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Politik und Markt

Über den Tellerrand: Österreichische Vergaberechtsnovelle in der Kritik

Am 3. April 2017 endete die „Begutachtungsfrist“ für die Reform des Vergaberechts in unserem Nachbarland Österreich. Die Zeit drängt: Da Österreich die Europäische Vergaberichtlinie – anders als Deutschland – bislang nur unvollständig umgesetzt hat, droht eine Klage der EU. Hauptziel der Novelle ist es, das so genannte „Bestbieterprinzip“ weiter zu stärken. Das Preisdiktat soll bei der öffentlichen Beschaffung dagegen an Gewicht verlieren, stattdessen mehr soziale und ökologische Kriterien miteinfließen, um Lohn- und Sozialdumping zu unterbinden, zudem Bürokratie abgebaut und mehr Transparenz geschaffen werden.
Ob das mit den geplanten Neuregelungen zu aller Zufriedenheit gelungen ist, muss jedoch bezweifelt werden: Unter den eingegangenen Stellungnahmen gab es neben Lob für nämlich auch – teils harsche – Kritik.

Kritik aus Ministerien und Verbänden

So bemängelte etwa das österreichische Finanzministerium (BMF) den vorgelegten Gesetzentwurf. Der sei in dieser Form nicht nachvollziehbar und abzulehnen, so das BMF. Viele Regelungen darin seien zu kompliziert und sollten vereinfacht werden.
Das BMF möchte zum einen die Verpflichtung der Auftraggeber, elektronische Rechnungen zu akzeptieren, auf den Unterschwellenbereich ausweiten. Zu diesem zählen derzeit Leistungen und Lieferungen bis ca. 135.000 Euro (netto) und Bauaufträge mit einem Wert bis 5,2 Millionen Euro. Die Neuregelung wäre sonst weithin ohne Anwendungsbereich: Würden solche „kleineren“ Aufträge nicht erfasst, könnten weiterhin rund 99 Prozent der Rechnungen auf Papier eingefordert werden. Zudem stößt es sich am geplanten neuen Schwellenwert von 50.000 Euro für Direktvergaben (Anm. d. Red.: Bis 31.12.2018 gilt qua Kanzlerverordnung weiterhin der Schwellenwert von 100.000 Euro, siehe dazu den klarstellenden Kommentar am Ende dieses Beitrags). Dieser solle wieder auf die derzeit geltenden 100.000 Euro angehoben werden, so das BMF.

Unzufrieden äußerte sich auch die Sozialpartnerinitiative „Faire Vergaben“: Der Entwurf weise in manchen Bereichen gar eine Verschlechterung gegenüber der derzeitigen Rechtslage auf. Die Initiative fordert u.a. die Einführung einer Verpflichtung, bei Bestbieterverfahren zumindest zwei weitere Vergabekriterien neben dem Preis festzulegen. Zudem schlägt sie vor, dass zum Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Bieter zwingend Ratingzahlen herangezogen werden sollen – etwa ein KSV-Rating (Anm. d. Red.: KSV ist der privatwirtschaftlich organisierte österreichische Kreditschutzverband und als Bonitäts- bzw. Wirtschaftsauskunftei vergleichbar mit der Schufa hierzulande).

Für ein Mindestrating als verpflichtendes Eignungskriterium plädiert auch die Vereinigung industrieller Bauunternehmungen Österreichs (VIBÖ). Aus ihrer Sicht sollte auch ein positives Eigenkapital und ein bestimmter Mindestjahresumsatz in Relation zum Auftragswert verpflichtend als Eignungskriterium festgelegt werden. Letzteres ist umstritten, vor allem kleinere Unternehmen stehen dem tendenziell eher ablehnend gegenüber, da sie befürchten müssen, dadurch von öffentlichen Auftragsvergaben ausgeschlossen zu bleiben.

Extrawurst für Sektorenauftraggeber und Generalunternehmerhaftung

Für Diskussionen sorgt ferner, dass Sektorenauftraggeber – etwa aus den Bereichen Energie, Wasser oder Verkehr – künftig nicht in gleichem Umfang wie „klassische“ öffentliche Auftraggeber an das „Bestbieterprinzip“ gebunden sein sollen. So soll etwa bei Reinigungs- und Bewachungsdienstleistungen, aber auch bei Bauaufträgen ab 1 Mio. Euro eine Bereichsausnahme für Sektorenauftraggeber gelten.
Bei den Reinigungs- und Bewachungsdienstleistungen wird das verpflichtende Bestbieterprinzip erst mit dieser Novelle neu eingeführt – und durch die besagte Sonderregelung gleich wieder abgeschwächt. Größere Bauaufträge müssen schon de lege lata nach Bestbieterkriterien vergeben werden. Hier sei die Ausnahmeregelung für Sektorenauftraggeber ein Rückschritt gegenüber dem Status quo, bemängelt etwa der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB). Die Unterscheidung zwischen klassischen und Sektorenauftraggebern beim Bestbieterprinzip sei sachlich ungerechtfertigt. In Sachen Mindestlohn und Bekämpfung von Lohndumping würden die Gewerkschafter gern nachjustieren und fordern die Einführung einer Generalunternehmerhaftung: Auftragnehmer sollen als Bürgen und Zahler für ihre Subunternehmer einstehen müssen, dass diese die Mindeststandards einhalten.

Weiche Kriterien für Bestbieter

Die Rechnungshofsprecherin der österreichischen Grünen, Gabriela Moser, kritisiert in einer Stellungnahme die vorgesehenen Bestbieterkriterien als „windelweich“. Konkret bemängelt sie, dass die Zuschlags- und Qualitätskriterien als „Bandbreite“ festgelegt werden können und damit gerade das Gegenteil von „fest“ seien. Insbesondere sog. „standardisierte Dienstleistungen“ dürften weiterhin an den Billigstbieter vergeben werden, was dem Lohndumping Vorschub leiste und zu „Alibi-Ausschreibungen“ führe.
Zudem sei die Zuschlagserteilung ist in Verfahren ohne vorhergehende Bekanntmachung nicht verpflichtend bekannt zu machen. In der Praxis bedeute das, dass freihändige Vergaben weiterhin nicht nachträglich mit Kerndaten zu veröffentlichen seien. Ein Schelm, wer hier an Korruption und „Freunderlwirtschaft“ denke.
Sie fordert stattdessen eine zentrale elektronische Plattform für alle Vergaben – diese müssen auch unterhalb der Schwellenwerten öffentlich elektronisch abrufbar sein. Das Bestbieterprinzip müsse zum unumstößlichen Standard werden. Nur explizit gesetzlich genannte, „hochstandardisierte“ Produkte seien hiervon auszunehmen.

Barrierefreiheit im Dienstleistungssektor

Auch Organisationen aus dem Behinderten- und Sozialbereich fordern in einer gemeinsamen Stellungnahme, dass das Bestbieterprinzip bei der Vergabe sozialer Dienstleistungen verpflichtend zu Anwendung kommen soll. Der bisherige Gesetzesentwurf lässt hierbei einen Spielraum für die Anwendung des Billigstbieterprinzips zu. Dies wäre gerade für Dienstleistungen im Gesundheits- und Sozialbereich fatal, da hierunter die Qualität massiv leiden könnte. Sie fordern zudem eine verbindliche gesetzliche Normierung der Barrierefreiheit auch für besondere Dienstleistungen. Gerade im Bereich der Leistungserbringung im Sozial-, Gesundheits- oder auch Behindertenbereich sollte die Barrierefreiheit eine Selbstverständlichkeit sein und nicht im Ermessen des jeweiligen Dienstleistungserbringers liegen.

Nachdem nunmehr alle Stellungnahmen vorliegen, bleibt abzuwarten, was von dem ursprünglichen Gesetzentwurf am Ende übrig bleibt. Auch in Österreich dürfte die legislatorische Weisheit gelten: Kein Gesetz verlässt das Parlament so wie es hereingekommen ist.

Quellen: DiePresse.com, derStandard.at


Hinweis der Redaktion: Den Gesetzentwurf zum österreichischen Vergaberechtsreformgesetz 2017 (292/ME) sowie sämtliche eingegangenen Stellungnahmen können Sie unter diesem Link einsehen.

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2 Kommentare

  1. Florian Schönthal-Guttmann

    Hallo aus Österreich!

    Ich darf nur 1 Kleinigkeit richtig stellen: Der Schwellenwert für Direktvergaben liegt in Österreich – auch künftig – nicht bei EUR 50.000,–, sondern per Verordnung des Bundeskanzlers bis zum 31.12.2018 weiterhin bei EUR 100.000,–

    Und noch eine vielleicht interessante Ergänzung: Vergaben ohne vorherige Bekanntmachung müssen zwar auch nach neuem Entwurf nicht nachträglich bekannt gemacht werden. Allerdings sieht der Entwurf vor, dass ab Oktober 2018 Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich auf die Bekanntmachung über „Open Government Data (OGD)“ umgestellt werden sollen. Dabei werden vom Auftraggeber Metadaten zum Verfahren zur Verfügung gestellt – diese können dann von jedermann frei eingesehen werden.

    Beste Grüße,

    Schönthal-Guttmann

    Reply

    • Redaktion

      Vielen Dank für Ihren richtigen und wichtigen Hinweis. Wir haben das inzwischen an der entsprechenden Stelle klarstellend im Text vermerkt.
      Die Redaktion

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