinne gemeinschaftlich durch mehrere öffentliche Auftraggeber nach § 108 Abs. 4 Nr. 1 und Abs. 5 GWB ausgeübt wird (vgl. EuGH, Urt. v. 19. April 2007, Rs. C-295/05 Asemfo und Urt. v. 13. November 2008, Rs. C-324/07 Coditel Brabant). Allerdings ist bei Mehrebenenverhältnissen in Beteiligungsstrukturen davon auszugehen, dass diese Kontrollmöglichkeit umso kritischer zu bewerten ist, desto mittelbarer die Möglichkeit konkreter Einflussnahme ist (vgl. dazu z. B. EuGH, Urt. v. 11. Mai 2006, Rs. C-340/04 Carbotermo sowie Urt. v. 10. September 2009, Rs. C-573/07 Sea).

Darüber hinaus muss die auftragnehmende Stelle im Wesentlichen für die kontrollierende(n) Stelle(n) tätig sein. Während bislang lediglich Geschäfte für Dritte in einem Umfang von bis zu 10 % als zulässig erachtet wurden (vgl. m. w. N. OLG Hamburg, Urt. v. 14. Dezember 2010 – 1 Verg 5/10), ist nunmehr gemäß § 108 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 4 Nr. 2 GWB eine Tätigkeit für Dritte in einem Umfang von bis zu 20 % zulässig. Damit ist eine wesentliche Tätigkeit für die kontrollierende Stelle gegeben, wenn diese Tätigkeit mehr als 80 % beträgt. Zur Bestimmung des prozentualen Anteils des Umsatzes mit Dritten wird gemäß § 107 Abs. 7 GWB der durchschnittliche Gesamtumsatz der letzten drei Jahre vor Vergabe des betreffenden öffentlichen Auftrags oder ein anderer geeigneter tätigkeitsgestützter Wert herangezogen. Ein geeigneter tätigkeitsgestützter Wert sind z. B. die Kosten, die der juristischen Person oder dem öffentlichen Auftraggeber in dieser Zeit in Bezug auf Liefer-, Bau- und Dienstleistungen entstanden sind. Liegen für die letzten drei Jahre keine Angaben über den Umsatz oder einen geeigneten alternativen tätigkeitsgestützten Wert wie z. B. Kosten vor oder sind diese nicht aussagekräftig, verlangt § 107 Abs. 3 GWB, dass der tätigkeitsgestützte Wert durch Prognosen über die Geschäftsentwicklung belegt wird.

Komplex ist in diesem Zusammenhang die Frage, inwiefern Zurechnungen von Drittumsätzen innerhalb von Beteiligungsstrukturen stattfinden und wie sich diese auf die Frage nach der Einhaltung des Wesentlichkeitskriterium und damit die Vergabepflicht auswirken. Bereits bislang wurde die Auffassung vertreten, dass Umsätze, die ein kommunaler Versorger mit ortsansässigen Privatkunden erwirtschaftet, dem öffentlichen Auftraggeber nicht als Eigenumsatz zugerechnet werden könnten und damit als Drittumsätze zu qualifizieren seien (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 14. Dezember 2010 1 Verg 5/10 und OLG Frankfurt, Beschl. v. 30. August 2011 11 Verg 3/11).

Das OLG Düsseldorf ist in der gegebenen Konstellation der Auffassung, dass nur solche Tätigkeiten als Fremdgeschäft anzusehen sind, die die bundeseigene Gesellschaft für private Dritte erbringt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02.11.2016, VII-Verg 23/16). Ganz aktuell hat auch der EuGH festgestellt, dass Umsätze mit öffentlichen Dritten wie z. B. andere Behörden, die an dem im Wege einer In-House-Vergabe zu beauftragenden Unternehmen nicht beteiligt sind und auch keine Kontrolle über dieses Unternehmen ausüben, bei der Ermittlung des Eigenumsatzes keine Berücksichtigung finden (vgl. EuGH, Urt. v. 8. Dezember 2016, Rs. C-553/15 Undis Servizi).

Bei der Berechnung der Eigenumsätze im Rahmen des Wesentlichkeitskriteriums kommt es im Ergebnis nicht darauf an, ob es sich um Umsätze mit privaten oder öffentlichen Dritten handelt, sondern es ist alleine auf die Beteiligungsverhältnisse abzustellen. Eine vergaberechtliche Privilegierung ist alleine solchen Konstellationen vorbehalten, in denen Leistungsbeziehungen ganz überwiegend in verwaltungsinternen Strukturen abgebildet sind.

An der auftragnehmenden Stelle darf schließlich gemäß § 108 Abs. 1 Nr. 3 bzw. Abs. 3 Nr. 3 GWB im Übrigen grundsätzlich keine private Beteiligung gegeben sein, die tatsächlich oder faktisch eine Einflussnahme des Privaten auf die Stelle ermöglichen könnte (vgl. z. B. EuGH, Urt. v. 19. Juni 2014, Rs. C-574/12 SUCH). Sind in Beteiligungsverhältnissen teilweise Private beteiligt, so ist anhand der wechselseitigen Geschäftsbeziehungen genau zu prüfen, inwiefern die In-House-Fähigkeit nicht nur für die Gesellschaften mit privater Beteiligung, sondern auch für solche Gesellschaften entfällt, die in nicht unwesentlichem Umfang Aufträge aus solchen Geschäftsbeziehungen erhalten. Nicht ausreichend ist nach Auffassung des OLG Düsseldorf, sofern eine an einer bundeseigenen Gesellschaft beteiligte Organisationseinheit ihrerseits wie ein Privater auf dem Markt Leistungen anbietet, da alleine die Beteiligungsstruktur ausschlaggebend ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02.11.2016, VII-Verg 23/16).

Praxistipp

Insbesondere bei Beteiligungsstrukturen ist bei den Vorüberlegungen zur Umsetzung des Insourcing von Leistungen anhand von (erwartbaren) Umsätzen konkret zu bewerten, ob und in welchem Umfang Tätigkeiten für private Dritte erbracht werden und inwiefern gegebenenfalls eine Zurechnung zu berücksichtigen ist. Da die Voraussetzungen der In-House-Vergabe über den gesamten Zeitraum des Auftragsverhältnisses bestehen müssen, ist im Sinne einer vergaberechtlichen Compliance in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, inwiefern die vor Auftragsvergabe getroffenen Feststellungen weiterhin Gültigkeit haben.

 

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Über Dr. Felix Siebler, LL.M. [1]

Dr. Felix Siebler ist Rechtsanwalt und Partner im Bereich Regulierung, Öffentliches Recht & Wettbewerb bei Watson Farley & Williams LLP [2] in München. Er ist spezialisiert auf das Wirtschaftsverwaltungs-, Vergabe- und Beihilfenrecht und berät schwerpunktmäßig zu Beschaffungs-, Infrastruktur- und Informationstechnologieprojekten mit dem Fokus auf öffentliche Einrichtungen, Mobilität, Energie und IT / Telekommunikation. Er ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern.

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