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Besserer Schutz vor Dumpingangeboten durch neuen § 60 VgV? (VK Nordbayern, Beschl. v. 07.09.2017, 21.VK-3194-02-04)

Der neue § 60 Abs. 3 Satz 2 VgV ordnet den zwingenden Angebotsausschluss an, wenn ein festgestellter Verstoß gegen Verpflichtungen nach § 128 Abs. 1 GWB ursächlich für einen ungewöhnlich niedrigen Preis ist. Eine aktuelle Entscheidung der Vergabekammer Nordbayern konkretisiert die insoweit bestehenden Anforderungen in Bezug auf einen mutmaßlichen Verstoß gegen das Mindestlohngesetz.

Leitsatz (nicht amtlich)

Entsprechend § 60 Abs. 2 Nr. 4 VgV darf die Vergabestelle auch die Einhaltung der Verpflichtungen nach § 128 Abs. 1 GWB prüfen. Somit ist grundsätzlich auch die Prüfung der Einhaltung der Vorschriften nach dem Mindestlohngesetz gerechtfertigt.

GWB §§ 128, 134, 160, 168; VgV § 15, 60

Sachverhalt

Bei einer Ausschreibung von Beförderungsdienstleistungen wiesen die Allgemeinen Vertragsbedingungen auf den verpflichtenden gesetzlichen Mindestlohn hin sowie darauf, dass zukünftige Anhebungen des Mindestlohns während der Vertragslaufzeit einzukalkulieren seien. Ein Bieter, dessen Angebot auffällig niedrig war, füllte nach entsprechender Aufforderung ein ergänzendes Kalkulationsformblatt aus und erklärte auf Nachfrage, dass das Angebot im Hinblick auf den Mindestlohn auskömmlich kalkuliert sei. Gegen den gleichwohl erfolgten Ausschluss seines Angebots mangels Auskömmlichkeit und den beabsichtigten Zuschlag auf ein Konkurrenzangebot wendete dieser Bieter sich mit einem Nachprüfungsantrag.

Die Entscheidung

Mit Erfolg! Zwar durfte der Auftraggeber im entschiedenen Fall aus anderen Gründen den Zuschlag nicht erteilen. Darüber hinaus hatte aber auch der Ausschluss mangels Auskömmlichkeit keinen Bestand.

Prüfung der Kalkulation auf Verstöße gegen das Mindestlohngesetz ist grundsätzlich zulässig

Zunächst einmal stellte die Vergabekammer fest, dass der Auftraggeber durchaus gemäß § 60 Abs. 2 Nr. 4 VgV im Rahmen der Auskömmlichkeitsprüfung auch Verstöße gegen das Mindestlohngesetz prüfen könne. Das Gesetz ist in § 128 Abs. 1 GWB ausdrücklich genannt. Der an diese Norm anknüpfende zwingende Ausschluss gemäß § 60 Abs. 3 Satz 2 VgV sei aber nur möglich, wenn ein entsprechender Verstoß auch nachgewiesen sei. Die Vergabekammer forderte für einen solchen Nachweis, dass der Bieter eine entsprechende Verpflichtungserklärung nicht oder nur unzureichend abgegeben habe. Das war aber nicht der Fall.

Prognoseentscheidung: Wiedereintritt in die Eignungsprüfung nur in Bezug auf finanzielle Erwägungen

Auch auf den fakultativen Ausschlussgrund des § 60 Abs. 3 Satz 1 VgV konnte sich die Vergabestelle nicht stützen. Die Aufklärung sei zu stark auf den Mindestlohn fokussiert gewesen, erforderlich sei aber nach vorheriger Preisaufklärung eine abgewogene Prognoseentscheidung. Daraus, dass der Bieter bislang kein Personalkonzept vorgelegt habe, lasse sich nicht auf eine fehlende Leistungsfähigkeit schließen. Im Rahmen der Auskömmlichkeit sei der Wiedereintritt in die Eignungsprüfung auf finanzielle Erwägungen begrenzt.

In dem Hinweis auf eine fehlende Preisanpassungsmöglichkeit sah die Vergabekammer zudem auch keine Kalkulationsvorgabe, von der der Bieter abgewichen wäre. Daher war der Ausschluss auch nicht gemäß § 57 Abs.1 Nr.5 VgV gerechtfertigt.

Rechtliche Würdigung

Erscheint es zweifelhaft, ob der Angebotspreis zu dem gesetzlichen Mindestlohn passt, ist ein Verstoß gegen § 128 Abs. 1 GWB nicht zwingend anzunehmen. Es könnte ja auch beispielsweise ein im Rahmen der Kalkulationsfreiheit zulässiges Unterkostenangebot vorliegen, das der Bieter auf andere Weise quersubventioniert, ohne dabei insbesondere gegen gesetzliche Lohnbestimmungen zu verstoßen. Der Verstoß muss gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 VgV jedoch „festgestellt“ werden – eine allein auf eine Kalkulation gestützte Prognose dürfte insoweit also nicht ausreichen. Die Schwierigkeit liegt hier darin, dass sich die Prüfung auf die noch bevorstehende, tatsächliche Auftragsausführung bezieht.

Der fakulative Ausschlussgrund des § 60 Abs. 3 Satz 1 VgV greift dann nur, wenn der Auftraggeber ermessensfehlerfrei zu der Einschätzung gelangt, dass sich die Gründe des niedrigen Preises nicht zufrieden stellend aufklären lassen, wobei er Art und Umfang der tatsächlich im konkreten Fall bestehenden Risiken berücksichtigen muss (vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 31.01.2017, Az: X ZB 10/16).

Praxistipp

Für den Nachweis, dass ein Bieter Löhne zahlen wird, die mit dem Mindestlohngesetz unvereinbar sind, benötigt der Auftraggeber nach dem neuen § 60 Abs. 3 Satz 2 VgV wohl schon eine verbindliche Erklärung über die gezahlten Löhne und nicht nur eine allgemeine Auskunft zur Kalkulation. In der Praxis aber dürfte kaum ein Bieter einen Verstoß gegen das Mindestlohngesetz offen einräumen. Wirksamer gegen Dumpingangebote dürften daher auch weiterhin zulässige und transparente bindende Kalkulationsvorgaben sein, deren Einhaltung überprüft werden kann.

(Siehe zum Ganzen auch: [Mittelwertmethode ist vergaberechtlich problematisch! (VK Sachsen, Beschl. v. 10.04.2017 1/SVK/004-17, Vergabeblog.de vom 16/11/2017, Nr. 34227; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 08.09.2011 Verg 80/11, Härtere Zeiten für Dumping-Angebote?, in Vergabeblog.de vom 06/12/2011, Nr. 11489]).

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Über Dr. Valeska Pfarr, MLE

Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.

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