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Die EU-Schwellenwerte

EUAllen Stellen und Unternehmen, die mit Vergaberecht zu tun haben, ist der Begriff der EU-Schwellenwerte bekannt. Immerhin richtet sich die Anwendbarkeit des „europäischen“ Vergaberechts nach genau diesen Schwellenwerten, die für die verschiedenen Arten von zu vergebenden Leistungen in unterschiedlicher Höhe festgesetzt sind. Die meisten werden mittlerweile auch wissen, dass sich die EU-Schwellenwerte zum Jahresanfang 2018 wieder ändern bzw. angepasst werden und daher ab dem 01.01.2018 für alle Beschaffungen öffentlicher Auftraggeber und solcher, die zur Einhaltung des Vergaberechts verpflichtet sind, strikt anzuwenden sind.
Viele werden sich jedoch noch keine Gedanken darüber gemacht haben, wo die EU-Schwellenwerte herrühren und wie sie zustande kommen, sondern nehmen sie als gegeben hin. Dies soll nachfolgend in aller Kürze einmal beleuchtet werden.

Sinn und Zweck der EU-Schwellenwerte

Das Vergaberecht ist in „nationales“ und „europäisches“ Vergaberecht unterteilt. Die Unterteilung ist an die EU-Schwellenwerte gekoppelt. Werden diese bei der Schätzung des Auftragswertes für einen zu vergebenden Auftrag erreicht, so ist „europäisches“ Vergaberecht mit seinen EU-Richtlinien als sekundäres EU-Recht anwendbar (Oberschwellenbereich). Dieses ist als Kartellrecht ausgestaltet. Werden die Schwellenwerte nicht erreicht, gilt das „nationale“ Vergaberecht, das als Haushaltsrecht ausgestaltet ist (Unterschwellenbereich).

Die EU-Schwellenwerte stellen folglich Wertgrenzen dar, bei deren Erreichen öffentliche Auftraggeber und Unternehmen, die durch behördliche Bescheide oder Verträge zur Einhaltung des Vergaberechts verpflichtet sind, rechtlich zur Anwendung des „europäischen“ bzw. auch „oberschwelligen“ Vergaberechts angehalten sind.

Infolgedessen sind in diesen Fällen europaweite offene, nicht offene und Verhandlungsverfahren und eben nicht nationale Öffentliche, Beschränkte Ausschreibungen oder Freihändige Vergaben die zulässigen Vergabearten. Dies hat insbesondere zur wesentlichen Folge, dass bei öffentlichen Aufträgen mit einem geschätzten Auftragswert, der die EU-Schwellenwerte erreicht, ein besonderer vergaberechtlicher Rechtsschutz gewährleistet wird, der bei öffentlichen Auftragsvergaben im Unterschwellenbereich nicht gegeben ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit bezüglich dieser umstrittenen Thematik jedoch bestätigt, dass die Unterteilung des Vergaberechts, die an die EU-Schwellenwerte gekoppelt ist, nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG oder den Justizgewährungsanspruch aus Art. 20 Abs. 3 GG verstößt und die Festlegung der EU-Schwellenwerte somit nicht verfassungswidrig und grundrechtskonform ist.

Zustandekommen der EU-Schwellenwerte

Die EU-Schwellenwerte kennen deutsche Vergabestellen als Beträge in der Währungseinheit der EU, nämlich dem Euro und richten ihre Vergabeverfahren danach aus. Aber wie kommt die konkrete Höhe dieser EU-Schwellenwerte in Euro zustande?

Die EU-Kommission kann gemäß § 290 AEUV delegierte Rechtsakte erlassen, um die EU-Schwellenwerte neu festzusetzen. Das hat sie mit Wirkung zum 01.01.2018 erneut getan. Die EU-Schwellenwerte sind an die so genannten Sonderziehungsrechte (SZR) oder Special Drawing Rights (SDR) gekoppelt. Die SZR stellen eine vom internationalen Währungsfonds (IWF) eingeführte Währungseinheit dar, die eine künstliche Währung ist und international sogar als Zahlungsmittel verwendet werden kann, jedoch nicht an Devisenmärkten gehandelt, sondern lediglich als Buchkredit geführt wird. Das „Ziehen“ dieser Rechte bezieht sich grundsätzlich erst einmal auf das Anfordern von Fremdwährungen durch Mitgliedstaaten des IWF im Austausch gegen die eigene Währung. Diese künstliche Währung der SZR wird durch einen so genannten Währungskorb bedeutender Weltwährungen definiert, die jeweils unterschiedlichen Gewichtungen unterliegen. Darunter befinden sich der US-Dollar, der Euro, der Britische Pfund Sterling, der Japanische Yen sowie seit Ende 2016 der Chinesische Renminbi (Yuan).

Die Gewichtung der einzelnen Währungen im Währungskorb ergibt sich aus dem Anteil des jeweiligen Staates am Welthandel und der in der jeweiligen Währung durch die Mitgliedstaaten des IWF gehaltenen Währungsreserven. Der IWF schreibt alle fünf Jahre die für den Währungskorb relevanten Währungen und ihre Gewichtung fest.

Diese SZR sind im Government Procurement Agreement (GPA) festgeschrieben. Das GPA ist ein internationales, plurilaterales Vergabeabkommen der World Trade Organization (WTO), dem die EU mit Wirkung zum 01.01.1996 beigetreten ist. Es ist eine Vereinbarung der EU und weiterer 18 Mitgliedstaaten der WTO über die diskriminierungsfreie, transparente und rechtsstaatliche Vergabe öffentlicher Aufträge. Dem GPA beigetreten sind bisher die EU, Schweiz, Norwegen, Island, Hong-Kong, Japan, Liechtenstein, Taiwan, Aruba, Südkorea, Singapur, Israel, Armenien, USA, Kanada. Moldawien, Montenegro, Neuseeland, Ukraine. Bezweckt werden soll eine stärkere Liberalisierung und Ausweitung des Welthandels sowie die Verbesserung seiner Abwicklung. Das Abkommen soll dem Abbau spezifischer Hemmnisse des grenzüberschreitenden Wettbewerbs bei der Vergabe öffentlicher Aufträge dienen.

Den auf diese Weise zustande kommenden Schwellenwerten, ausgedrückt in SZR, steht ein Wert in Euro in Form des Wechselkurses gegenüber. Der Kurs der Sonderziehungsrechte des IWF wird zwar täglich neu festgesetzt. Zum Ausgleich der Kursschwankungen zwischen den SZR und dem Euro werden die EU-Schwellenwerte in Euro von der EU-Kommission jedoch nur alle zwei Jahre überprüft und bei Bedarf angepasst. Ein solcher Bedarf entsteht, wenn ein Ausgleich von Wechselkursschwankungen zwischen den Unterzeichnern des GPA erforderlich wird, weil sich diese unter Umständen auf die Öffnung der öffentlichen Beschaffungsmärkte dieser Staaten für den Wettbewerb von Unternehmen in anderen Unterzeichnerstaaten auswirken. Die Berechnung der EU-Schwellenwerte hat den durchschnittlichen Tageskurs des Euro im Verhältnis zu den SZR während der letzten 24 Monate als Grundlage, die am letzten Augusttag enden, der der Neufestsetzung zum 01.01. des Folgejahres vorausgeht.

Die angepassten bzw. geänderten EU-Schwellenwerte in der Währungseinheit Euro und ihr entsprechender Gegenwert in den Währungseinheiten der einzelnen EU-Mitgliederstaaten, in denen der Euro noch nicht eingeführt ist, werden dort zu Beginn des Monats November im Supplement der EU veröffentlicht. Bei der Berechnung der Schwellenwerte handelt es sich um ein ausschließlich mathematisches Verfahren im Rahmen eines technischen Vorgangs, dessen Durchführung im GPA vereinbart ist. Eine Umsetzung jeweils auf diese Weise geänderter bzw. angepasster EU-Schwellenwerte ist in Deutschland nicht erforderlich, weil das GWB in § 106 eine dynamische Verweisung auf die jeweils geltenden Schwellenwerte enthält.

Fazit

Vor diesem Hintergrund wird noch einmal daran erinnert, dass öffentliche Auftraggeber, zur Einhaltung des Vergaberechts verpflichtete Unternehmen und Bieter die EU-Schwellenwerte bei der öffentlichen Auftragsvergabe zwingend beachten sollten. Es ist also im Hinterkopf zu behalten, dass sich die EU-Schwellenwerte regelmäßig ändern bzw. angepasst werden und durch die Verweisung im GWB unmittelbar Anwendung finden, folglich keiner Umsetzung in nationales Recht bedürfen. Bei Nichtbeachtung könnten unter Umständen erhebliche Folgen eintreten. Die Nichtbeachtung der aktuellen Eu-Schwellenwerte oder die Annahme falscher EU-Schwellenwerte kann zur Anwendung falscher vergaberechtlicher Vorschriften und Normen und damit auch zur Durchführung nicht zulässiger Vergabearten führen. Dies bedeutet Vergabeverstöße, die Beanstandungen, Rückforderungen und Schadenersatzansprüchen nach sich ziehen können.

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Über Michael Pilarski [4]

Der Autor Michael Pilarski ist als Volljurist bei der Investitions- und Förderbank des Landes Niedersachsen – NBank – [5] in Hannover tätig. Als Prüfer, insbesondere der Vergaberechtsstelle, lag sein Schwerpunkt mehrere Jahre in den Bereichen Zuwendungs- und Vergaberecht. Er hat die Einhaltung des Zuwendungs- und Vergaberechts durch private und öffentliche Auftraggeber, die Förderungen aus öffentlichen Mitteln erhalten, geprüft und Zuwendungsempfänger bei zuwendungs- und vergaberechtlichen Fragestellungen begleitet. Nunmehr ist er in der Rechtsabteilung der NBank in den Bereichen Vergabe-, Vertrags- sowie Auslagerungsmanagement beschäftigt. Darüber hinaus sitzt er der Vergabekammer Niedersachsen beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr in Lüneburg bei, ist zugelassener Rechtsanwalt und übernimmt Referententätigkeiten sowie Schulungen im Zuwendungs- und Vergaberecht.

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