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Auch unwirtschaftliche Teillose müssen beauftragt werden, wenn das Gesamtergebnis über alle Lose wirtschaftlich ist! (OLG Koblenz, Beschl. v. 28.06.2017 – Verg 1/17)

Mit dieser Entscheidung erschwert das OLG Koblenz die wirtschaftliche Beschaffung und lässt dabei den Grundsatz der wirtschaftlichen Beschaffung (§ 97 Abs. 1 Satz 2 GWB) völlig außen vor. Die Aufteilung eines Auftrags in Mengenlose ändert nichts daran, dass es sich aus vergaberechtlicher Sicht um einen einzigen Auftrag handelt. Auch wenn ein Auftrag in Teillosen ausgeschrieben wird, kommt es für die Betrachtung der Wirtschaftlichkeit deshalb nach Auffassung des OLG Koblenz auf das Gesamtergebnis an und nicht auf die einzelnen Teillose.

§ 63 Abs. 1 Nr. 3 VgV

Leitsatz

Auch bei einer Teillosvergabe kann Unwirtschaftlichkeit im Sinne des § 63 Abs. 1 Nr. 3 VgV nur angenommen werden, wenn das Gesamtergebnis unwirtschaftlich ist.

Sachverhalt

Der Antragsgegner ist ein rheinland-pfälzischer Zweckverband bestehend aus den Landkreisen M. und C. sowie der Stadt K. Er hat zum 01.01.2017 die Entsorgung von 52.000 Mg/a Restabfall in vier gleich großen Mengenlosen für drei Jahre mit einer Verlängerungsoption um zwei weitere Jahre ausgeschrieben. Abweichungen bis +/- 20% waren von den Bietern einzukalkulieren. Für Mengenänderungen außerhalb dieses Korridors war eine Preisanpassung vorgesehen.

Die Antragstellerin ist ein in der Kreislaufwirtschaft tätiges Unternehmen.

Der Landkreis M. hat zum 01.01.2016 eine neues Abfallwirtschaftskonzept umgesetzt, das über die Gebührengestaltung starke Anreize zur Restabfallvermeidung setzt. Das hat dazu geführt, dass die in der Ausschreibung genannten Mengen für diesen Landkreis zu hoch waren.

Der Antragsgegner hatte im Vorfeld der Ausschreibung eine Kostenschätzung vorgenommen, die einen Behandlungspreis in Höhe von 115,50 EUR/Mg auswies. Aufgrund dieser Kostenschätzung ergab sich für die Gesamtmenge bezogen auf die feste Laufzeit von drei Jahren ein Betrag in Höhe von 18.018.000 EUR.

Die Lose 1-3 wurden für insgesamt 12.597.000 EUR vergeben.

Die Antragstellerin hat als einzige Bieterin ein Angebot zu Los 4 mit einem Einheitspreis von 144,95 EUR/Mg abgegeben. Damit liegt dieses Angebot verglichen mit dem vom Antragsgegner zu Grunde gelegten Tonnagepreis um 25,49 % höher. Wenn man hingegen auf das Gesamtergebnis abstellt, ergibt sich ein Gesamtpreis für drei Jahre in Höhe von 18.250.050 EUR. Dies entspricht einem Behandlungspreis über alle Lose gesehen in Höhe von 116,99 EUR/Mg. Das Gesamtergebnis weicht nach dieser Betrachtung von der Kostenschätzung nur um 1,29 % noch oben ab.

Der Antragsgegner hat die Ausschreibung zu Los 4 aufgehoben. Dabei berief er sich hauptsächlich auf eine wesentliche Änderung der Grundlagen des Vergabeverfahrens (§ 63 Abs. 1 Nr. 2 VgV), weil die Mengen aus dem Landkreis M. um 3.300 Mg zurückgegangen seien. Hilfsweise berief er sich auf die Unwirtschaftlichkeit des für Los 4 abgegebenen Einheitspreises.

Die Entscheidung

Vergabekammer und OLG kommen zunächst beide zu dem Ergebnis, dass in dem Mengenrückgang im Landkreis M. keine wesentliche Änderung der Grundlagen des Vergabeverfahrens gesehen werden kann.

Während die Vergabekammer die Aufhebung des Loses 4 wegen Unwirtschaftlichkeit noch als statthaft eingeschätzt hat, kommt das OLG in diesem Punkt zu einer anderen Auffassung.

Das OLG vertritt die Auffassung, das es für die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung auch bei Teillosen nur auf das Gesamtergebnis ankommt. Zwar sehe § 63 Abs. 1 VgV eine losweise Aufhebung vor, dies sei aber für die Frage, ob der Einheitspreis pro Teillos oder der Einheitspreis über alle Lose gerechnet maßgeblich ist, unerheblich. Außerdem sei der Auftragsgegenstand die Behandlung von jährlich 52.000 Mg Restabfall. Unter Verweis auf Art. 46 Abs. 1 RL 2014/24/EU sei zudem vergaberechtlich von einem Auftrag auszugehen. Auch § 3 Abs. 7 VgV spreche daher von einem Auftrag, der in mehrere Losen vergeben werden kann. Es könne daher im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung keinen Unterschied machen, ob ein Auftrag in einem oder in mehreren Losen vergeben werde. Denn wäre der Auftrag in einem Los ausgeschrieben worden, wäre bei einer Abweichung in Höhe von 1,24 % sicherlich keine Aufhebung wegen Unwirtschaftlichkeit möglich.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung des OLG Koblenz ist im Ergebnis nicht überzeugend. Denn sie steht im diametralen Gegensatz zu dem vergaberechtlichen Grundsatz der wirtschaftlichen Beschaffung gemäß  97 Abs. 1 Satz 2 GWB. Mit diesem Punkt setzt sich das OLG überhaupt nicht auseinander. Ohne natürlich den Preisspiegel zu kennen, könnte ein zweitplatziertes Angebot aus den Losen 1 bis 3 günstiger gewesen sind als das Angebot zu Los 4. Wenn das aber so ist, musste der Zweckverband für die Gesamtmenge mehr bezahlten als eigentlich notwendig.

Wenn die VgV in § 3 Abs. 7 eine losweise Aufhebung einer Ausschreibung ausdrücklich zulässt, so ist kein Grund ersichtlich, warum diese nicht auch im Falle der Unwirtschaftlichkeit eines Loses möglich sein soll.

Auch der Vergleich des OLG mit einer fiktiven Gesamtlosvergabe überzeugt nicht, weil er die ebenfalls fiktive Möglichkeit der Aufteilung der Mengen in vier eigenständige Ausschreibungen nicht berücksichtigt. Denn in diesem Szenario hätte das OLG die Aufhebung wahrscheinlich akzeptiert. Es kann aber nicht von der Frage des Ausschreibungsmodells abhängen, ob ein (Teil-)Auftrag wirtschaftlich oder unwirtschaftlich ist.

Damit läuft auch das Argument des OLG, es handele sich aus Sicht des Vergaberechts auch bei Losteilung immer um einen einzigen Auftrag, ins Leere. Bei einer Losteilung kann jedes einzelne Los an unterschiedliche Unternehmen vergeben werden. Damit gibt es immer so viele Aufträge wie Lose. Im Übrigen kann die Argumentation des OLG nur dann greifen, wenn es sich um Mengenlose handelt. Bei Fachlosen, zum Beispiel unterschiedlichen Gewerken bei Bauvorhaben, kann man sicherlich nicht mehr von einem einzigen Auftrag sprechen.

Praxistipp

Der Praktiker fragt natürlich nach alternativen Gestaltungsmöglichkeiten, die dieses unschöne Ergebnis vermeiden können: Eine Möglichkeit wäre es, anstatt vier Losen vier Mengenkorridore vorzugeben und die Ermittlung der wirtschaftlichsten Angebote so nicht losweise, sondern über alle Angebotspreise vorzunehmen. Dazu müsste man jedem Bieter die Abgabe von Angebotspreisen pro Mengenfenster gestatten, wobei jeder Bieter bis zu vier verschiedene Preise angeben kann. Sodann ermittelt man aus allen Preisen die vier günstigsten Angebote. Bei mehr als vier identischen Angebotspreisen könnte etwa die Entfernung zur Verbrennungsanlage den Ausschlag geben.

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Über Martin Adams, Mag. rer. publ.

Herr Martin Adams, Mag. rer. publ. ist Rechtsanwalt und Inhaber der Kanzlei _teamiur_Rechtsanwälte, Mannheim. Herr Adams berät bundesweit öffentliche Auftraggeber bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren, insbesondere im Bereich der Abfallwirtschaft. Darüber hinaus veröffentlicht er regelmäßig Beiträge in entsprechenden Fachmedien und tritt als Referent in Fachseminaren auf.

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